Linker gegen Linke

Erstmals seit Jahren streiten beim Juso-Bundeskongress in Braunschweig zwei Be­wer­be­r:in­nen um den Vorsitz. Sie eint Kritik an der Ampel

Philipp Türmer Foto: Becker Bredel/imago

Aus Berlin Anna Lehmann

Die sozialistische Gesellschaft wird als Ziel gleich im ersten Satz vorangestellt. Wenn sich die Jung­so­zia­lis­t:in­nen in der SPD ab Freitag zum Bundeskongress in Braunschweig treffen, dann geben sie sich nicht mit halben Sachen zufrieden. Ein sozialistisches Steuersystem mit Vermögen- und Erbschaftsteuern steht genauso zur Debatte wie ein Grunderbe von 60.000 Euro für jeden oder die Abschaffung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Die Chancen, dass der Kongress diese Forderungen beschließt, stehen gut.

Völlig offen ist dagegen, wer neu­e:r Juso-Bundesvorsitzende:r wird. Hier treten mit Sarah Mohamed und Philip Türmer zwei ähnlich aussichtsreiche Be­wer­be­r:in­nen gegeneinander an. Eine solche Konkurrenz um den Vorsitz gab es zuletzt vor zehn Jahren. Die 300 Delegierten des Bundeskongresses haben die Wahl zwischen zwei Kan­di­da­t:in­nen aus dem linken Lager, die für unterschiedliche Schwerpunkte stehen.

Die 32-jährige Mohamed lebt in Bonn, wo sie Geschichte und Philosophie studiert hat. Sie beschreibt sich selbst als queere Schwarze Frau und will Kämpfe für Gleichberechtigung mit dem Kampf für soziale Gerechtigkeit verbinden. „Mir ist wichtig, dass wir als Jusos wieder mehr Anschluss finden an die Klima­bewegung, an antirassistische und feministische Bewegungen“, sagte sie der taz im September, als sie ihre Kandidatur erklärte.

Linke gesellschaftliche Bewegungen zusammenzuführen ist auch das Anliegen des 27-jährigen Offenbachers Philipp Türmer. In seiner Kandidatur erklärt er: „Die Gemeinsamkeit klimaaktivistischer, gewerk­schaftlicher,feministischer und antirassistischer Bewegungen ist der Kampf gegen den Kapitalismus.“

Große inhaltliche Differenzen zwischen den beiden Kan­di­da­t:in­nen gibt es also nicht, es sind eher Nuancen. Sein Schwerpunkt liege stärker auf dem Thema Verteilungsgerechtigkeit, erklärt Türmer. Der studierte Ökonom arbeitet derzeit an seiner juristischen Promotion. Thema: „Die Einziehung von Vermögenswerten im Strafrecht“.

Beide eint zudem, dass sie den gegenwärtigen Kurs der SPD in der Regierung kritisch sehen und eine eigene Kandidatur für den Bundestag ausschließen. Während Mohamed den starken nordrhein-westfälischen Landesverband hinter sich hat, kann der Hesse Türmer auf ein gutes Netzwerk innerhalb der Jusos zählen. Die scheidende Vorsitzende Jessica Rosenthal hat es öffentlich vermieden, sich auf eine Seite zu schlagen.

„Die Politik der Ampel trägt rassistische Züge“

Sarah Mohamed

Spannend werden sicher auch die Debatten zu aktuellen politischen Themen, bei denen die Jusos die SPD-geführte Ampel scharf kritisieren. Das ist zum einen die Asylpolitik. Sarah Mohamed sieht beim Thema Asyl „rote Linien überschritten“. Die Politik der Ampel trage rassistische Züge, sagte sie der taz, und trage zum gegenwärtigen unterkühlten Verhältnis der Jusos zur SPD bei. Mohamed kritisiert vor allem den Kurs von Innenministerin Nancy Faeser und Bundeskanzler Olaf Scholz und deren von rechts getriebene Tonalität, man müsse jetzt in großem Stile abschieben. „Es ist an der Zeit, dass Menschen in der SPD dagegen aufstehen und klare Kante zeigen“, so Mohamed.

Im Leitantrag des Bundesvorstands lehnen die Jusos die Einrichtung von Lagern an den Außengrenzen, ein wesentliches Element der von Faeser mit verhandelten Reform des Europäischen Asylsystems, ab. Sie fordern stattdessen sichere Fluchtrouten und legale Fluchtmöglichkeiten. Jeder Mensch, der vor Verfolgung oder Armut fliehe, verdiene Schutz und Asyl in der Europäischen Union.

Ein weiteres aktuelles Thema, welches auf dem Bundeskongress wohl ebenfalls zur Sprache kommen wird, sind die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte am Mittwoch entschieden, dass die Ampelregierung verfassungswidrig handelte, als sie nicht abgerufene Kredite aus Zeiten der Coronapandemie in den Klimafonds umwidmete. Nun fehlen 60 Milliarden Euro für den klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft.

Sarah Mohamed Foto: Wolfgang Borrs

„Wenn dieses Geld im Klimafonds wegfällt, sehe ich schwarz für die Klimaziele“, so Türmer, Die Ampel müsse deshalb jetzt fiskalpolitisch umsteuern. „Das einzig Richtige wäre es, die Schuldenbremse abzuschaffen oder zumindest auszusetzen. Dazu kann die Regierung den Klimanotstand ausrufen.“ Im Leitantrag fordern die Jusos ebenfalls die Abschaffung der Schuldenbremse, die SPD möchte sie lediglich „modernisieren.“

Egal, wer von beiden sich am Ende durchsetzt: Die SPD kann sich wohl darauf einstellen, dass die Jusos, die sich traditionell als linke Antreiberin ihrer soziademokratischen Mutterpartei verstehen, in Zukunft aufmüpfiger und fordernder auftreten. Hubertus Heil, SPD-Arbeitsminister mit Juso-Vergangenheit, und Kevin Kühnert, Generalsekretär und ehemaliger Juso-Bundesvorsitzender, die am Samstag als Gastredner zum Bundeskongress kommen, können sich schon einmal warm anziehen.