„Kafka“ in der ARD: Ein humorbegabter Sonderling
Die Miniserie „Kafka“ setzt neue Maßstäbe. David Schalko und Daniel Kehlmann zeigen darin Realität und Fiktion in Franz Kafkas Leben.
Mit der Darstellung unverrückbarer biografischer Wahrheiten hat es der Erzähler der sechsteiligen Miniserie „Kafka“ nicht so. Und das ist eine der vielen Vorzüge der von Regisseur David Schalko und Drehbuchautor Daniel Kehlmann konzipierten TV-Produktion, deren Erzählinstanz im Lauf der Episoden zuweilen ratlos erscheint, mit dem erzählten Stoff ringt, sich irrt und lautstark Widerspruch erfährt durch die Figuren der Handlung.
Gleich zu Beginn heißt es durch den von Michael Maertens gesprochen Off-Erzähler nach Nennung einiger biografischer Eckpunkte im Leben Kafkas: „Nein, man muss anders anfangen.“ Die Schalko-Kehlmann-Inszenierung setzt schließlich im Jahr 1939 ein, Jahre nach dem Tod ihres Protagonisten. Max Brod, mit umarmend-warmherzigem Gestus verkörpert von David Kross, bringt die gesammelten Schriften seines Freundes Franz im Zug von Prag nach Polen vor den Nazis in Sicherheit. Obwohl Brod sich über den dezidierten Willen des Freundes hinwegsetzt – Kafka verfügte, dass seine Schriften zu vernichten seien –, markiert die Fernsehproduktion hier wie an vielen anderes Stellen der sechs Episoden einen Bruch mit dem vertrauten Bild des einsamen Solitärs, Literaturheiligen, Propheten und zeigt vielmehr einen integral ins soziale Band seiner Mitwelt eingebundenen Autor.
Verkörpert wird er auf schlichtweg geniale Weise vom Schauspieler Joel Basman. Sein Kafka ist ein rätselhafter Sonderling und hinreißend humorbegabter Charismat zugleich. Die Anziehungskraft entspringt seinen vielen Idiosynkrasien. Zu einer seiner Angewohnheiten zählt es, jeden Bissen seiner spärlich eingenommenen Mahlzeiten vor dem Schlucken vierzigmal gründlich durchzukauen – die „Fletcher-Methode“ pflegt der Autor befremdete Zuschauer aufzuklären.
Der Hagere bringt mit seinen sonderbaren Marotten Freunde zum Schmunzeln, darunter die Angehörigen des Prager Literatenkreises. Der Vater reagiert angesichts der Eskapaden seines Sohnes zusehends ungehalten. Zeit seines Lebens wird Kafka mit seinem Verhältnis zur patriarchalen, überlebensgroß anmutenden Vaterfigur, in der Serie mit imposantem Körpereinsatz gespielt von Nicholas Ofczarek, ringen. Der berühmte „Brief an den Vater“ wird das Familienoberhaupt nie ereilen, doch ist Gegenstand regen Austauschs zwischen Kafka und der Geliebten Felice Bauer (Lia von Blarer).
Erschreckende Einzelheiten
Zwischen Felice und ihm entspinnt sich ein reger Briefwechsel. Das Schreiben befeuert Kafkas literarische Produktion. David Schalkos Serie zeigt Franz Kafkas literarisches Schaffen als zutiefst kommunikativen Akt, in dessen Zentrum das Vorlesen steht: gegenüber den Geliebten, dem Freund Brod, auch dem Publikum. Zur Münchner Lesung seiner „Strafkolonie“-Erzählung wird sich der ätherisch anmutende Dichter Rilke (Lars Eidinger) begeben.
In allen erschreckenden Einzelheiten entwirft Kafka hier die quälende Fantasie einer Maschine, die Delinquenten als Strafe den Urteilsspruch in die Haut stanzt. Eine Marter, die zum Tod der Schuldigen führt. In sublimer Weise angetan von dem Vortrag zeigt sich der Eidinger-Rilke. Regisseur Schalko und sein Kameramann Martin Gschlacht finden hier wie auch an anderer Stelle präzise, ungeschönte Bilder. Realität und Fiktion in Kafkas Leben zeigen sie im steten, fließenden Übergang, avanciert und unerwartet.
In einer Szene tauchen die hochaufgelösten Bilder der Inszenierung in leuchtende Primärfarben – Rot und Blau. Die überraschende Bildsprache ermöglicht statt eingeübter Autorbetrachtung einen gänzlich neuen Zugang zum Menschen Kafka, der auch ein junges Publikum versteht mitzunehmen.
Anstatt des Biopic-üblichen lapidaren Wegbiografierens ganzer Lebensjahrzehnte konzentriert sich „Kafka“ mit dramaturgischem Geschick auf sechs biografische Schwerpunkte. Darunter auch die schrecklich-schön verkopften Liebesbeziehungen zu Milena Jesenká (Liv Lisa Fries) und Dora Diamant (Tamara Romera Ginés). Reiner Stachs dreibändige Kafka-Biografie adaptiert Schriftsteller Daniel Kehlmann dabei zu einem fulminanten Drehbuch, dessen glänzende Dialogpassagen es verstehen, einen Ton zwischen literarischer Künstlichkeit und pointierter Alltagssprache zu finden. Schalkos und Kehlmanns „Kafka“ setzt hierbei Maßstäbe für künftige Biopic-Serien.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche