Sexuelle Übergriffe verjähren nicht: Alles hat seine Zeit
Die Vorwürfe gegen den US-Schauspieler Vin Diesel zeigen: Was Menschen brauchen, die Opfer von Gewalt wurden, ist Geduld, Ermutigung und Gesetze.
E s war vor ein paar Jahren, in meinen Endvierzigern, dass ich plötzlich nachts hochschreckte. Ich saß aufrecht im Bett, mein linker Hoden schmerzte. Und mit dem Schmerz kam die Erinnerung an eine Episode meiner Kindheit. Oder war es andersherum? Hatte sich das Verdrängte hochgearbeitet und den Schmerz erst ausgelöst?
Wie auch immer – ich erinnerte mich in diesen Tagen an dieses Erinnern, als ich die Stellungnahme des Anwaltes des Schauspielers Vin Diesel las, der von der Zeitschrift Vanity Fair zu Vorwürfen sexualisierter Gewalt gegen seinen Mandanten befragt worden war: „Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Vin Diesel bestreitet diese Behauptung kategorisch und in vollem Umfang. Dies ist das erste Mal, dass er von dieser mehr als 13 Jahre alten Behauptung einer nicht länger als neun Tage bei ihm Angestellten hört. Es gibt eindeutige Beweise, die diese haarsträubenden Behauptungen vollständig widerlegen.“
Tatsächlich geht es um eine Sache, die lang zurückliegt. Im September 2010 arbeitete Asta Jonasson als Assistentin für Diesel bei einem Dreh in Atlanta. Laut der Klageschrift hatte sie gerade eine Filmschule abgeschlossen. Zu ihren Aufgaben habe es gehört, Partys zu organisieren und Diesel bei diesen zu begleiten. Nach einer solchen Veranstaltung sei Diesel dann übergriffig geworden, habe sie bedrängt und masturbiert, obwohl sie sich klar ablehnend gezeigt habe.
Ans Erinnern erinnern
Ein paar Stunden danach sei sie entlassen worden. Ihr sei klar gewesen, dass sie gefeuert wurde, weil sie nicht mehr nützlich war. „Vin Diesel“, heißt es in der Klageschrift, „hatte sie benutzt, um seine sexuellen Wünsche zu erfüllen, und sie hatte sich gegen seine sexuellen Übergriffe gewehrt.“
Da sie eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet hatte, sei es für sie nicht in Frage gekommen, über den Vorfall zu sprechen. Mit dem von US-Präsident Biden im Dezember 22 unterzeichneten „Speak Out Act“ und dem kalifornischen Gesetz AB2777 hat sich die Lage bei solchen Fällen aber geändert.
Der „Speak Out Act“ schränkt die Durchsetzung von Vertraulichkeitsvereinbarungen in Fällen von sexuellen Übergriffen und Belästigungen ein; AB2777 verlängert Verjährungsfristen solcher, seit 2009 geschehener Taten bis 2026. Gestärkt durch die #MeToo- und „Time’s Up“-Bewegung, heißt es in der Klage, sei Jonasson nicht bereit, länger zu schweigen, wolle ihre Handlungsfähigkeit wiedererlangen und Gerechtigkeit für das Leid, das sie durch Vin Diesel und seine Firma One Race erlitten habe, einfordern.
Verjährung gibt es nicht
Ich fuhr wie jeden Schultag mit der U-Bahn nach Hause. Es war sehr voll, ich war eingequetscht, plötzlich merkte ich, wie jemand meinen Hoden packte und zudrückte, eine Station lang. Ich schrie nicht, ich zappelte nicht.
Ich schloss die Augen, hatte Tränen in den Augen, die Türen öffneten sich, die Menschen drängten aus dem Waggon, ich ging nach Hause, sprach mit niemandem darüber, hätte auch keine Worte dafür gehabt, dachte nicht mehr daran, vergaß es. Bis ich Jahrzehnte später hochschreckte.
Und obwohl ich keine größeren bleibenden Schäden feststellen kann, ist die Tatsache, dass ein Mensch sich meines Körpers mit Gewalt bemächtigt hat, und dass mein Körper sich daran erinnert, Grund genug, dass ich anlässlich des bevorstehenden Jahresendes ganz unjuristisch als gefühlte Gerechtigkeit sagen kann: Verjährt ist da bei mir jedenfalls nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei