Erkenntnisse beim Bergwandern: Wider den inneren Stillstand
Unser Autor liebt es zu wandern. Dabei erreicht er viel mehr als nur den nächsten Berggipfel.
Schnellen Schrittes überhole ich ein älteres Ehepaar in Funktionskleidung, grüße sie nur im Vorbeigehen. Der Rucksack auf meinem Rücken, raumschiffgroß, will zum Ziel getragen werden, und das ist noch weit.
So geht das jedes Mal, wenn ich in den Bergen bin. Und manchmal komme ich mir dabei schon komisch vor. Als würde ich meine besten Jahre – ich bin 28 – im Wald verplempern. Dazu noch mit so viel Gepäck. Als wäre das echte Leben nicht schon anstrengend genug. Sollte ich in meinem Alter nicht die Tage in verrauchten WG-Küchen sitzen, von der Revolution schwadronieren und die Nächte in Clubs durchtanzen? Gut, das mache ich auch gerne mal. Aber am liebsten bin ich draußen, spüre den Wind auf der Haut, höre das Rauschen der Bäume und das Zwitschern der Vögel.
Beim Wandern entfliehe ich dem inneren Stillstand. Meine Glieder sind schwer, aber stark. Mein Körper ist müde und mein Geist auch, aber beide sind in Bewegung. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, heißt es. Nirgendwo gilt das mehr als am Berg. Essen, Trinken und Schlafplatz trage ich auf dem Rücken, die Kilometer in den Beinen, das Ziel habe ich vor den Augen.
Natürlich hat das Wandern auch seine Schattenseiten. Die kalten Nächte gehören dazu sowie die elende Sucherei, wenn die Zahnbürste sich in der Kopf- statt in der Seitentasche vom Rucksack versteckt. Oder andere Wanderer – es sind fast nie -innen – die sich neben mir ins Gras setzen und ungefragt losplappern. Und ich muss ihnen zuhören, das gebietet die Höflichkeit. Beim Wandern ist man nett zueinander. Punkt. Wenn es in der Stadt schon nicht klappt mit dem sozialen Miteinander, dann wenigstens auf dem Berg.
Gleichzeitig habe ich durch diese zufälligen Begegnungen auch schon viel Tolles erlebt. Einmal durfte ich mit einem italienischen Gleitschirmpiloten durch die Alpen fliegen, ein andermal eine Drohne steuern und dabei ein sächsisches Schloss filmen. Hätte ich den Gleitschirmpiloten in irgendeinem Nachtclub kennengelernt, hätte er mich am nächsten Tag wohl kaum mit in die Luft genommen – und ich schon längst vergessen, dass es ihn überhaupt gibt.
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Nach einem Tag zwischen Bett-Küche-Büro-Küche-Bett ist alles so wie immer. Nach einem Tag zwischen Berg und Tal traue ich mir plötzlich mehr zu als vorher. Dort merke ich, dass ich nur meinen Körper brauche, um mein Ziel zu erreichen. Nur ich selbst zu sein, reicht mit einem Mal aus. Wenn mich das Wandern eines gelehrt hat, dann das: Ich kann mein Leben selbst gestalten.
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