Defizite im Tierschutz: „Das geht auf Kosten der Pferde“
Im Spitzensport spielen Schmerzen und Angst der Pferde kaum eine Rolle, sagt die Autorin Marlitt Wendt. Auch Ponyhofbesucher sollten skeptisch sein.
wochentaz: Frau Wendt, nach all den Berichten über misshandelte Dressur- und Springpferde in diesem Jahr – dürfen wir noch über Spitzensport mit Pferden berichten?
Marlitt Wendt: Natürlich, das ist sogar dringend nötig. Die Berichte sollten nur nicht davon handeln, wer was gewonnen hat. Das Miteinander zwischen Mensch und Pferd sollte im Vordergrund stehen, sowohl im Sport als auch in den Berichten darüber. Wer eine Dressurprüfung im Fernsehen schaut, muss erfahren, ob das Pferd darin glücklich und zufrieden ist.
Wie erkennt man das?
An der Mimik, am aktiven Ohrenspiel: Spitzt das Pferd mal die Ohren, dreht es sie mal zum Reiter? Trägt es seinen Schweif ruhig oder peitscht es hektisch seine Flanke? Öffnet es seine Nüstern normal, oder weitet es sie panisch? Kaut es sanft auf der Trense in seinem Maul? Auch wie viele Schritte das Pferd pro Minute macht, gibt Auskunft darüber, ob es Schmerzen empfindet. Das kann man alles sehen. In diesem Bereich ist in den vergangenen zehn Jahren viel geforscht worden. Es gibt auch eine Fraktion in der Reiterschaft, die das zur Kenntnis nimmt und sich weiterbildet, aber so richtig angekommen ist die Schmerzerkennung bei Tierärzten, Trainern und Richtern noch nicht. Abgesehen davon reicht es nicht, dass etwa die Richterinnen Anzeichen für Schmerzen beim Pferd erkennen, sie brauchen auch Handlungsspielräume. Bislang spielt das Wohlbefinden der Pferde bei der Bewertung in Dressurprüfungen kaum eine Rolle.
ist Verhaltensbiologin und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Verhalten und der Psyche von Pferden. Jüngst erschien ihr neues Buch „Die Rechte der Pferde. Ein Plädoyer für Tierwohl und Ethik“ im Kosmos-Verlag. Darin beschreibt sie nicht nur, wie Reiter:innen Pferden – mit oder ohne Absicht – Schmerzen zufügen, sondern zeigt auch, wie es besser geht.
Wieso nicht?
Heute ist es bei Dressurprüfungen so: Reiter und Pferd starten zu Beginn der Prüfung mit 100 Prozent, für jeden Fehler gibt es Abzüge. Man könnte das doch umgekehrt machen: Man beginnt bei 0 und die Richter verteilen Punkte nicht nur für gelungene Lektionen, sondern auch dafür, dass das Pferd sich wohlfühlt. Wessen Pferd klar im Takt geht, mit den Ohren spielt und genüsslich kaut, der bekommt hohe Punktwertungen.
Das geht also, pferdefreundlicher Leistungssport?
So wie er derzeit organisiert ist, nicht. Man müsste schon alles auf den Kopf stellen. In Zeiten von Internet und Klimakrise ist es ja sowieso ein Unding, Pferde ständig um die Welt zu großen Championaten zu fliegen oder jedes Wochenende auf ein Turnier zu fahren. Und auch für die Pferde ist das purer Stress. Stattdessen könnte man zum Beispiel mehr Onlineprüfungen ausschreiben. Auch die Prüfungsanforderungen müssten angepasst werden. Heute sind im Spring- und Vielseitigkeitsport die Hindernisse zu hoch. Und im Dressur- und Westernsport werden schwierige Lektionen in zu rascher Abfolge abgefragt. Das führt zu Verletzungen und Gelenkkrankheiten der Pferde. Wir müssen die Prüfungsanforderungen herunterschrauben, weg von spektakulären Lektionen hin zu scheinbar langweiligen: Zum Beispiel ist es sehr anspruchsvoll, am langen Zügel einen taktreinen Schritt zu zeigen. Das ist wirklich eine große Leistung, die eine gründliche Ausbildung erfordert, doch diese Übung wird heute gar nicht mehr abgefragt. Ich könnte mir auch die Lektion „Stehenbleiben und absteigen“ vorstellen. Dann zeigt sich, ob das Pferd ruhig stehen bleibt oder aufgeregt um den Reiter herumrennt. Das stellt Reiter und Pferd als ein Team vor.
Also, was würden Pferd und Reiter:in in einer pferdefreundlichen Grand-Prix-Kür bei Olympischen Spielen zeigen?
Sie würden einen gelassenen Schritt zeigen; der Reiter würde einmal ab- und wieder aufsteigen und die klassischen Elemente vorführen: Das Pferd soll in verschiedenen Haltungen völlig unbefangen gehen. Es würde in stark versammelnden Lektionen wie Piaffe und Passage …
… bei denen das Pferd sehr langsam und erhaben oder gar auf der Stelle trabt …
… eine etwas höhere Spannung im Pferd sein. Danach müsste sich das Pferd entspannen können, sich dehnen, den Hals ausstrecken. In der Ausbildung der Pferde strebt man zunächst Takt und Losgelassenheit an, das heißt, das Pferd läuft gleichmäßig mit entspannten Muskeln. Erst später kommt die Versammlung dazu, in der das Pferd die Muskeln anspannt, den Hals aufrichtet und die Hinterbeine beim Laufen weiter unter den Bauch greifen. Diese verschiedenen Ausbildungsstufen müssten in der Prüfung jederzeit abrufbar sein. Das sieht man aber kaum. Stattdessen werden Lektionen abgefragt wie starker Trab, in der die Pferde die Vorderbeine stark anheben. Es werden extra Pferde gezüchtet, die das besonders gut können, wie der Wunderrappe Totilas. Solche Pferde leiden häufig unter Gelenkschäden und Arthrose. Das ist fast schon Qualzucht. Für Laien ist diese Art von Trab ästhetisch und spektakulär, aber es schadet den Pferden.
Seit Wochen erschüttert ein Skandal um den dänischen Dressurreiter Andreas Helgstrand die Dressurszene: Eine TV-Reporterin filmte in seinem Turnier- und Ausbildungsstall mit verdeckter Kamera. Nachdem brutale Szenen gequälter Pferde, die an Mäulern und Flanken bluten, ausgestrahlt wurden, schloss ihn der dänische Reitlehrerverband aus. „Helgstrand Dressage“ darf sich nicht mehr Ausbildungsstall nennen. Auch an den Olympischen Spielen in Paris darf der erfolgreiche Reiter nicht teilnehmen. Die Diskussion über die Ausbildung und Behandlung von Dressurpferden im Spitzensport nimmt dadurch auch in Deutschland wieder an Schärfe zu.
Welcher Fernsehsender würde eine Dressurprüfung übertragen, bei der Isabell Werth fünf Minuten Schritt am langen Zügel reitet und danach einmal auf- und absteigt?
Keiner, schon klar. Das Spektakuläre rückt immer mehr in den Vordergrund, nicht nur beim Reitsport. Schauen Sie sich mal eine Gymnastikprüfung von vor 100 Jahren an, das war Handstand, abrollen und Rolle rückwärts. Heute haben Turnerinnen mit Mitte 20 Bandscheibenvorfälle, Fußballer Knieprobleme mit Mitte 30, und Radsport wäre ohne Doping wohl nicht vorstellbar. Wir müssten bei sämtlichen Sportarten aufhören, nur in Extremen zu denken. Sport soll die Gesundheit erhalten und das Wohlbefinden steigern, bei Menschen und bei Pferden. Da bin ich eine Träumerin.
Sind das gerade gute Zeiten für Träumer:innen, angesichts der ganzen Skandale?
Schon. Die Reiterwelt wird sich bewegen müssen, denn zu Recht machen Tierschutzvereine und Bürger Ärger. Wenn die Reformen nicht aus der Reiterei selbst kommen, wird sie aus dem Spitzensport herausfliegen oder irgendwann verboten.
Was müssten die Reiter:innen ändern?
Sie müssen das richtige Pferd für sich auswählen, ein gesundes, vitales, das den Reiter tragen kann. Sie sollten bestimmte Zuchten meiden, in denen die Pferde Probleme mit dem Rücken oder den Knien haben. Außerdem sollten sie Wert auf eine kleinschrittige Ausbildung legen. Ein Pferd braucht eine jahrelange Aufbauarbeit, damit es das Reitergewicht schmerzfrei tragen kann, da gibt es keine Abkürzung. Muskeln und Bänder kann man in einigen Wochen oder Monaten trainieren, die Gelenke brauchen Jahre, um tragfähig zu werden.
Viele Pferdefreunde sind empört über die Zustände im Spitzensport – und schicken ihre Kinder in den Ferien auf den Ponyhof. Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass „mit Pferden draußen sein“ nicht gleich pferdefreundlich ist. Woran kann ich erkennen, ob es einem Pony gut geht?
Unter anderem an der Haltungsform. Kinder sollten lernen, dass Ponys und Pferde nicht gerne alleine in einer Box stehen wollen, sondern in einer Gemeinschaft in Offenställen und Weiden. Die Tiere müssen gesund sein, weder übergewichtig noch mager. Der wichtigste Punkt ist vielleicht, dass die Menschen und die Pferde auf dem Hof positiv und neugierig auf die Kinder zugehen. Wenn sich ein Pony nicht von der Weide holen lassen will oder schnappt, wenn es gebürstet werden soll, dann stimmt etwas nicht.
Wie sieht guter Reitunterricht aus?
Erst mal sollte es gar nicht nur ums Reiten gehen, sondern auch darum, welche Bedürfnisse Pferde haben. Wann und wie füttern wir sie? Wie pflegen wir sie? Wie gehen Pferde und Ponys miteinander um? Und wie muss ich mit dem Pony umgehen, damit es uns beiden gut geht?
Wer reitet, macht das in der Regel, weil er Pferde mag. Warum kommt am Ende häufig Tierquälerei heraus?
Reiten hat viel mit Prestige zu tun. In vielen Reitställen geht es schon früh viel um Leistung, darum, wer etwas besser kann, wer das teurere, tollere Pferd hat. Das dreht das positive Miteinander zwischen Mensch und Tier in eine negative Richtung: Man ist mehr wert, wenn man mehr Leistung bringt. Junge Reiter:innen werden auf Erfolg gedrillt, und das geht auf Kosten der Pferde. Im Spitzensport schließlich kann man häufig nicht mithalten, wenn man sich dem Tier gegenüber immer fair verhält, und irgendwann wird es salonfähig, dass das Pferd keine eigene Meinung hat.
Zugespitzt gefragt: Will ich als Reiterin wirklich auf einem Pferd sitzen, das eine eigene Meinung hat?
Wieso denn nicht? Zum Beispiel kann man mit Reitanfängern so eine Art Agility machen, das man etwa von Hunden kennt. Das Pferd oder Pony läuft Slalom durch Hürden oder tritt auf befremdliche Gegenstände wie eine Plastikplane. Wenn es etwas richtig macht, bekommt das Pferd eine Belohnung, darum macht es das gern. Und der junge Reiter sitzt nur drauf und lässt sich tragen, spürt die Bewegungen. Erst später wird er vom Passagier zum Piloten und nimmt etwa Einfluss auf die Richtung. So kann Partnerschaft entstehen – und Partnerschaft mit dem Pferd, das ist doch das Wunderbare an der Reiterei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei