Neues Buch von Kate Zambreno: Requiem für ein unscheinbares Leben
Kate Zambreno denkt über ihre Mutter nach, die eine alltägliche Vorortexistenz führte. Schreibend tastet sich die Autorin durch die Erinnerungen.
„Mutter“ ist ein schönes englisches Substantiv. Es ließe sich als Vor-sich-hin-Murmeln übersetzen, als Nuscheln und Brummen, als Munkeln. „Book of Mutter“ heißt ein 2017 erschienenes Buch von Kate Zambreno, und wer da auch das deutsche Wort „Mutter“ mitliest, liegt nicht falsch. Denn Zambreno hat ein Gemurmel und vielleicht sogar Gemunkel über ihre Mutter angestimmt. Die starb vor 20 Jahren.
Mehr als ein Jahrzehnt hat die 1977 im ländlichen Illinois geborene Autorin darauf verwendet, ein Requiem, eine „Rekonstruktion“ jener „entrückten, leicht tragischen Frau“ zu verfassen, die sie an Chantal Akermans illusionslose Filmfigur Jeanne Dielman erinnert oder an die unterschätzte Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr.
Zambreno, das ist Teil des beschriebenen Rekonstruktionsverfahrens, fällt es schwer, im „Haus der Erinnerungen“ herumzugehen. Dennoch tastet sie sich langsam voran. Sie erzählt von der Krankheit der Mutter. Spürt ihrem Geist nach, der durch alle Räume des Elternhauses schwebt. Sie schildert sie als Hausfrau der alten Garde, die gerne Kontrolle über sich und den Alltag bewahrte.
Unordnung, schreibt Zambreno, hätte ihren Lebensentwurf infrage gestellt. Über die Mutter als junge Frau weiß sie kaum etwas, nur Bruchstücke sind da. Etwa, dass ihre Sweet-sixteen-Geburtstagsfeier abgeblasen werden musste – just an diesem Tag wurde John F. Kennedy ermordet, und wenn die Nation trauert, kann man nicht Torte essen.
Kate Zambreno: „Mutter (Ein Gemurmel)“. Aus dem Englischen von Dorothee Elmiger. Aki Verlag, Zürich 2023. 224 Seiten, 26 Euro
Solche Miniaturen eines Lebens, auch wenn es dürftig wenige sind, webt Zambreno immer wieder ein. Und sie verbindet sie mit einer Vielzahl von kulturellen Referenzen, Büchern, Bildern und Filmen, die ihr das schemenhafte Mutterleben verständlicher machen sollen. In Umrissen zeichnet sie das Porträt einer Frau, die zu früh geboren wurde, um sich Freiheiten zu nehmen, die für ihre Tochter schon selbstverständlich waren.
Eine Bibliothek von Verweisen
Der lange Prozess des Sammelns, des Abschweifens, des Stolperns, schließlich des Schreibens, Komponierens und Weglassens ist im Buch spürbar. „Mutter (Ein Gemurmel)“, so der Titel der deutschen Ausgabe, wunderbar übersetzt von der Schriftstellerin Dorothee Elmiger, ist eine Zeitreise, auf der sich viel, fast zu viel Material angehäuft hat – eine ganze Bibliothek an Verweisen.
Die leeren Seiten, Leerzeilen, Leerstellen sind allerdings ebenso wichtig wie das skrupulös Erschriebene. Sie machen den trauerschweren Text zugänglich, geben ihm die nötige Offenheit und den Leser:innen das Gefühl, nicht von seiner Komprimiertheit erdrückt zu werden, sondern ihn selbst fortdenken zu können. Die Leere spricht von einem der wesentlichen Themen dieses Buches: „Was bedeutet es, zu schreiben, was nicht da ist. Abwesenheit zu schreiben.“
Schreiben heißt hier: der Abwesenheit eine Präsenz, einen Raum zu geben. Und eine Form zu finden, die dieser Herausforderung, das Abwesende gegenwärtig zu machen, gerecht wird. Die Form, die Zambreno wählt, ist das Fragment. Oder besser: eine Sammlung von Fragmenten, die ganz unterschiedliche Gestalt annehmen – es gibt essayistische, kunstkritische, autofiktionale, poetische, elegische, memoirenhafte, meditative, erzählerische Passagen. Sie stehen jede für sich und hängen auf eher subtile Weise zusammen.
Kleine Schnipsel des Lebens der Mutter werden mit Überlegungen zu Louise Bourgeois’ künstlerischer Auseinandersetzung mit Traumata verbunden (als Covermotiv des Buches dient Bourgeois’ „Femme Maison“, ein Druck aus dem Jahr 1984). Oder mit Peter Handkes Buch „Wunschloses Unglück“, das von seiner Mutter handelt, die den Freitod wählte. Roland Barthes’ „Tagebuch der Trauer“ und seine Überlegungen zur Fotografie, die eng mit seiner Mutter verbunden sind, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.
Das unscheinbare Leben wird exemplarisch
Zambreno verknüpft die vielen Fundstücke allerdings weniger, lässt sie vielmehr nebeneinander stehen und aufeinander reagieren, zuweilen ist der Widerhall schwach, manchmal stärker, manchmal zu- und manchmal augenfällig. Die Trouvaillen und Gedankensprünge umspielen einander, so wie Zambreno das unscheinbare Suburb-Leben ihrer Mutter umspielt, das für sie zu einem exemplarischen wird.
Einmal aber überschreitet sie dabei assoziativ eine unzulässige Grenze: Wenn sie das Bild der von Krankheit gezeichneten Mutter mit Bildern von Holocaust-Opfern überblendet.
Zambrenos Buch ist weniger ein Trauerbuch als vielmehr eine Reflexion über Trauer. Weniger eines der Erinnerung als vielmehr eine Reflexion über das Erinnern. Und darüber, wie man durch Schreiben etwas von sich lösen, aussondern kann, das sich nicht anders tragen und ertragen lässt. Ihre Mutter sei der Text, den sie nicht betreten könne. Tatsächlich schleicht die Erzählerin mehr um diesen Text herum, als in ihn einzudringen.
Dieses fragmentarische, zwischen Abstraktion und Sinnlichkeit schwebende Schreiben ist nicht neu; es bezieht sich auf Traditionen der Avantgarde, auf Autorinnen wie Chris Kraus oder Künstlerinnen wie Moyra Davey. Es ist also kaum verwunderlich, dass die mit dem Roman „I Love Dick“ bekannt gewordene Chris Kraus „Book of Mutter“ in eine von ihr herausgegebene Schriftenreihe aufgenommen hatte. Und es ist erfreulich, dass dieses ganz gewiss nicht marktgängige Buch nun einen deutschsprachigen Verlag und in Dorothee Elmiger eine kongeniale Übersetzerin gefunden hat.
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