: Hamburg sucht sein Heil beim großen Geld
Weil der Hafen abgehängt zu werden droht, will der Senat eine Großreederei an seinem zentralen Hafenunternehmen beteiligen
Von Gernot Knödler
Der rot-grüne Hamburger Senat will sich einen großen Investor in den Hafen holen: die weltweit größte Reederei MSC mit Sitz in der Schweiz – ein zig Milliarden schweres Familienunternehmen mit einer Flotte von rund 800 Schiffen.
Anders als der Einstieg der chinesischen Reederei Cosco im Hamburger Hafen hat der geplante Deal keine Alarmglocken im Bundeswirtschaftsministerium klingeln lassen und auch keine bundesweite Debatte über die Sicherheit kritischer Infrastruktur ausgelöst. Dabei ist dieser Schritt weitaus größer, denn der Senat verkauft nicht nur einen kleinen Anteil eines einzelnen Containerterminals wie bei dem umstrittenen Cosco-Deal, sondern fast die Hälfte des bedeutendsten Hafenunternehmens: der Hamburger Hafen- und Logistik AG (HHLA).
Diese betreibt nicht nur drei von vier Containerterminals im Hamburger Hafen – sowie weitere in Odessa, Tallinn und Triest –, sondern auch die recht profitable Eisenbahngesellschaft Metrans, die die Container mit beinahe 100 Zügen täglich weitertransportiert, etwa nach Polen, Tschechien oder Ungarn. Dazu kommt der Umschlag von Massengütern wie Erz und Getreide, Früchten und Autos. Und nicht zuletzt gehört das Weltkulturerbe Speicherstadt der HHLA.
Nicht verbunden mit dem MSC-Geschäft wäre ein Verkauf des Hafens an sich. Denn die HHLA ist zwar das weitaus größte und bedeutendste, aber nicht das einzige Unternehmen, das im Hafen arbeitet. Seine Kräne jedoch stehen auf Kais, die die Stadt errichtet hat, und seine Züge fahren auf Schienen, die die Stadt unterhält. Sprich: Grund und Boden samt der grundlegenden Infrastruktur gehören der Stadt und werden auch nicht veräußert.
Dessen unbesehen hätte der Vertrag mit MSC eine neue Qualität. Denn anders als Cosco mit seiner 24,99-Prozent-Beteiligung am Terminal Tollerort oder Hapag-Lloyd mit seiner 25,1-prozentigen Beteiligung am Terminal Altenwerder würde MSC einen maßgeblichen Einfluss auf die Dachgesellschaft bekommen. Das löst Sorgen aus, nicht nur bei der Arbeitnehmerschaft.
Der Betriebsrat befürchtet, dass trotz anderweitiger Versprechen die Mitbestimmung ausgehebelt werden könnte. Es dürfe keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Diese aber sind nur für die nächsten fünf Jahre ausgeschlossen. Die CDU brachte die Frage ins Spiel, ob ein derart finanzkräftiger Investor wie MSC die Stadt nicht überfordern könnte. Vertreter der Hafenwirtschaft befürchten, dass MSC Daten über Wettbewerber zufließen könnten, so etwa der kürzlich in den Ruhestand verabschiedete Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg, Gunter Bonz.
Die Linke erinnert daran, dass die SPD 2007 eine Teilprivatisierung der HHLA durch den CDU-geführten Senat abgelehnt habe. Dieser verkaufte 30 Prozent der HHLA-Anteile an der Börse, um mit dem Erlös die Infrastruktur des Hafens auszubauen, wie gesagt: Hafenbecken, Kais, Gleise. Der damalige Vorstandsvorsitzende der HHLA, Klaus-Dieter Peters, plädierte dafür, nicht nur den Erlös im Auge zu behalten, sondern auch den Einfluss der Stadt. Ein Verkauf von 49 Prozent an einen Investor sei nicht zu vergleichen mit der Ausgabe stimmrechtsloser Aktien.
Gerade umgekehrt argumentiert die heutige Wirtschaftsssenatorin Melanie Leonhard (SPD). Der Markt habe sich durch die Konzentrationsprozesse stark verändert, sagte sie im Wirtschaftsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft. Die Börsennotierung mit Streubesitz sei aus heutiger Sicht nicht mehr optimal. „Wir haben eine Entscheidung getroffen, von der wir glauben, dass sie der Stadt mehr Kontrolle bringt“, sagte Leonhard.
MSC werde 225 Millionen Euro an frischem Eigenkapital einbringen, stellte die Senatorin in Aussicht. Das sei angesichts der Lage am Kapitalmarkt ein „relevantes Commitment“. Noch einmal so viel soll die Stadt beisteuern – das wäre dann ein Zuwachs von mehr als 50 Prozent. Zudem wollen die neuen Partner in den Jahren 2025 bis 2028 gemeinsam 775 Millionen Euro in die HHLA investieren. Das Unternehmen hat allein im letzten ausgewiesenen Jahr 2022 rund 787 Millionen Euro aus eigener Kraft investiert. Der Stadt würde der Verkauf gut 230 Millionen Euro einbringen. Die Summe bemisst sich nach dem durchschnittlichen Aktienkurs der drei Monate vor der Vereinbarung zwischen dem Senat und MSC. Damit hat der Senat aber den mit Abstand schlechtesten Kurs der vergangenen drei Jahre erwischt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen