Wetteränderung nach Hochwasser: Und morgen laufen wir Schlittschuh

Im überschwemmten Oldenburg bemerkt man dieser Tage mal wieder deutlich: Wir verdrängen die gröbsten Probleme, solange wir sie selbst nicht spüren.

Feuerwehrleute sichern einen Deich mit Sandsäcken.

Sack für Sack: Feuerwehrleute sichern einen Deich bei Sandkrug Foto: Markus Hibbeler/dpa

Die kommenden Tage soll es hier kalt werden, Temperaturen unter null, Wasserflächen werden sich in spiegelglatte Bahnen verwandeln, wir werden uns fühlen wie in einem Gemälde von Pieter Bruegel. Damals, als die Winter noch eisig waren. Und wie ich uns kenne, wird der Schrecken der zurückliegenden Wochen, als das Wasser stieg und stieg, wie weggeblasen sein von der Lust, übers Eis zu gleiten.

Oldenburg, Niedersachsen, norddeutsche Tiefebene, die Gegend hat jetzt jeder mal kennengelernt. Abends in den Nachrichten sah man Reporter auf feuchten Wiesen, Ketten aus Menschen, THW-Helfer, die Sandsäcke weitergeben, Innenministerin Fae­ser war auf Hochwasser-Visite in Hatten-Sandkrug. Der Fluss, der dort an die Häuser schwappt, heißt Hunte (Fluss mit H, kann man sich für Stadt, Land, Fluss merken). Besorgte Kurznachrichten erreichen mich: Wie geht es euch? Habt ihr Wasser im Keller?

Rührende Nachfragen, die ich beruhigen konnte: Wir haben keinen Keller. Die ansonsten manchmal etwas feuchte Stelle im Garten ist zu einem kleinen See angewachsen. Es sieht schön aus, wenn sich ein Eichelhäher darin badet. Mehr ist bei uns nicht. Außer noch, dass der Regen nie aufhört. Kein Regen, der mit dicken Tropen aufs Dach pladdert, sondern ein feiner, fast sanfter Nieselregen.

Sorgen machen wir uns schon, aber wenigstens nicht um uns, sondern um die Menschen, die in den Niederungen der Hunte und ihrem kleineren Nebenfluss Haaren wohnen; Freunde, die sich über die Weihnachtsfeiertage nachts den Wecker gestellt haben, um immer wieder den Keller auszuschöpfen, Pumpen bei Obi waren ausverkauft.

Gesperrte Deiche

Das Gemeindehaus nebenan könnte Notunterkunft werden, falls Menschen ihr Zuhause verlassen müssen. Es würden dann die in den schönsten Häusern mit Blick auf den Fluss auf Feldbetten Ruhe suchen müssen. So ändern sich die Perspektiven.

Auf dem Huntedeich haben wir manchmal unseren Neujahrsspaziergang gemacht. Jetzt ist er gesperrt und sie haben dort Bäume gefällt. Weil der Deich aufgeweicht ist, drohen die Bäume den Halt zu verlieren; stürzen sie um, reißen sie Löcher, das Wasser würde sich unkontrolliert ausbreiten.

In diesen Tagen wird wieder einmal klar, was für seltsame Wesen wir Menschen sind. Erst jetzt, da sein halbes Bundesland überflutet ist, regt sich der stets etwas abgedimmt agierende niedersächsische Ministerpräsident Weil – einer von der alten SPD – und sagt dann Sätze wie diese: Es müsse „der CO₂-Ausstoß dringend weiter reduziert werden“ und „Experten warnen seit Langem davor, dass die immer häufigeren Wetterextreme mit dem Klimawandel zusammenhängen“.

Klingt wie eine Einführung in die Folgen der Erderhitzung für Anfänger. Dabei ist das, was wir jetzt hier erleben, wirklich lange vorhergesagt worden. Und Weil ist seit 2013 im Amt. Längst hätte er handeln und den Spruch seiner Wahlplakate von 2022 einlösen können: „Das Land in guten Händen.“

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Kanzler in Flutgebieten

Typisch Weil, aber typisch wir alle. Wir verdrängen die gröbsten Probleme, solange wir sie selbst nicht direkt spüren. Wie damals, als Corona seinen Lauf nahm. Bergamo, Norditalien, war längst als Corona-Hotspot in den Nachrichten, da fuhren wir trotzdem noch in den Winterurlaub nach Südtirol, auch Norditalien. Irgendein Virus. In Bergamo. Nicht bei uns. Na dann.

Der Kanzler war jetzt auch in einem der Flutgebiete zu Besuch. Er hat den Zusammenhalt gelobt, die Helferinnen und Helfer, die Sandsäcke schleppten und versprach scholzig-wolkig Unterstützung, denn das Wasser könne ja wiederkommen, wenn es weg sei. Doch nichts davon, die Ursachen zu bekämpfen. Er hatte sich auf Wahlplakaten „Klimakanzler“ genannt. Jetzt könnte er zeigen, was das ist. So mutlos, so kraftlos, so traurig.

Gestern waren die Flusslandschaften Niedersachsens noch verträumte Gegenden, weites Land; heute werden Bauernhöfe aufgefordert, ihre Tiere woanders hinzubringen, morgen wird es kalt, dann werden wir Schlittschuhlaufen. Oder wir sind längst abgereist und wie die Nachbarn nach Mallorca geflogen, weil hier das Wetter zu schlecht ist. Bisschen Sonne tanken. Andere werden sich jetzt einen SUV zulegen – falls sie noch keinen haben. So können sie den Fluten komfortabel entkommen und noch das Nötigste mitnehmen.

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Geboren in Göttingen, hat Geschichte und Soziologie in Bielefeld, Madrid und München studiert, war auf der Henri-Nannen-Schule in Hamburg, anschließend Lokalreporter der Berliner Zeitung und deren Nahostkorrespondent in Tel Aviv und Ramallah. Nach der Rückkehr freier Journalist in Oldenburg für überregionale Zeitungen und Magazine und Gründer des leider eingegangen Onlinemagazins Oldenburger Lokalteil. Leitete von 2012 bis 2021 das taz-Wochenendressort, lebt wieder in Oldenburg.

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