Von Fehlerkultur keine Spur

Der Polizeibeauftragte legt seinen Jahresbericht vor und spart nicht mit Kritik an der Polizei

Von Hanno Fleckenstein

Es ist mitten in der Nacht, als die Bewohnerin eines Mehrfamilienhauses die Feuerwehr ruft. In einer benachbarten Wohnung, die vermutlich leer steht, piepst der Rauchmelder. Wenig später klingelt es bei ihr an der Tür, sie öffnet – und blickt in den Lauf einer Pistole, jemand brüllt „Polizei!“, und dass sie ihren Ausweis zeigen soll.

Völlig perplex schickt die Bewohnerin die Polizisten zwei Etagen tiefer zur richtigen Wohnung. Eigentlich hatte sie das richtige Stockwerk schon am Telefon mitgeteilt. Später beschwert sie sich beim Berliner Bürger- und Polizeibeauftragten Alexander Oerke über das Handeln der Be­am­t*in­nen. Und so findet sich ihre Geschichte neben anderen im Jahresbericht von Oerke, der vor Kurzem veröffentlicht wurde. 2022 gewählt, soll Oerke ein offenes Ohr für die Bür­ge­r*in­nen haben: Sein Amt ist für alle Beschwerden zuständig, die sich gegen die Polizei oder andere Landesbehörden richten. Einmal im Jahr verfasst er einen Bericht über seine Tätigkeiten.

429 abgeschlossene Fälle

2023 haben der Beauftragte und sein Team insgesamt 429 Fälle abgeschlossen. Darunter waren 255 Beschwerden an ihn als Bürgerbeauftragten – also etwa bei schlechten Erfahrungen auf dem Amt – und 125 Beschwerden an ihn in der Funktion als Polizeibeauftragten. Zudem wurden 21 Eingaben von Po­li­zis­t*in­nen bearbeitet, etwa zum Arbeitsschutz.

Im Schnitt ist ungefähr jeder sechste Fall, der 2023 auf dem Tisch des Polizeibeauftragten landete, noch offen. Zudem sind 14 Sachverhalte „nicht zu klären“. Anders sieht es bei den Fällen aus, bei denen es nicht um die Polizei geht: Hier sind nur 3 Fälle offen geblieben und 7 ungeklärt. Laut Oerke gestalte sich die Arbeit mit der Polizei „deutlich schwieriger und langwieriger“ als mit den anderen Landesbehörden.

Dabei bemängelt der Polizeibeauftragte vor allem die „Fehlerkultur“: „Manche Antworten waren erkennbar von dem Bemühen getragen, keine Fehler zugeben zu wollen.“ Die Aufklärung von Fehlverhalten laufe schleppend, Antworten bräuchten oft mindestens vier Wochen, manchmal seien „unglaubhafte Aussagen von Dienstkräften nicht hinterfragt“ worden.

Fehler werden vertuscht

Oerke zeigt sich enttäuscht: Er habe stets um Verständnis geworben, dass bei der Polizei mit ihren 27.000 Beschäftigten Fehler vorkommen können. Wenn aber versucht werde, Fehlverhalten „schönzuschreiben“ oder um jeden Preis zu rechtfertigen, werde „enttäuschtes Vertrauen in die Polizei vertieft, anstatt es wiederherzustellen“, so der Beauftragte.

Auch an die Innenverwaltung von Senatorin Iris Spranger (SPD) und die Staatsanwaltschaft richtet Oerke deutliche Worte. Denn sobald ein Fall auch Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens ist, bekommt er – anders als etwa der Bundespolizeibeauftragte – keine Einsicht in die Akten. „Diese Beschränkung des Auskunfts- und Einsichtsrechts des Polizeibeauftragten geht zu weit“, beklagt er. Es ist ein fataler Mechanismus, denn oft werden die Ermittlungen erst eingeleitet, wenn sich jemand beschwert. Und schon hat Oerke kein Einsichtsrecht mehr. „Angesichts dessen haben Beschwerdeführende schon gefragt, warum sie sich an den Polizeibeauftragten wenden sollten“, so Oelke.

Vasili Franco, Innenexperte der Grünen-Fraktion, forderte mehr Kompetenzen, um in laufenden Verfahren eine Schlichtung zu ermöglichen: „Es ist schwer, Vertrauen aufzubauen, wenn Verfahren erst nach mehreren Jahren ernsthaft bearbeitet werden können.“ In Richtung der CDU, die 2022 als einzige Fraktion gegen den Polizeibeauftragten gestimmt hatte, sagte Franco, der Vorwurf des Generalverdachts erweise sich als „populistische Stimmungsmache“.

Der Bericht offenbart weitere teils verstörende Vorfälle: darunter ein Fall, in dem die Polizei einem mutmaßlichen Täter häuslicher Gewalt die neue Adresse seiner Ex-Partnerin preisgab. Auch prangert er den Umgang mit psychisch erkrankten Personen an und bezieht sich unter anderem auf den von ihm gesondert überprüften Fall von Medard Mutombo, der nach einem Polizeieinsatz gestorben war.

Die Grünen wollen Oerke in den Innenausschuss einladen. Später wird er den Bericht im Abgeordnetenhauses vorstellen.