: Kein Ufo vom Planeten Kunst
Seit 15 Jahren fördert der Kotti-Shop am Kottbusser Tor mit künstlerischen Formaten Austausch und Dialog mit der Nachbarschaft. Die Berlinische Galerie widmet dem Kreuzberger Kunstraum jetzt eine Ausstellung
Von Andreas Hartmann
Das Kopiergerät läuft heiß an diesem Sonntagnachmittag in der Berlinischen Galerie, dem Museum für moderne Kunst in Kreuzberg. Der Kunstraum „Kotti-Shop“, der sich seit 15 Jahren im Hinterhof des Neuen Kreuzberger Zentrums am Kottbusser Tor befindet, darf hier in einem eigenen Projektraum noch bis Mitte Mai seine künstlerische Arbeit präsentieren. Und jeden ersten Sonntag im Monat wird zum Workshop im Museum geladen.
Wie gut das bei den Besuchern und Besucherinnen ankommt, lässt sich auf den ersten Blick erkennen. An den Tischen wird geschnipselt und gemalt, und Stefan Endewandt, einer der beiden Köpfe hinter dem Kotti-Shop, kommt zu nichts anderem mehr, als den Kopierer zu betätigen, um neue Malvorlagen ausgeben zu können. Während Julia Brunner, die andere Hälfte hinter dem Kotti-Shop, Interessierten erklärt, um was es hier eigentlich genau geht.
Nämlich darum, zu zeigen, was die Idee hinter dem Kotti-Shop ist. Dieser versteht sich nicht als Ufo vom Planeten Kunst, das aus Versehen mitten im sozialen Brennpunkt gelandet ist. Brunner und Endewardt verstehen ihren Ort vielmehr als Raum für die direkte Nachbarschaft. „Wir schaffen Formen, in denen andere sprechen“, so Endewardt. Nicht die beiden Kunstschaffenden wollen im Kotti-Shop ihre Kreativität ausleben, sondern sie möchten Menschen aus der direkten Umgebung ermutigen, sich gemeinsam künstlerisch auszudrücken. „Konzeptkunst mit partizipativem Ansatz“ habe das mal ein Freund von ihnen genannt, so Endewardt.
Ihr wichtigstes Projekt haben er und Julia Brunner „Collagebasiertes Kaffeetrinken“ getauft. Bei diesem sind Kreuzberger und andere Berliner dazu eingeladen, Collagen zu erstellen, die sich um ihr eigenes Leben in Bezug auf den urbanen Raum drehen sollen. Es gab für den Kotti-Shop bereits mehrfach die Möglichkeit, die dabei entstandene Kunst und die eigene Arbeitspraxis zu präsentieren. Im öffentlichen Raum bei temporären Kunstaktionen und auch in Institutionen wie etwa dem HAU. Aber über einen solch langen Zeitraum hinweg wie nun und das auch noch an einem derart renommierten Ort, das gab es bisher noch nicht. Endewardt sagt, er begreife das als eine Adelung: „Dafür haben wir aber auch 15 Jahre lang gekämpft.“
In der Berlinischen Galerie, wo beim Workshop das „Collagebasierte Kaffeetrinken“ im Kotti-Shop sozusagen nachgestellt wird, werden Stadtansichten am Kopiergerät vervielfältigt, die die Museumsbesucher dann am Leuchttisch abpausen. Oder sie bekommen Fotografien von sich selbst überreicht, die sie nachzeichnen. Alles immer ausschließlich in Schwarz-Weiß. Das habe sich einfach bewährt, so Endewardt.
An den Wänden des Projektraums in der Berlinischen Galerie haben diese wild zusammengewürfelten Collagen bereits begonnen wie Pflanzen zu wuchern. Zwischen den Stadtimpressionen und Zeichnungen von Menschen finden sich auch kleine Textschnipsel. „Tötet keine Tiere!“ steht da zum Beispiel geschrieben. Oder auch: „Aus Liebe zur Welt eine Welt voller Liebe.“
An Hörstationen wird in der Berlinischen Galerie erklärt, was der Kotti-Shop überhaupt ist. Und überall im Raum hängen großformatige Stoffbahnen, auf denen Bilder direkt vom Kotti zu erkennen sind, dem wichtigsten Ort der Welt für den Kotti-Shop.
Zum Plaudern mit Julia Brunner und Stefan Endewardt kommt man an diesem sonntäglichen Workshop-Nachmittag im Museum nicht. Dafür ist der Trubel viel zu groß. Im Kotti-Shop selbst kann man sich derzeit für ein Gespräch auch nicht niederlassen. Man sieht den Räumlichkeiten an, dass hier viel vorbereitet wurde für den großen Auftritt im Museum. Und dass seitdem noch keine Zeit dafür gefunden wurde, wieder aufzuräumen. Doch seit Corona, so Julia Brunner, arbeite und sitze man eh lieber vor der Tür. Auch weil man damit sichtbarer sei für die Nachbarschaft.
Dass diese genau weiß, wer Julia Brunner und Stefan Endewardt sind, wird schnell klar, wenn man mit diesen vor ihrem Kunstraum sitzt. Immer wieder kommen Nachbarn aus dem Neuen Kreuzberger Zentrum vorbei, in dem Endewardt selbst auch lebt, und jedes Mal gibt es ein großes Hallo und Umarmungen.
Es ist Mittwoch, und gleich beginnt das nächste Kaffetrinken plus Collagieren. Nur weil man jetzt auch im Museum ist, heißt das nicht, dass die Veranstaltung ausfällt. Julia Brunner nennt die Ausstellung im Museum eine Reflexion der eigenen Arbeit nach so vielen Jahren, die guttue. Und dass beim Workshop so viel los war, zeigt, dass sie und Stefan Endewardt mit dieser einen Nerv getroffen haben müssen. „Es gibt ein Bedürfnis für Teilhabe“, so Endewardt. Diese Aussage bezieht sich auf die Lust am Collagieren. Gleichermaßen aber auch auf die teilweise sozial unterprivilegierte Nachbarschaft am Kotti, die gerne ein selbstverständlicher Teil der Berliner Gesellschaft sein möchte.
Kotti-Shop/SuperFuture – Formen der Verhandlung. Berlinische Galerie bis zum 13. Mai 2024. Nächster Workshop im Museum: 7. April ab 12 Uhr
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