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Arash Azizi über Iran und Israel„Haben keinen Grund, Krieg zu führen“

Ein offener Krieg zwischen Iran und Israel ist ausgeblieben – auch weil viele Iraner keine Feindschaft gegen Israel hegen, sagt der iranische Historiker Arash Azizi.

Irans Regime ist stolz auf sein Raketenarsenal: ein Passant vor einem kriegerischen Banner in Teheran, 19. April Foto: Vahid Salemi/ap
Jannis Hagmann
Interview von Jannis Hagmann

taz: Herr Azizi, sind wir nach den gegenseitigen Angriffe Irans und Israels wieder zurück beim alten Schattenkrieg zwischen den beiden Ländern?

Arash Azizi: In gewisser Weise ja. Israels Angriff auf Isfahan ähnelte stark den Aktionen der Vergangenheit. Er war sogar deutlich weniger umfangreich als etwa der Angriff auf (die Atomanlage) Natans vor ein paar Jahren. Und Iran hat seinerseits deutlich gemacht, dass er nicht darauf reagieren will. Dennoch hat Iran mit seinem Angriff auf Israel eine Grenze überschritten. Und diesen Geist können wir nicht zurück in die Flasche stecken. Iran hat nicht geblufft, sondern war wirklich bereit, Israel direkt anzugreifen.

Wie hat die iranische Öffentlichkeit auf die Kriegsgefahr reagiert?

Der größte Teil ist nicht an einem Krieg interessiert. Wegen der brachliegenden Wirtschaft und der politischen und sozialen Unterdrückung sind die Leute erschöpft. Die Vorstellung, dass ein Krieg hinzukommt, ist für viele schrecklich. Nach dem israelischen Angriff auf Isfahan gab es einen Seufzer der Erleichterung, weil klar war, dass es nicht unmittelbar zum Krieg kommt.

Im Interview: Arash Azizi

36, ist ein iranischer Historiker. Er verließ das Land 2008 und lehrt derzeit an der Clemson University in den USA. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Was die Iraner wollen: Frauen, Leben, Freiheit“

Und die anderen Teile der Bevölkerung?

Manche haben sich über den Angriff auf Israel am 13. April gefreut. Zum einen ist da eine sehr kleine Minderheit, die das Regime unterstützt, 10 bis 15 Prozent. Zum anderen gibt es aber auch außerhalb dieser Gruppe Leute, die der Meinung waren, dass Iran auf den Angriff auf sein Konsulat (in Damaskus am 1. April; Anm. d. Red.) reagieren musste. Aber ich denke, dass sogar diese Leute keine Konfrontation mit Israel suchen.

Sie sind in Iran aufgewachsen. Wie haben Sie sich gefühlt, als Ihr Land mit Raketen und Drohnen Israel angriff?

Wir Iraner hegen keine Feindschaft gegenüber Israel. Wir haben keinen Grund, mit irgendeinem Land Krieg zu führen, aber besonders nicht mit Israel. Historisch gesehen waren beide Länder nie feindlich gesinnt. Es gibt nichts im nationalen Interesse Irans und Israels, das gegeneinander gerichtet wäre. Zudem hat Iran tonnenweise eigene Probleme, von denen keins durch eine Konfrontation mit Israel gelöst wäre.

Wie erklären Sie sich die Besessenheit des iranischen Regimes, Israel zu zerstören?

1979 ist unser Land an ein revolutionäres Regime gefallen. Es wurde in den Dienst einer Ideologie gestellt. Die iranische Außenpolitik diente in der Folge nicht den nationalen Interessen, sondern der islamistischen, revolutionären Sache. Ein großer Teil davon ist der Kampf gegen Israel. Die Anti-Israel-Politik ist eine von vielen irrationalen Politikinhalten.

Das Regime hat zeitgleich zum Angriff auf Israel auch im Inland sein Vorgehen verschärft. Hat die iranische Protestbewegung, die vor eineinhalb Jahren unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ ihren Anfang nahm, noch eine Zukunft?

Das begann wenige Stunden vor dem Angriff. Seitdem gab es wieder viele Verhaftungen und Toomaj Salehi, der beliebte Rapper, wurde zum Tode verurteilt. Diese Einschüchterungstaktik ist besorgniserregend, auch wenn ich nicht glaube, dass sie ihn hinrichten. Das Vorgehen hat aber zu weiterem Protest geführt. Letzte Woche wurde eine Frau in einer U-Bahn-Station in Teheran verhaftet, aber die Leute versammelten sich und schrien, bis die Polizei sie wieder freiließ. Wie kann man Krieg gegen Israel und die iranischen Frauen am selben Tag beginnen? Selbst Leute, die Krieg gegen Israel unterstützen, sahen das Vorgehen als töricht an. Das Thema wird zu einem Streitpunkt auf Elitenebene. Ich halte es für wahrscheinlich, dass politische Veränderungen durch ein Gerangel der Eliten zustande kommen, das sich nach dem Tod Chameneis noch verstärken wird.

Der sogenannte Oberste Führer ist jetzt …

… gerade 85 geworden. Und es geht ihm nicht gut.

Wie zeigt sich das Elitengerangel?

Mehdi Fazaeli zum Beispiel, ein Beamter, der für das Büro des Obersten Führers arbeitet, veröffentlichte Zitate Chameinis aus der Vergangenheit, in denen dieser eine gewaltsame Durchsetzung des Kopftuchs sehr implizit kritisiert hatte. Gleichzeitig besuchte ein führendes Mitglied der Paydari-Front, einer Hardliner-Gruppierung, den Chef der iranischen Polizei, um seine Solidarität zu zeigen. Ein solches Level hat das Elitengerangel erreicht.

Sie schauen also nicht in erster Linie auf Proteste?

Die Leute, die einen demokratischen Umsturz wollen, werden weiterkämpfen. Der Widerstand geht weiter. Aber sobald die Leute wieder auf die Straße gehen, werden sie mit dem alten Problem konfrontiert sein: Sie brauchen eine politische Führung. Die Realität ist, dass die Protestbewegung gescheitert ist, weil es ihr nicht gelungen ist, eine politische Alternative aufzubauen. Der Machtkampf innerhalb der Elite ist daher ein mindestens ebenso entscheidender Faktor wie der Aufstand von unten.

Sind die Spannungen mit Israel für die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung ein Grund, den Protest voranzutreiben oder sich ruhig zu verhalten?

Nun, die Bewegung ist ja ziemlich zerschlagen worden. Leider gibt es darunter einige, die israelische Angriffe befürworten, weil sie glauben, dass dies dem Regime früher eine Ende bereitet. Aber auch hier sehe ich bei einer überwältigenden Mehrheit der Befürworter der Bewegung eine starke Antikriegsstimmung. Es macht mir Mut, dass sogar rechtsgerichtete Personen wie Reza Pahlavi, der ehemalige Kronprinz, jedweden Angriff auf Iran abgelehnt haben. Das ist jemand, der in den USA auf jüdischen und zionistischen Versammlungen spricht und sich letztes Jahr auch mit Netanjahu in Israel getroffen hat.

Wie erklären Sie sich seine Haltung?

Dahingehend, dass Krieg zivilem Aktivismus nie hilft. Wer an Demokratie und einem Aufbau von bürgerlicher Macht interessiert ist, für den ist Krieg keine gute Nachricht. Nehmen Sie Nasrin Sotudeh, die Anwältin und Verfechterin der Menschenrechte. Sie war gegen die Angriffe der Hamas auf Zivilisten am 7. Oktober, das ist klar. Aber gleichzeitig ist sie eine Kritikerin von Israels Krieg in Gaza. Sie sagte etwas Interessantes: Wenn unser Land wirklich die Palästinenser unterstützen wollte, würde es, wie Südafrika, Israel vor internationale Gerichte bringen, statt Terroristen zu unterstützen.

Apropos: Ist die palästinensische Sache ein großes Thema in Iran?

Nein. Der Gazakrieg zum Beispiel ist in den USA ein viel größeres Thema als in Iran. Es ist ungewöhnlich, dass Iraner das Thema in Gesprächen erwähnen oder dass es Gegenstand politischer Debatten ist. Aber dass sich Menschen nicht für die palästinensische Sache interessieren, bedeutet nicht, dass sie Israels Krieg unterstützen. Es ist einfach etwas, das anderswo passiert.

Woran machen Sie das fest?

In den USA, Deutschland, Großbritannien und natürlich in der gesamten Region gab es Proteste für Palästina. Nicht aber in Iran. Selbst zu den von der Regierung organisierten Versammlungen kommt keine nennenswerte Anzahl von ­Menschen. Viele, die die Nachrichten verfolgen, sind über den Krieg und die humanitäre Krise empört. Aber sie fühlen sich der palästinensischen Sache nicht besonders verbunden. Viele haben eine natürlichere Affinität zum Kampf gegen die Taliban in Afghanistan. Das ist unser Nachbarland, die Menschen sprechen dieselbe Sprache und es gibt Millionen Afghanen in Iran.

Als nicht arabisches Land hat Iran Ihrer Meinung nach per se weniger Interesse an Palästina?

Mit Sicherheit. Palästina ist die arabische Sache. Viele Iraner sind kritisch gegenüber der arabischen Welt. Sie sehen arabische Länder als traditionelle Rivalen Irans. Das Land wurde im siebten Jahrhundert von Arabern überfallen und hat eine sehr komplizierte historische Beziehung zu den arabischen Nachbarn. In der iranischen Gesellschaft gibt es wahrscheinlich mehr Feindseligkeit gegenüber Arabern als gegenüber Juden oder Israelis.

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1 Kommentar

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  • Was soll ich sagen? Im Grunde formuliert Arash Azizi eine WAHRHEIT, die so grundlegend ist, dass man sich eigentlich wundert, wie oft erst daran erinnert werden muss: Die einfachen Menschen selbst haben meist KEIN Problem mit den Andern. Sie würden jederzeit gern mit denen in Frieden leben. Leider sind da aber jedes Mal und überall viele - die ganz andere Interessen haben, weil sie an Konflikten und Kriegen handfest verdienen.

    Politiker, die angebliche Lösungen anbieten - und so ihre eigene Macht ausbauen und stärken. Windige Geschäftemacher, für die der "Rubel" stets rollt (Wobei man sich nicht scheut, beide Seiten dann mit Waffen – und allem anderen - zu bedienen.). Und nicht weniger die, die dann die Massen unter den Fahnen ihrer Ideologie versammeln - um sich selbst zu profilieren. Als Weltenretter. Oder wegen anderer "edler" Ziele.

    Die meisten Menschen wollen eigentlich nur eins: Schmerz und Elend vermeiden. Und ein einigermaßen angenehmes Leben führen. Nur die wenigsten wollen am Ende "Helden" sein: Tief im Erdreich begraben - wenn auch mit Orden gesäumt ...

    Wie viele Kinder müssen oft erst sterben - damit sich zwischen Zweien verschiedene Ansicht klärt: Wem man am Ende nämlich die Steuern zahlt. Denn das ist's, was am Ende zählt. Denn gezahlt werden muss, ganz gleich wer je gewinnt: Der Gewinner fordert diese am Ende von jedem ein. Keiner, der wirklich allein stets nur zum Wohle des sogenannten Volkes, also der Bürger regiert und handelt. Im Gegenteil: Immer ist da zuerst das Eigeninteresse. Ich hab's in der „Diktatur“ - wie auch in der „Demokratie“ so erlebt; kein Stück voneinander verschieden …