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Tagebuch von der Frankfurter BuchmesseLiteraturdinner, wenn Krieg ist

Slavoj Žižek sorgt mit seiner Rede bei der Eröffnungsfeier für Aufregung – und Gesprächsstoff. Wichtig ist aber trotzdem, wie man angezogen ist.

Bin ich underdressed? Buchteln zum Nachtisch Foto: Aron Boks
Inhaltsverzeichnis

Dienstag, 17 Uhr. Gerade wird die Buchmesse feierlich eröffnet, und erst vorm Eingang lese ich das extrem Kleingedruckte auf meinem Presseticket.

Das reicht wohl ohne Anmeldung heute nicht aus.

Von der Frankfurter Buchmesse

Aron Boks ist zum ersten Mal auf der Frankfurter Buchmesse. In diesem Tagebuch berichtet er von seinen Eindrücken. Hier geht es zum ersten Tag: Deutscher Buchpreis.

„Aber ich schreibe hier das Online-Tagebuch!“, sage ich.

Ich komme nicht rein.

Aron Boks

Aron Boks wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt seit 2016 als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin. 2023 erschien sein Buch „Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat“.

Egal, denke ich und gehe zu meinem eigentlichen Highlight des Tages: Dinner vom Verlag Klett-Cotta im Literaturhaus Frankfurt.

Leute, die früher hier waren, prophezeiten für solche Messe-Events: angenehmen Gossip und Glamour. Die Adresse „Schöne Aussicht“ klingt passend, zudem war die Verlagsautorin Anne Rabe Nominierte für den Buchpreis und zwei Kol­le­g:in­nen sind auch da.

Aufregung um Žižek

Gleich zu Beginn findet auf dem Balkon ein schnelles Gespräch darüber statt, was vorhin auf der Eröffnungsfeier der Messe abging. Ehrengastland ist ja dieses Jahr Slowenien, und darum war der Philosoph Slavoj Žižek als Redner eingeladen. Nachdem sich alle Vor­red­ne­r:in­nen mit Israel solidarisierten, nutzt der wohl den Moment, um sich für die am Gazastreifen lebenden Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen einzusetzen. Klar, die Terrorangriffe seien furchtbar, aber Israels Rolle wäre nicht positiv im Nahostkonflikt – dann Riesen-Aufregung vor Ort.

„Aber ich war auch nicht dabei“, sagt dann einer der zwei Männer, und beide schauen mich an. Mist, denke ich.

Später werde ich das nacharbeiten: Bei der Rede gibt es mehrere Zwischenrufe, viele verlassen den Saal, Relativierungsvorwürfe, Protest Žižeks und Messedirektor Boos macht klar, dass Žižeks Worte im Sinne des freien Wortes bestehen müssten.

Jetzt am Abend sagt jemand: „Aber normalerweise sind diese Eröffnungen mega fad!“

Das dachte ich auch!

Zeit reinzugehen.

Kronleuchter und Crémant

Das Literaturhaus Frankfurt sieht von innen aus, wie man sich klischeehaft die gesamte Literaturwelt vorstellt. Riesige Kronleuchter, lange weiß bedeckte Tafeln und an einer Wand steht ein riesiges Goethezitat: „Das Leben ist viel zu kurz, um schlechten Wein zu trinken.“

Ich bekomme schneller einen Crémant, als ich meine Jacke ausziehen kann, stecke mein blau-goldenes Hemd in die Hose mit ebenso goldenem Gürtel. Ich werde von einem Mann mit dickrandiger Brille gemustert.

„Na, Sie haben sich wohl reingesneakt?“, fragt er und grinst.

Ich lächele höflich und gehe zu meinem Sitzplatz neben Miko, der nicht wirklich so heißt.

Die Reden

Dann klirrt ein Glas. Der Verleger steht auf, wendet sich an Anne Rabe und trägt ihr einen Auszug seiner eigentlich für diesen Abend angedachten Rede vor.

„Liebe Anne, niemand hat den Buchpreis so sehr verdient wie du!“, sagt er liebevoll. Applaus.

Später spricht der englische Historiker und Autor Simon Sebag Montefiore, dessen 1536-seitiges Buch „Die Welt. Eine Familiengeschichte der Menschheit“ bald offiziell bei Klett-Cotta erscheint und jetzt schon hier auf den Tischen steht. Er redet so rhythmisch wie ein Spoken-Word-Artist und vermischt Dankesworte mit Einblicken in seine jüngste Arbeit und die an seinen historischen Mammutprojekten über die Romanows, Stalin und Jerusalem.

„Einmal bin ich nachts um drei Uhr im Bett hochgeschreckt und meine Frau fragt mich, was los ist und ich sage: ‚Ich hab‘ Jesus Christus vergessen!'“

Super Typ, super Stimmung im Saal, dann gibt es Essen.

Die Kellner bringen kleine Tassen mit Maronenschaumsuppe.

Miko zeigt mir, mit welchem Löffel ich anfangen soll, als wären wir in „Titanic“. Das ist mein erstes Literaturpartydinner, keine Ahnung was mich hier erwartet.

Neben mir ein aufgeregtes Gespräch.

„Da müsste man doch hin!“, sagt jemand.

Ich trinke schnell meinen Crémant aus.

„Wohin?“, frage ich.

„Na, nach Israel!“

Richtig.

Draußen rauchen

Wir gehen rauchen. Dort steht erneut der Mann mit der Brille von eben.

„Bekommen Sie auch was zu essen?“, fragt er und mustert wieder mein Outfit. „Oder dürfen Sie nur als Zaungast dabei sein?“

Aber irgendwie lächelt er dabei immer so fröhlich, dass ich locker bleibe.

Jedenfalls steht auf meinem Tisch der zweite Gang: Gebratene Entenbrust/Jus/Rotkohl/Kartoffelknödel.

„Bin ich underdressed oder so?“, frage ich Miko dann doch beim Essen.

„Nein, du siehst super aus“, sagt er und ich ziehe meine Jacke aus.

Buchteln zum Dessert

Beim Rauchen laufe ich an einem Diskussionshalbkreis vorbei.

„Diese Absage geht gar nicht!“

„Aber die Autorin wird doch geehrt!“

„Ja, aber nicht hier, und man weiß auch nicht, wann“

„Aber könnt ihr das nicht ein bisschen verstehen?“

Das Dessert kommt: Buchteln gefüllt mit Vanilliecrème und Pflaumenkompott. Und ich google, was überhaupt abgeht: Die palästinensische Autorin Adania Shibli soll nicht wie vorgesehen auf der Frankfurter Buchmesse für ihren Roman „Eine Nebensache“ geehrt werden. Angesichts des Hamas-Angriffs auf Israel wird die Verleihung auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

Der Kellner kommt. „Noch Espresso, noch ein Wein?“

Ich gehe nach draußen, da läuft noch immer der Diskurs über Shibli.

„Da schreibt eine Schriftstellerin vor vielen Jahren ein Buch und soll dafür geehrt werden“, sagt jemand. „Das kann nicht einfach wegen der plötzlichen Lage abgesagt werden!“

„Es ist auch nicht die beste Lösung“, entgegnet ein anderer. „Aber es geht um den Zeitpunkt und …“ Ein Typ aus der Runde dreht sich zu mir.

„Was sagen Sie denn?“, fragt er.

Und ich stottere, dass ich mich belesen muss, und gehe schnell wieder rein.

Dort höre ich immer wieder höchstens den Anflug von Gossip nach dem Buchpreis, ansonsten Gespräche über Lesungen und kommende Partys.

Lieber kein Gin Tonic

Dann im nächsten Moment wieder Diskussionen über Palästina, Israel und die Frage nach welchen Gesprächen zu welchem Zeitpunkt. Und als ich irgendwann an der Bar einen Gin Tonic bestellen will, interveniert der Kellner. „Den müsstest du selbst zahlen und das willst du doch nicht!“

Ich bekomme ein kleines Bier.

Am Mittwoch dann mein erster Messetag, denke ich. Und abends eine Party, irgendein Empfang. Es gibt viel zu besprechen.

Also austrinken, Nachrichten gucken, Ibuprofen bereithalten und schnell ins Bett. Bis Morgen!

Aron Boks, 1997 geboren, lebt als Autor in Berlin. Er schreibt für diverse Zeitungen und Magazine. Zuletzt erschien das Buch „Nackt in der DDR“ über seinen Urgroßonkel, den Maler Willi Sitte (Verlag HarperCollins). Das Messetagebuch wird finanziert von der taz Panterstiftung.

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