Ein Rechenweg ins Ungewisse

Durch Sanktionen beim Bürgergeld Millionen einsparen? Der Selbsthilfeverein Tacheles ist da skeptisch

Von Tobias Schulze

Nur „eine kleine Minderheit“ der Arbeitslosen, so Sozialminister Hubertus Heil (SPD), lehne Jobangebote hartnäckig ab. Trotzdem sollen die neuen Bürgergeldsanktionen, an denen die Regierung gerade arbeitet, immerhin 170 Millionen Euro pro Jahr einsparen. So steht es im Entwurf für die Gesetzesänderung. Derzufolge bekommt künftig kein Geld mehr, wer sich wiederholt weigert, „eine zumutbare Arbeit aufzunehmen“. Kommt diese Millionensumme tatsächlich hin?

Nein, behauptet der Wuppertaler Selbsthilfeverein Tacheles, der bundesweit für die Rechte sozial Benachteiligter lobbyiert. Heils Ministerium habe das angenommene Einsparvolumen „unseriös festgesetzt“, kritisiert Vorstandsmitglied Frank Jäger. Den Berechnungen des Vereins zufolge müsste die neue Sanktion pro Jahr über 210.000-mal eingesetzt werden, damit sie Bund und Kommunen wirklich 170 Millionen Euro spart. Das wären überraschend viele Fälle: Wie viele To­tal­ver­wei­ge­r*in­nen es genau gibt, ist zwar nicht bekannt. Laut Statistiken früherer Jahre geht aber regelmäßig nur ein kleiner Teil aller Sanktionen auf abgelehnte Arbeit zurück. Heils Ministerium spricht im Gesetzesentwurf von „einigen wenigen“ Betroffenen.

Der Verein Tacheles ist mit einer einfachen Rechnung auf seine Zahl gekommen: Den Plänen der Regierung zufolge darf künftig der Bürgergeldregelsatz für maximal zwei Monate komplett gestrichen werden. Wird der Zeitraum komplett ausgereizt, geht es also zunächst um zwei mal 563 Euro. Von dem Betrag hat Tacheles noch 30 Prozent abgezogen: Die Komplett-Sanktionierung soll schließlich nur bei wiederholtem Fehlverhalten ziehen – und in diesen Fällen zahlen die Jobcenter schon jetzt nur reduzierte Beträge. Bleiben noch knapp 800 Euro Einsparung pro Fall. Um auf die von der Regierung angepeilten 170 Millionen Euro zu kommen, muss man diese Zahl eben mal etwa 210.000 nehmen.

Das Arbeits- und Sozialministeriums wollte seinen Rechenweg am Mittwoch auf Anfrage nicht offenlegen. Da sich das Vorhaben noch innerhalb der Regierung in Abstimmung befände, sei das nicht möglich, sagte ein Sprecher. Er räumte ein, dass die 170 Millionen Euro „natürlich ein Schätzwert seien“. Er verwies allerdings auf „seriöse Studien“, denen zufolge die „jetzt angekündigten Sanktionen eine Präventivwirkung entfalten werden“.

Soll heißen: Die Einsparungen, von denen die Regierung ausgeht, ergeben sich nicht nur aus den jeweils zwei Monaten, in denen kein Bürgergeld gezahlt wird. Stattdessen, so die Hoffnung, nehmen Betroffene unter dem Druck der neuen Sanktion doch eine Arbeit auf und fallen dauerhaft aus dem Bürgergeldbezug. Rechnet man damit, reichen schon weit weniger als 210.000 Fälle aus, um auf 170 Millionen Euro zu kommen.

Ob dieses Kalkül aufgeht, ist freilich offen. Vom Verein Tacheles heißt es daher, die neue Sanktion sei nicht die geeignete Maßnahme, um eine „konkrete Haushaltseinsparung“ zu erreichen. Sie bediene stattdessen „Ressentiments und Vorurteile, die aktuell in weiten Teilen unserer Parteienlandschaft in einer sozialpolitischen Debatte hochgehalten werden“.

Der Sprecher des Heil-Ministeriums bittet dagegen um Geduld: Es bleibe natürlich abzuwarten, wie sich die Zahlen am Ende des Jahres tatsächlich darstellen. Fürs erste haben die Sanktionen-Pläne für die Bundesregierung aber so oder so einen Vorteil: Die Einsparungen auf dem Papier helfen ihr im Moment dabei, ihren Haushalt verfassungskonform zu machen.