konjunktur
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„Eine Reform wäre am saubersten“

Der Ökonom Sebastian Dullien fordert Alternativen zur Schuldenbremse. Denn es brauche Geld für Investitionen

Eine in Bau befindliche Windkraftanlage

Auch für die Dekarbonisierung wird dringend Geld benötigt Foto: Paul Langrock

Interview Simon Poelchau

taz: Herr Dullien, das Brutto­inlandsprodukt ist 2023 um 0,3 Prozent zurückgegangen. Muss sich Deutschland auf eine längere Krise einstellen?

Sebastian Dullien: Wir gehen davon aus, dass die Wirtschaft dieses Jahr um 0,3 Prozent schrumpfen wird. Wann es danach wieder bergauf geht, ist unklar. Es besteht das Risiko, dass sich die jetzige Konjunkturschwäche in Deutschland verfestigt, wenn sich die privaten Haushalte und Unternehmen auf weitere Stagnation einstellen.

Warum?

Wenn Unternehmen und private Haushalte davon ausgehen, dass sich die Wirtschaftslage nicht wieder verbessert, dann investieren und konsumieren sie weniger. Das schwächt die Konjunktur zusätzlich. Deswegen wird es immer schwerer, aus einer Schwächephase herauszukommen, je länger sie andauert.

Was muss jetzt getan werden, damit sich die Phase des Schwächelns nicht verfestigt?

Es ist wichtig, dass der Staat eine Trendwende herbeiführt und nicht in eine Rezession hinein weiter Ausgaben kürzt. Er muss stabile Rahmenbedingungen für die Investitionen der nächsten Jahre schaffen. Insofern war es falsch, dass nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts der Rotstift bei Sachen angesetzt wurde, die eigentlich versprochen waren. Stattdessen sind gerade jetzt Investitionen in die Dekarbonisierung und die sozialökologische Transformation notwendig. Und es muss ein sozialer Ausgleich für die steigenden CO2-Preise geschaffen werden.

Doch die Bundesregierung muss sparen, will sie die Schuldenbremse einhalten.

Leider zeigt sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht jetzt ganz deutlich: Die Schuldenbremse ist eine Investitionsbremse. Sie muss reformiert werden.

Aufgrund des Hochwassers kam die Forderung auf, erneut die Schuldenbremse auszusetzen. Wäre das eine Alternative zur Reform?

Die Höhe der Schäden des Hochwassers kann noch nicht abgeschätzt werden. Auch nicht, wie viel davon der Bund und wie viel die Länder tragen müssen. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass eine Aussetzung der Schuldenbremse gut begründet sein muss und dass es dafür einer relevanten finanziellen Belastung bedarf. Ob das durch die Flutschäden gegeben ist, ist offen. Insofern bleibt die sauberste Lösung eine Reform der Schuldenbremse.

Wie sollte eine solche Reform aussehen?

Man könnte sie mit einer „goldenen Regel“ ergänzen, die es zulässt, dass sich die öffentliche Hand für Investitionen verschuldet. Dies wäre ähnlich der Schuldenregel, wie wir sie vor der Einführung der Schulden­bremse hatten. Das würde eine Verstetigung öffentlicher Investitionen ermöglichen und gleichzeitig eine Überschuldung vermeiden. Und selbst wenn man die Schuldenbremse ganz abschaffen würde, wäre die deutsche Staatsverschuldung noch durch die EU-Schulden­regeln begrenzt.

Für eine Reform der Schuldenbremse braucht es eine Zweidrittelmehrheit. Doch FDP und Union sind dagegen. Gäbe es eine Alternative?

Man könnte ein Sondervermögen für Transformationsinvestitionen einrichten, ähnlich dem Sondervermögen der Bundeswehr. Doch auch dafür bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit, weil die Sondervermögen im Grundgesetz festgeschrieben werden.

Glauben Sie, dass man sich auf einen Kompromiss einigen könnte?

Es ist zumindest zu hoffen. Auch der FDP sollte eigentlich klar sein, dass ein stures Festhalten an der Schuldenbremse nicht sinnvoll ist. Und auch der Union sollte einleuchten, dass es kein Spaß sein wird, wenn sie in Zukunft wieder regieren will und sich dann an die Schuldenbremse halten muss. Jedes Lehrbuch warnt davor, in einer Rezession zu sparen, wenn ökonomischer Spielraum für neue Schulden besteht und gleichzeitig wichtige Zukunftsinvestitionen anstehen.

Foto: Hans-Böckler-Stiftung

Sebastian Dullien ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

Weil die EZB die Zinsen erhöht hat, sind Kredite teurer geworden. Kann sich Deutschland neue Schulden leisten?

Die Rendite für 10-jährige Anleihen liegt derzeit bei rund 2 Prozent. Das ist niedriger als die erwartete Inflationsrate in der Zeit. Das heißt, der Bund müsste bei neuen Schulden real weniger zurückzahlen, als er aufnimmt. Auch die volkswirt­schaftliche Rendite in Investi­tio­nen in Bildung und Infrastruktur wird deutlich höher sein als die Zinsen. Diese Ausgaben werden den Staat an künftigem Wachstum und Steuern mehr bringen, als sie jetzt kosten.

Besteht nicht die Gefahr, dass die Schulden irgendwann zu hoch werden?

Davor muss man auf absehbare Zeit keine Angst haben. Mit 67 Prozent der Wirtschaftsleistung weist Deutschland unter den reichen Industriestaaten, den G7, mit Abstand die niedrigste Schuldenquote auf. Alle anderen haben über 100 Prozent. Bei den USA sind es 122 Prozent, bei Japan sogar 261 Prozent. Deutschland ist weit davon entfernt, überschuldet zu sein.