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„Er soll weltweit angewandt werden“

Einen Leitfaden, um Schulbüchern den Rassismus auszutreiben, hat das Braunschweiger Leibniz-Institut für Bildungsmedien erstellt. Die globale Ausrichtung birgt Schwierigkeiten

Interview Benno Schirrmeister

taz: Frau Yu, ist Ihr Antirassismus-Leitfaden eine Auftragsarbeit der Unesco?

Simiao Yu: Genau. Die Initiative und das Konzept kamen von der Unesco, die eine erste Idee hatte, wie dieser Leitfaden aussehen könnte – also, was seine Zielrichtung ist und dass er auf einer Auswertung von Schulbuchstudien basieren soll. Wichtig war in dem Zusammenhang auch seine internationale Ausrichtung.

Deshalb auf Englisch: Das ist also kein Leitfaden für deutsche Schulbuchredaktionen?

Er ist noch nicht einmal auf Europa beschränkt. Er soll weltweit angewandt werden. Das birgt auch einige Schwierigkeiten.

Klar: Wenn der Leitfaden zu allen Bildungssystemen weltweit passen soll, verwässert er dann nicht automatisch?

Die Gefahr besteht. Daher war auch unsere erste Überlegung, wie man allgemeine Empfehlungen für den weltweiten Gebrauch formulieren kann. Unser Leitfaden bezieht sich daher fast ausschließlich darauf, wie Schulbücher inhaltlich verbessert werden können, also wie sie rassismuskritischer gestaltet und diskriminierende Darstellungen vermieden werden können. Allgemeine Überlegungen zu ihrer Produktion, zur Ausbildung von Lehrkräften und zur Unterrichtspraxis, aber auch bezüglich der Rolle von Zivilgesellschaften, stellen wir zwar im dritten Abschnitt des Leitfadens an. Aber der Fokus liegt auf den Inhalten. Erste Zielgruppe des Leitfadens sind Ak­teu­r*in­nen der Lehrplanentwicklung und Bildungsmedienproduktion sowie Politiker*innen, die im Vorfeld Entscheidungen treffen.

Also kein Buch für Lehrkräfte?

Doch durchaus: Lehrkräfte, die ein Schulbuch im Unterricht anwenden wollen und sich fragen, ob die Darstellungen akkurat oder repräsentativ sind – oder eben Gefahr laufen, rassistisch und diskriminierend zu wirken.

Und wie bekommen Sie es hin, antirassistische Inhalte zu entwerfen, die überall und auf alle Fächer passen?

Simiao Yu

Künstlerin, Kunstpädagogin und Sinologin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Braunschweiger Leibniz-Institut. Sie ist Ko-Autorin der Unesco-Publikation „Unmasking Racism: Guidelines for Educational Materials“ (2024).

Die Empfehlungen basieren im Grunde auf einer Meta-Analyse …

Das heißt?

Wir haben nicht selber in die Schulbücher hineingeguckt. Um die internationale Perspektive wirklich zu verankern, war es nötig, eine Auswertung von bestehenden Schulbuchstudien aus rund den letzten zehn Jahren und aus verschiedenen Gesellschafts- und Bildungskontexten vorzunehmen. Wir können mit unserer beschränkten Perspektive oft ja gar nicht beurteilen, ob beispielsweise die Darstellung von Sami in norwegischen oder von Indigenous Australians in australischen Schulbüchern repräsentativ ist. Wir wissen nicht, ob Teile der Geschichte fehlen. Deswegen stützen wir uns auf inhalts- und diskursanalytische Untersuchungen von Ex­per­t*in­nen der jeweiligen Gesellschaft und deren Einordnung dessen, was in diesen Schulbüchern vorzufinden sind.

Wobei auch die Studienlage heterogen ist: Es gibt kaum Studien zu Schulbüchern des Kamerun oder aus Nepal.

Das stimmt. In einigen Ländern gibt es sehr viele Studien, manchmal auch in einem kleinen Zeitraum, weil vielleicht das Thema gerade hitzig diskutiert wird. Und dann gibt es ganze Weltregionen, wo wir überhaupt keine Studien haben.

Wie sind Sie mit solchen Lücken umgegangen?

Wir haben uns entschieden, nicht regional vorzugehen, sondern uns einzelne Diskurse anzuschauen. Das Verständnis von Rassismus, die Art, wie Rassismus sich in einer Gesellschaft etabliert, aber auch, wie und ob man über Rassismus spricht, das sind diskursive Aushandlungsprozesse. Wir haben sechs rassismusrelevante Diskurse sozusagen herausgepickt. Diese haben wir so flächendeckend wie möglich bearbeitet.

„Wir haben uns sechs rassismusrelevante Diskurse sozusagen herausgepickt. Diese haben wir so flächendeckend wie möglich bearbeitet“

Welche zum Beispiel?

Das erste Kapitel behandelt Rassismus im Kontext von Migration und fragt nach den Einstellungen der postmigrantischen Gesellschaft: Über Migration wird in Kanada und den USA anders gesprochen als in Deutschland oder Spanien. Ein anderes Kapitel behandelt den großen Bereich, den wir nach Stuart Hall „The West and the Rest“ genannt haben, der also Vorstellungen und Gegenüberstellungen von globalem Norden und Süden untersucht. Es gibt aber auch am Ende ein Kapitel zu „Whiteness“ also zum Weißsein: Rassismus wird oft als Angelegenheit der marginalisierten Gruppen besprochen. Aber was heißt es, Rassismus aus einer gesellschaftlich dominanten Perspektive zu betrachten?

Läuft der Leitfaden dabei nicht Gefahr, aus einer dominanten Perspektive Standards zu setzen in Bezug auf Rassismus?

Es stimmt, viele Studien kommen tatsächlich gerade in diesem Kapitel aus europäischen Ländern oder Nordamerika. Das ist ein wunder Punkt. Die Einschränkung ist: Wir können, wenn beispielsweise aus Indien keine Schulbuchstudien zum Thema Migration und Rassismus vorhanden sind, im Leitfaden dazu auch nichts formulieren. Wir können nur über das schreiben, wozu Studien vorliegen. Wir hoffen aber trotzdem, dass die Erkenntnisse und die konstruktiven Empfehlungen, die wir daraus ableiten, auch in den Ländern hilfreich sind, aus denen wir keine Studien haben. Das bleibt aber schwierig, weil man dann bei der Formulierung noch so konkreter Empfehlungen teilweise immer noch auf einer allgemeinen Ebene verharrt und Gefahr läuft, gesellschaftsspezifische Bedingungen zu übersehen.

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