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Alle gegen alle oder gegen die AfD?

Die Demonstrationen gegen Rechtsextremisten und ihre Deportationspläne sprengen die eingespielte Dramaturgie der Generaldebatte. Der Auftritt von AfD-Chefin Alice Weidel macht deutlich, dass sich die De­mo­kra­t:in­nen im Bundestag zusammenraufen müssen

Gänzlich ohne einen Schlagabtausch kamen Bundeskanzler Olaf Scholz und Oppositions­führer Friedrich Merz bei der General­debatte am Mittwoch im Bundestag nicht aus Foto: Kay Nietfeld/dpa

Von Anna Lehmann

Wo sitzt der politische Gegner – links oder rechts von der Union? Unionsfraktionschef Friedrich Merz hatte am Donnerstag im Bundestag wahrlich keine einfache Aufgabe. Traditionell dient die Generaldebatte, offiziell aufgehängt am Haushalt des Kanzleramts, dem politischen Schlagabtausch zwischen Oppositionschef und Kanzler.

Doch Merz steckte noch die berührende Gedenkstunde zum Holocaustgedenktag in den Knochen, zudem gehen gerade überall in Deutschland beinahe täglich Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Demonstrationen, die Merz ausdrücklich lobte. Die eingespielte Dramaturgie der Generaldebatte aus Rede und Gegenrede schien überholt.

Also wagte Merz den Spagat – ein Gutteil seiner Redezeit widmete er der AfD und bescheinigte den mehrheitlich männlichen Abgeordneten, die sich rechts von der Unionsfraktion in die Sessel fläzten: „Sie sind nicht die Alternative, sondern der Abstieg für Deutschland. Wirtschaftlich und moralisch.“

Zuvor teilte Merz hingegen wie gewohnt aus: gegen die Abgeordneten der Ampel, links von ihm, und den Bundeskanzler, schräg hinter ihm sitzend. Er machte die Ampel für die große Popularität der AfD in den Umfragen verantwortlich. „Die Wähler der AfD sind nicht alle rechtsradikal, aber alle frustriert.“

An der Politik der Bundesregierung ließ er kein gutes Haar. Man sei in allen wesentlichen Fragen, ob Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschafts- und Finanzpolitik, ob Arbeitsmarktpolitik oder Innen- und Rechtspolitik und nicht zuletzt der Asyl- und Einwanderungspolitik völlig anderer Meinung. Eine weitere Zusammenarbeit mit der Koalition aus SPD, Grünen und FDP schloss Merz aus. „Ersparen Sie sich und uns Ihre Aufrufe zur Zusammenarbeit.“ Auch für eine Reform der Schuldenbremse stehe seine Fraktion nicht zur Verfügung.

Um die Union könnte es demnach ziemlich einsam werden im Bundestag. Bundeskanzler Olaf Scholz, der nach Merz ans Rednerpult trat, wollte das so nicht stehenlassen. „Demokraten müssen zusammenstehen“, reichte er Merz die Hand. Zumal sich der Kanzler, der erneut für eine breitere internationale Unterstützung für die Ukraine warb, in diesem Punkt mit Merz ziemlich einig sein dürfte. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann redete Merz gut zu: „Machen Sie sich doch nicht so klein.“ Man habe doch gemeinsam viel erreicht, etwa beim Stiftungsgesetz.

Doch auch Scholz steht unter Druck. Für den Kanzler und die SPD geht es darum, den Hebel umzulegen, um sich aus dem Umfrageloch zu hieven und wieder Zutrauen zu schaffen. Die SPD will Scholz wieder kämpfen sehen. Und so streifte sich der Kanzler über die gerade noch ausgestreckte Hand eben auch die Boxhandschuhe: Im politischen Boxkampf habe Merz ein ganz schönes Glaskinn, zielte Scholz auf Merz: „Sie teilen jeden Tag gegen die Bundesregierung aus, aber wenn Sie mal kritisiert werden, sind Sie eine Mimose.“

Überhaupt, so redete sich der Kanzler in Fahrt, behindere die Union Reformen und ziehe alle Wachstumsbremsen der Vergangenheit. „Ökonomischer Sachverstand. Null. Keine ökonomische Perspektive für Deutschland.“

In der Tat erinnert das politische Programm, das Merz als Gegenentwurf zur Ampel skizzierte, stark an das letzte Jahrtausend: Die Union will Sozialausgaben beschränken, Lohnzusatzkosten deckeln, Unternehmen entlasten, Bürokratie abbauen und weg von der „einseitigen Orientierung auf erneuerbare Energien“. Das Bürgergeld bezeichnete Merz als „subventionierte Arbeitslosigkeit“, welches Leistungsbereitschaft verhindere. Dass Deutschland die höchste Beschäftigung seit Jahrzehnten hat? Geschenkt.

Es bleibt also ein Rätsel, wie unter diesen Vorzeichen eine Zusammenarbeit gelingen soll. Die Kriege in der Ukraine und nun auch in Gaza haben den Koalitionsvertrag teilweise ad absurdum geführt und seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen der Ampel Milliarden, insbesondere für den klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Verhandlungen für den Haushalt, der am Freitag mit über zweimonatiger Verspätung verabschiedet werden soll, waren nach Aussage der Haushälter von SPD, Grünen und FDP die kompliziertesten, die sie je erlebt hätten. Der Union, die nicht einen einzigen Änderungsantrag einbrachte, warfen sie gar Arbeitsverweigerung vor. Herausgekommen ist ein Haushalt der knapp 477 Milliarden Euro umfasst und dennoch enorm auf Kante genäht ist.

Die FDP lobt sich zwar, dass die grundgesetzliche Schuldenbremse eingehalten werde. Doch dürfte der nächste Haushalt noch kniffliger werden. Die Ausgaben sollen laut Finanzplanung um 25 Milliarden Euro sinken. Das bedeutet neue Sparrunden und neue Verteilungskämpfe.

„Wenn Sie mal kritisiert werden, sind Sie eine Mimose“

Bundeskanzler Scholz zu Friedrich Merz

Wie wichtig es aber wäre, dass sich die De­mo­kra­t:in­nen auch im Bundestag zusammenraufen, machte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel deutlich. Da die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht zwar offiziell noch keinen Gruppenstatus haben, aber in der Generaldebatte kaum zu Wort kamen, ist die AfD jenseits der Union nun die einzige Oppositionsfraktion.

Weidel sprach von einer „beispiellosen Verleumdungskampagne“ gegen ihre Partei, bezeichnete in ihrer Rede das Recherchenetzwerk Correctiv als mit Steuergeldern finanzierte „Hilfsstasi“ und deren Recherche über die Deportationspläne, die AfD-Politiker und Rechtsextremen schmiedeten, als „unglaubliche Lügen.“ Um dann der Ampel vorzuwerfen, dass Land mit illegalen Migranten zu „fluten“ und „den Deutschen ihre Heimat zu nehmen“. „Diese Regierung hasst Deutschland“, schrillte Weidel.

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