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AfD wird den Verdacht nicht los

Der Verfassungsschutz darf die AfD weiter als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen. Das entschied das Oberverwaltungsgericht in Münster. Nun könnte der nächste Schritt folgen

Verdächtig uneinsichtig: Roman Reusch, Beisitzer im Bundesvorstand der AfD, und Peter Boehringer, stellvertretender Bundessprecher der AfD, nach der Urteilsverkündung in Münster Foto: Leon Kuegeler/reuters

Aus Münster Gareth Joswig

Richter Gerald Buck brachte es am Ende auf ein praktisches Bild: „Die Polizei darf eine Wohnung betreten, in der ein Rauchmelder vernehmbar Alarm gibt, man also einen Brand vermuten muss, und niemand öffnet“, sagte er. Stelle sich dann heraus, dass es sich nur um einen Fehl­alarm handele, ändere das am Verdachtsmoment nichts – „die Polizei hat dann aber die Wohnung wieder zu verlassen“, so Buck, Vorsitzender Richter des 5. Senats am Oberverwaltungsgericht Münster

In dem riesigen Verfahren mit Tausenden Aktenseiten und Hunderten Schriftsätzen ging es darum, ob der tatsächliche Verdacht besteht, dass die AfD die Demokratie anzünden will. Und dafür sieht das Oberverwaltungsgericht wie bereits schon das Verwaltungsgericht Köln 2022 ausreichende Anhaltspunkte: Der Senat hat am Montag die Klage der AfD gegen ihre Einstufung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zurückgewiesen. Heißt: Der Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall beobachten und die Öffentlichkeit darüber informieren. Das Gleiche gilt für die Junge Alternative und den sogar als gesichert rechtsextrem eingestuften, mittlerweile aufgelösten „Flügel“ der Partei. Eine Revision hat der Senat nicht zugelassen, die AfD will dagegen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einlegen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Das Verfahren ist für die AfD gewissermaßen existenziell: Nach dem Urteil könnte nun bald der nächste Schritt folgen: Die Hochstufung zu einer gesichert rechtsextremistischen Bestrebung, in dessen Folge ein Verbotsverfahren oder restriktive Maßnahmen wie die Streichung der staatlichen Parteienfinanzierung folgen. Die AfD will entsprechend gegen das Urteil vorgehen.

Zur Begründung führte das Gericht aus: „Nach Überzeugung des Senats liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind.“ Es bestehe der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. Dies stelle eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, im Widerspruch mit der Menschenwürdegarantie.

Mit dem Urteil widerlegt nun auch das zweite Gericht die AfD-Erzählung vom instrumentalisierten Verfassungsschutz: Richter Buck führte aus, dass das Bundesamt seinem Auftrag nachkomme im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes. Politische oder sachwidrige Motive des Geheimdienstes lägen nicht vor.

Die AfD hatte während des Prozesses immer wieder behauptet, dass es sich bei den vom Verfassungsschutz gesammelten Aussagen nur um Einzelfälle und einzelne Entgleisungen handele, AfD-Bundesvorstand Reusch verharmloste die über tausend Seiten umfassende Zitatesammlung namhafter Funktionäre als „Blech“ von Einzelpersonen. Buck sagte: „Wenn aber Personen, die solche Äußerungen tätigen, in herausgehobene Funktionen gewählt werden, wird ihnen parteiintern erkennbar Zustimmung gezeigt.“ Europawahl-Spitzenkandidat Maximilian Krah, zuletzt auch im Fokus wegen Korruptions- und Spionageverdachts, taucht etwa aufgrund einer Vielzahl rassistischer Äußerungen in den Gutachten des Verfassungsschutzes auf.

Das Gericht betonte ausdrücklich, dass es lediglich über die Einstufung als Verdachtsfall entschieden habe. Daraus leite sich keine Automatismus ab für eine Einordnung als „erwiesen extremistische Bestrebung“ ab – dafür bedürfe es mehr, Näheres wolle man im schriftlichen Urteil darlegen. Richter Buck gab dem Bundesamt aber gewissermaßen Hausaufgaben mit auf den Weg: Das Bundesamt müsse nun weiter prüfen. Um im Bild zu bleiben, sagte er: „Der Rauchmelder des Verfassungsschutzes schrillt, ist das ein Brand oder nur Rauch um nichts? Das zu erhellen, ist Aufgabe des Verfassungsschutzes.“

„Die Sonne lacht für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung“

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang

Die AfD hat sich offenbar entschlossen, den schrillen Alarm der Rauchmelder auch weiterhin zu ignorieren. AfD-Bundesvorstand Roman Reusch, selbst ehemaliger Staatsanwalt, sowie Vorstandsmitglied und Bundestagsabgeordneter Peter Boehringer zeigten nach der deutlichen Schlappe auf allen Ebenen nicht den Hauch von Demut oder Selbstkritik. Was es stattdessen gab: weitere Opferinszenierung. „Diese Vorwürfe sind an den Haaren herbeigezogen und nur durchgekommen, weil sich das Gericht einer Beweisaufnahme verweigert hat“, sagte Reusch.

Die AfD fuhr während des Prozesses eine maximale Verzögerungstaktik, stellte teils hanebüchene gleichlautende Beweisanträge, die sie immer wieder wörtlich diktierte – bis das Gericht die AfD-Anwälte anhielt, diese schriftlich einzureichen. Das Gericht lehnte über 470 Beweisanträge der AfD ab – teils als „unerheblich“, teils als „Ausforschungsanträge“ gegen den Verfassungsschutz. Ähnlich lief es bei der Zurückweisung vielfacher Befangenheitsanträge als „rechtsmissbräuchlich“.

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang zeigte sich am Montag gut gelaunt, als er am Mittag unter freiem Himmel vor dem Sitz des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln ein Statement abgab: „Die Sonne lacht über Köln, die Sonne lacht über Münster, die Sonne lacht für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung“, sagte er. Man habe auf ganzer Linie obsiegt, das Gericht habe sich Zeit genommen, um alle Argumente zu hören und abzuwägen, anderthalb Jahre habe man seine Haltung konsequent dargelegt, Tausende Seiten und Schriftsätze vorgelegt, an sieben Verhandlungstagen intensiv gestritten. Nun werde man wie üblich in einem ergebnisoffenen Prüfprozess, in den auch die schriftlichen Urteilsgründe des OVG einfließen werden, zu gegebener Zeit zu einer weiteren Bewertung der AfD kommen.