Denn sie wissen nicht voneinander

Im Saale-Orla-Kreis stehen am Sonntag Landratswahlen an. Trotz seines Kontakts zu Reichsbürgern hat der AfD-Kandidat gute Chancen

Aus Schleiz und Berlin David Muschenich

Unter rhythmischem Getrommel wiegen sich die Fahnen auf dem Neumarkt in Schleiz. Vorweg läuft Frank Haußner, Aktivist der Reichsbürgerszene, mit grüner Fahne seiner Gruppe „Freies Thüringen“. Dahinter folgen zwei blaue AfD-Fahnen. Es ist kalt an diesem Samstag, eine Woche vor der Landratswahl im Saale-Orla-Kreis. Vier Kan­di­da­t*in­nen werben um Stimmen. Uwe Thrum, der von der AfD, hat gute Chancen. Dass er Kontakte in die Reichsbürgerszene pflegt, schadet seinem Rückhalt offenbar nicht.

Es gibt ein Video von Thrum, das ihn zusammen mit Heinrich XIII. Prinz Reuß an einem Tisch zeigt. Der plante mutmaßlich einen Putsch und wurde 2022 mit gut einem Dutzend Mitverschwörern festgenommen.

Außerdem organisiert Thrum immer wieder Veranstaltungen mit Frank Haußner. Ge­sin­nungs­ge­nos­s*in­nen fordert er auf: „Lasst uns als nachgewiesene Deutsche, entsprechend unserer Abstammung, der Staatssimulation BRD den Rücken kehren“. Wie Thrum zu dieser Aussage steht, wollte er auf Anfrage der taz nicht beantworten.

Obwohl Thrum selbst nicht da ist, sind Dutzende seiner Un­ter­stüt­ze­r*in­nen nach Schleiz gekommen, um ihn mit Fahnen, Trommeln und lautem Rufen zu verteidigen. Denn gegen Thrum gibt es Protest.

Während die AfD-Sym­pathi­sant*in­nen sich auf dem Neumarkt zu einer Gegenkundgebung formieren, schallt von einer Bühne auf anderen Seite das Ärzte-Lied „Schrei nach Liebe“ über den Platz. Ursprünglich hatte nur die ­Initiative „Dorfliebe für alle“ eine Kundgebung in Schleiz angemeldet, zu der etwa 300 Menschen gekommen sind. Motto: Kein Landratsamt der AfD.

Etwa 20 Personen aus der Gegend haben sich zu der Initiative zusammengeschlossen. Mit der Kundgebung wollten sie zeigen, „dass es viele gibt, die gegen einen Landrat von der AfD sind“, sagt Sprecherin Lena Grundmann. Das Problem sei, dass viele nicht voneinander wüssten. Ralf Kalich, der für die Linke am Sonntag antritt, wundert das nicht. „Der Organisationsgrad der Gesellschaft im Saale-Orla-Kreis ist relativ niedrig“, sagt er. Er freue sich, dass sich die Initiative da gefunden habe.

Zudem veröffentlichten sie einen öffentlichen Brief, den mittlerweile mehr als 1.400 Menschen unterschrieben haben. „Die AfD zerstört konstruktive Debatten mit respektlosen Parolen und Falschinformationen“, heißt es da. Und ein Kandidat, der mit seiner guten Beziehung zu Björn Höcke prahle und „­bewaffnete Reichsbürger lustig findet“, dem „dürfen wir keine Stimme geben“.

Die Landratswahl im Saale-Orla-Kreis läutet quasi das Wahljahr in Thüringen ein. Und bei Umfragen kommt die AfD gut weg. Laut einer Forsa-Umfrage, die am Donnerstag veröffentlicht wurde, würden bei einer Landtagswahl am Sonntag 36 Prozent ihre Stimme der rechtsextremen Partei geben.

Auf kommunaler Ebene etabliert sich die AfD derweil zunehmend. Erst gewann im vergangenen Jahr Robert Sesselmann nicht weit entfernt in Sonneberg als erster AfD-Kandidat eine Landratswahl. Dann wurde Tim Lochner in Pirna erster AfD-Oberbürgermeister. Auch Uwe Thrum konnte im Saale-Orla-Kreis schon einmal gewinnen.

Bei der Landtagswahl 2019 holte ­Thrum mit knappem Vorsprung das Direktmandat im nördlichen Wahlkreis SOK I. Das zweite Direktmandat im südlichen Wahlkreis SOK II ging an Christian Herrgott, den Generalsekretär der CDU in Thüringen.

Fragt man ihn, vor welchen Herausforderungen der Landkreis stehe, nennt er als Erstes die flächendeckende Gesundheitsversorgung. Der Kreis kämpft wie viele mit dem demografischen Wandel. Etwa die Hälfte der 79.000 Ein­woh­ne­r*in­nen ist älter als 50 Jahre. Und: der Saale-Orla-Kreis ist bekannt für seine niedrigen Löhne. Ar­beit­neh­me­r*in­nen in allen anderen Kreisen Thüringens verdienen mehr.

„Die AfD zerstört Debatten mit respektlosen Parolen und Falsch­informationen“

Offener Brief der Initiative „Dorfliebe für alle“

Aber es gebe auch Potenziale, betont Regina Butz, die als Parteilose mit Unterstützung der SPD kandidiert, die hinter den Problemen verschwinden sollten: die schöne Landschaft als touristische Attraktion zum Beispiel.

Obwohl Butz keiner Partei angehört, wurde sie von der SPD als Kandidatin aufgestellt. Sie ist in Schleiz aufgewachsen, arbeitete als Fachbereichs- und Fachdienstleiterin bereits im Landrat. Für den Landkreis sei die Zusammenarbeit wichtig. Darum habe sie sich gefreut, als sie von der Initiative „­Dorfliebe für alle“ gehört habe. Allerdings „ist eine Kundgebung nicht das richtige Format für einen Meinungsaustausch“.

Die AfD-Sympathisant*innen sind von Anfang an mit auf der Kundgebung. Solange sie zuhören, gebe es keine Probleme, sagte Lena Grundmann. Wer störte, wurde von den Ord­ne­r*in­nen gebeten, den Platz zu verlassen. Letztlich stehen rund um den Platz Menschen, die die Kundgebung kritisch beäugten, Kritisches und Beleidigendes den Teil­neh­me­r*in­nen zurufen. Butz habe mit einigen gesprochen, die das beängstige.

Das könne Lena Grundmann nachvollziehen, „ich habe es teilweise auch als Einschüchterungsversuch verstanden“. Trotzdem ist sie froh, dass die Kundgebung wie geplant zu Ende geht.

Wie die Landratswahl ausgeht, ist hingegen noch offen. Wenn bei der Landratswahl am Sonntag kei­ne*r der vier Kan­di­da­t*in­nen mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält, ist eine Stichwahl nötig.