: Horst im Glück
Mit den schlichten Rezepten von Bundestrainer Horst Hrubesch befreien sich die deutschen Fußballerinnen vonihren Fesseln und haben vor dem Spiel in Wales beste Chancen, einen großen Schritt Richtung Olympia zu machen
Aus Rostock Johannes Kopp
Das Prinzip Hrubesch basiert nach wie vor auf Nahbarkeit, auch wenn sich vielleicht altersbedingt ein klein wenig mehr Distanz zu dem mittlerweile 72-Jährigen aufgebaut hat. Die männlichen U21-Europameister um Manuel Neuer feierten ihren Trainer 2009 noch mit „Hotte, Hotte“-Sprechchören. Giulia Gwinn sprach in Rostock nach dem bravourösen 3:0-Erfolg gegen Dänemark dann doch lieber von Horst: „Ich glaube, Horst hat einen großen Anteil daran, weil er es geschafft hat, uns die Spielfreude zu schenken.“
Es war ein Abend der gegenseitigen Liebeserklärungen. Hrubesch schwärmte auch ungefragt unaufhörlich von seinen Fußballerinnen und bedankte sich voller Rührung dafür, wie das Team „den alten Mann“ mitnehme.
Es war aber auch ein Abend, an dem die Spielerinnen durch all das Lob für Hrubesch eine Sehnsucht zum Ausdruck brachten, die mit Blick auf die Vergangenheit sehr erhellend ist. Nicht „zu viel taktischer Input“, lobte Gwinn. Und Marina Hegering hob hervor, man habe sich „die einfachen Dinge“, „ein paar Basissachen“, „kein großes Heckmeck“ vorgenommen.
Auch Horst Hrubesch stellte erneut seine Vorliebe für das Schlichte unter Beweis. Fußball, erinnerte er, sei eigentlich ein ganz einfaches Spiel. Und: „Fußball ist nur dann gut, wenn er Spaß macht. Und Spaß hast du immer, wenn du gewinnst.“
Es sind Sätze, welche große Strategen wie Pep Guardiola oder Julian Nagelsmann für unterkomplex halten mögen, doch sie kommen eben nicht nur beim Publikum gut an. Es ist allerdings eher kein Zufall, dass die Trainerkarriere von Hrubesch im Vereinsfußball eher von kurzer Dauer war. Sein Hang zu groben Leitlinien und größtmöglichen Freiheiten passt besser zu Teams, denen es an Zeit mangelt, Details einzustudieren. Und all das passt ganz besonders gut zu verunsicherten Teams, die möglichst schnell positive Ergebnisse erzielen sollen.
Hrubesch mag auch jetzt wie ein Entfesselungskünstler wirken, weil sich beim Team in der Ära von Martina Voss-Tecklenburg doch einiges verknotet hat. Anfangs sprach die ehemalige Bundestrainerin viel von „basics“, dann zunehmend von „steps“, die man nun machen wolle, und zuletzt gehäuft von „learnings“. Die jüngsten Aussagen der Spielerinnen in Rostock stärken den Eindruck, dass das Team mit zu viel Input überfrachtet wurde.
Es ist immer wieder beeindruckend, wie wenig zuweilen beim Fußball die reine Lehre zählt und wie viel die Psychologie. Unzumutbar und undenkbar wäre es gewiss für einen Julian Nagelsmann gewesen, wegen Schnee und Eis mit dem Männerteam seinen Matchplan vor einem Länderspiel nicht einüben zu können. Bei den Frauen hatte der DFB in Rostock trotz der schlechten Wetterprognosen nicht vorgesorgt und war so in den Tagen vor der Partie zur Improvisation gewzungen. Hrubesch sprach lediglich von „Bedingungen, die nicht normal waren“, und lobte seine Spielerinnen, dass sie die Situation so angenommen und nicht lamentiert hätten.
Hrubesch hatte derweil sein Team starkgeredet. Giulia Gwinn berichtete: „Er sagt uns immer wieder, was für eine Qualität wir in der Mannschaft haben, wie viel Qualität auch in jeder Einzelnen steckt. Ich glaube, das Selbstbewusstsein hat man auch heute gespürt.“
Horst Hrubesch, Trainer
Vor dem abschließenden Gruppenspiel der Nations League am Dienstag in Wales wird Hrubesch keine Überzeugungsarbeit mehr leisten müssen. Ein paar Videosequenzen aus der Partie gegen Dänemark dürften ebenfalls ihre Wirkung entfalten. Die klaren und schlichten Ansagen erleichtern es offensichtlich auch den unerfahreneren Spielerinnen wie Sjoeke Nüsken, Sarai Linder oder der Debütantin Elisa Senß, sich schnell einzufinden.
Die Sehnsucht der Spielerinnen nach mehr Einfachheit ist auch mit dem Wunsch nach einem möglichst langen Verbleib von Hrubesch im Traineramt verbunden. Ausgemacht ist bislang lediglich, dass er bis zur Finalrunde der Nations League bleiben wird. Dann könnte die endgültige Qualifikation für die Olympischen Spiele nächsten Sommer in Paris geschafft werden. Mehr will Hrubesch nicht versprechen, weil das auch in der Hand des Hamburger SV liegt, bei dem er als Nachwuchskoordinator angestellt ist.
Seine in Rostock zu Herzen gehende Liebeserklärung an das Team lässt aber keinen Zweifel: Hrubesch wäre ein „Horst im Glück“, sollte er beim Olympiaturnier an der Seitenlinie stehen.
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