Auf der Kürzungsliste

3,8 Milliarden sollen in den nächsten Haushaltsjahren eingespart werden. Wohlfahrtsverbände und Bezirke fürchten, dass Sozialprojekte die ersten Opfer sind

Von Jonas Wahmkow

Schaut man nur auf die Zahlen im Haushaltsentwurf, scheint der lang befürchtete soziale Kahlschlag in Berlin erst einmal abgewendet. Ganze 536 Millionen Euro mehr plant der Senat im Vergleich zum Vorjahr für die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung ein.

„Wir begrüßen, dass unsere Stimmen gehört und die geplanten drastischen Kürzungen in fast allen sozialen Bereichen zurückgenommen wurden“, sagt Andrea Asch, Diakonie-Vorständin und Federführerin der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege. Doch Sorgen bereitet den Wohlfahrtsverbänden ein anderer Posten im Haushaltsplan: Die sogenannten Pauschalen Minderausgaben von 3,8 Milliarden Euro.

Arm, aber sexy

Klamme Kassen waren in den 2000er Jahren so charakteristisch für die Bundeshauptstadt Berlin wie die Love-Parade. Durch „sparen, bis es quietscht“ wollte der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) die Löcher stopfen, die Wiedervereinigung und Bankenskandal in den Haushalt gerissen haben. Trotzdem wuchs der Schuldenberg weiter.

Der Aufschwung

In den 2010ern kam die Wende: Der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands und Berlins spülte milliardenschwere Mehreinnahmen in die Kasse. Erstmals ließen sich Schulden tilgen, das Geld saß locker.

Die Krise

Die Pandemiebekämpfung erforderte Milliardenkredite, steigende Energiepreise und Zinsen würgten das Wirtschaftswachstum ab. Da die Schuldenbremse ab 2024 wieder in Kraft tritt, will der Senat wieder sparen. (wah)

Hinter dem etwas sperrigen Begriff verbergen sich Einsparungen, die der Senat und die Bezirke 2024 und 2025 noch erzielen müssen, ohne genauer zu definieren in welchem Bereich. Die Angst, die im Sozialbereich umgeht, ist, dass den Einsparungen zuallererst Sozialprojekte zum Opfer fallen.

„Berlins soziale Infrastruktur ist strukturell prekär finanziert“, erklärt Asch. Viele Projekte werden nur für ein Jahr bewilligt, Mitarbeiterverträge begrenzt. Asch befürchtet, dass der Senat gerade im Zuwendungsbereich die nötigen Einsparungen vornehmen wird. Die Unsicherheit, ob Projekte in den kommenden Jahren weiterfinanziert werden oder nicht, mache gerade vielen Trägern und Beschäftigten zu schaffen. Die Unsicherheit verschärft den auch bei den Trägern herrschenden Personalmangel noch weiter.

Weiterer Druck entsteht durch die Unterfinanzierung der Bezirke, die ebenfalls kräftig sparen müssen. Bislang konnten die Bezirke die Vorgaben erfüllen, indem sie Gelder für zwischenzeitlich unbesetzte Personalstellen als Einsparungen deklarierten – damit soll nun auf Weisung des Senats Schluss sein. Als Einsparpotenzial blieben dann nur noch die frei verfügbaren Mittel der Bezirke, aus denen viele Sozialprojekte ­finanziert werden: Jugendklubs, Kieztreffs, Obdachlosen- und Drogenhilfe. „Es gibt die große Befürchtung, dass massiv an die soziale Infrastruktur herangegangen wird“, sagt Sozialpolitikerin Katina Schubert (Linke).

Die Bezirke stünden nun vor der schmerzlichen Aufgabe zu entscheiden, welche Projekte sie weiterfinanzieren wollten und welche nicht, erklärt Friedrichshain-Kreuzbergs Sozialstadtrat Oliver Nöll (Linke). Im Gespräch sei, eine Begegnungsstätte für Senioren zu schließen. Die Folgen dieser Haushaltspolitik gingen weit über die Dauer des Doppelhaushalts hinaus, warnt Nöll. Angemietete Immobilien würden langfristig verloren, ein Publikum wie das eines Seniorentreffs brauche Jahre, um sich zu etablieren. „Wenn wir jetzt soziale Infrastruktur abbauen, werden wir sehr lange brauchen, um wieder auf den Stand von heute zu kommen.“

Bei einigen Projekten ist es bereits zu Kürzungen gekommen. Der Kirchenkreis Neukölln etwa beklagte vergangene Woche die Streichung von Fördermitteln für das Senatsprojekt „Berliner Familienzentren“.

„Es gibt Projekte, die einfach gestrichen worden sind“, kritisiert Taylan Kurt, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Dabei bedeute die Beibehaltung der Fördersummen für viele Träger aufgrund der enormen Kostensteigerung des letzten Jahres „schon jetzt eine faktische Kürzung“. In den kommenden Jahren würden sich die Probleme Obdachlosigkeit und Armut in Berlin noch weiter verschärfen, so Kurt, trotzdem fänden sich diese Entwicklungen nicht im Haushalt wieder.