Kampf um den Bundesliga-Aufstieg: Meisterstück mit Schönheitsfehler

Im Spitzenspiel der Zweiten Fußball-Bundesliga schlägt St. Pauli den Gastgeber Holstein Kiel mit 4:3 – verdient und am Ende ein bisschen glücklich.

Ein Fußballspieler im weißen Trikot und brauner Hose breitet die Arme aus

Jetzt bloß nicht abheben: Conor Metcalfe feiert seinen Treffer zum 4:1

KIEL taz | So langsam kann man schon die Frage stellen, wer oder was den FC St. Pauli noch stoppen soll auf dem Weg in die erste Fußball-Bundesliga. Holstein Kiel ist aus dem Casting für diese Rolle jedenfalls spektakulär ausgeschieden. Mit 3:4 unterlag der erste Verfolger dem Tabellenführer im Kieler Holsteinstadion und liegt nun schon sechs Punkte zurück.

Dabei hatte vorher vieles für ein Duell auf Augenhöhe gesprochen. Die Kieler finden sich auch zur eigenen Überraschung an der Tabellenspitze wieder, hatten nach einem radikalen Umbruch im Team eigentlich eine Übergangssaison angepeilt. Doch als sie kurz vor der Winterpause noch St. Pauli von Platz eins verdrängten, mussten sie die Ziele neu justieren.

Als dann sich die beiden treffsichersten Angreifer Fiete Arp und Benedict Pichler verletzten, beorderte Trainer Marcel Rapp Steven Skrybski in den Sturm – und die Kieler machten einfach weiter, als wäre nichts passiert. In der Vorwoche hatten sie den Aufstiegskonkurrenten Paderborn auswärts lässig mit 4:0 aus dem Weg geräumt.

St. Pauli hat in den vergangen Wochen gelernt, mit Rückschlägen umzugehen: Nach dem Ausscheiden aus dem DFB-Pokal haben die Hamburger Verfolger Fürth abgeschüttelt, die erste Liga-Niederlage in Magdeburg weggesteckt und sich trotz langer Unterzahl zu einem knappen Sieg gegen abstiegsgefährdete Braunschweiger gequält.

Meisterstück in der ersten Halbzeit

In Kiel schien es, als würden sie ihr Meisterstück abliefern: Sie nahmen die mutig, aber glücklos nach vorn spielenden Gastgeber regelrecht auseinander, nach einer guten halben Stunde stand es 0:3. Spätestens beim 1:4 schien alles gelaufen. Wie eng es in dieser zweiten Liga zugeht, sollte sich aber noch zeigen: St. Pauli ließ nur ein kleines bisschen locker – und die Kieler kamen noch auf 3:4 heran, hätten beinahe noch ausgeglichen.

Dennoch, am Ende war St. Paulis verdienter Sieg ein weiterer Beleg dafür, wie konstant die Mannschaft die Liga dominiert. Wer also sollte sie stoppen? Das Gastspiel beim Lokalrivalen HSV, der mit neuem Trainer auch noch um den Aufstieg mitspielen will, könnte Anfang Mai schon zu spät dafür kommen.

Aber da ist ja noch St. Pauli selbst. Der Verein liefert sich mittlerweile seit Monaten eine zunehmend öffentliche Auseinandersetzung mit Cheftrainer Fabian Hürzeler um die Verlängerung seines zum Saisonende auslaufenden Vertrags.

Der ehrgeizige Coach will unbedingt in die erste Liga. Er soll deswegen verlangen, so berichten es die Hamburger Medien unisono, dass in seinem neuen Vertrag eine Ausstiegsklausel steht. So weit, so branchenüblich. Das Problem: Hürzeler will, dass die Klausel schon in diesem Sommer greift, also die Verlängerung praktisch annullieren würde.

St. Pauli könnte also in die Situation geraten, aufzusteigen und machtlos zusehen zu müssen, wie der Architekt des Aufstiegs bei einem Ligakonkurrenten anheuert, der eine schlagkräftigere Mannschaft finanzieren kann.

Das will man am Millerntor unbedingt vermeiden. Sportchef Andreas Bornemann ließ seinem Angestellten deshalb über den Kicker ausrichten, dass er eine Klärung noch im Februar wünsche. „Irgendwann sind alle Argumente ausgetauscht“, so Bornemann, „dann dreht man sich im Kreis.“ Was Hürzeler auf gleichem Wege zwei Tage später keck dementierte: „Ich sehe nicht, dass wir uns im Kreis drehen.“

Eine Situation, die der Club nicht lange tolerieren kann, denn es besteht immer das Risiko, dass das fehlende Bekenntnis bei der Mannschaft als mangelnde Überzeugung ankommt und so Unruhe schürt.

Trennung zum Saisonende möglich

Es könnte deshalb auf eine Trennung zum Saisonende hinauslaufen. Sogar eine sofortige Entlassung – auf Tabellenplatz eins stehend – soll im Präsidium kurz diskutiert, aber verworfen worden sein, wie das Hamburger Abendblatt berichtete.

Doch bislang hat der 30-Jährige, der bei St. Pauli erst vor einem guten Jahr vom Co-Trainer zum Chef aufgestiegen war, starke Argumente auf seiner Seite. Er hat eine Spielidee entwickelt, mit der St. Pauli fast jeden Gegner dominieren kann und die sogar erstligatauglich aussieht. Auch ohne echten Torjäger ist seine Mannschaft immer torgefährlich. Und sie folgt ihrem Chef, obwohl der taktisch wie läuferisch höchste Ansprüche stellt.

In Kiel verläuft alles vergleichsweise unaufgeregt ab: Man ist froh, in Marcel Rapp einmal mehr ein Trainertalent entdeckt zu haben. Sollte der Aufstieg noch gelingen, wäre das eher ein Bonus – würde den Verein aber auch unter Zugzwang setzen. Der wegen der Baupreise auf Eis gelegte Ausbau des Holsteinstadions müsste endlich beginnen, ohne dass dafür ein Finanzier bereit stünde.

Am Freitagabend war das urige Konglomerat aus Nachkriegs-Treppen und Behelfs­­tribüne, aus Plastik-Pavillons und Container-Anbauten mit 15.034 Fans rappelvoll. Dass in diesem Büdchen-Ensemble Erstligafußball gespielt wird, ist schwer vorstellbar. Auch wenn es schön wäre.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.