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Griechischer Regisseur über die Liebe„Wir brauchen Beziehungen“

Christos Nikous hat mit „Fingernails“ eine Science-Fiction-Liebeskomödie gedreht. Inspiriert hat ihn dazu auch der Irrsinn aktueller Dating-Apps.

Sind sie das perfekte Paar? Anna (Jessie Buckley) und Amir (Riz Ahmed) in „Fingernails“ Foto: Apple TV+
Thomas Abeltshauser
Interview von Thomas Abeltshauser

An Fingernägeln lassen sich Herzprobleme aller Art ablesen. Die Testmaschine in der Dramedy „Fingernails“ analysiert vor allem, ob die Liebe zwischen zwei Menschen übereinstimmt. Anna (Jessie Buckley) und Ryan (Jeremy Allen White) haben sich im Institut prüfen lassen, sie sind das perfekte Paar. Doch Anna ist sich nicht sicher. Und dann begegnet sie Amir (Riz Ahmed) und stellt ihr bisheriges Leben infrage. Mit seinem zweiten Spielfilm gelingt dem griechischen Regisseur Christos Nikou eine schräge Meta-Romantikomödie über menschliche Beziehungen im Zeitalter technischer Validierung.

taz: Herr Nikou, wie kamen Sie auf die Idee, eine Art Science-Fiction-Film über die Liebe zu machen?

Christos Nikou: Schon seit einigen Jahren versuche ich zu verstehen, was Liebe wirklich ist. Ich habe noch immer keine Ahnung. Warum ist es heutzutage so schwierig, Liebe zu finden? Warum nutzen Menschen Dating-Apps und lassen sich von einem Algorithmus sagen, wer perfekt zu ihnen passt? Warum wagen wir es nicht mehr, im realen Leben jemanden anzusprechen? Einfach mal in einer Bar flirten, jemanden auf der Straße anlächeln. Offensichtlich müssen wir erst mal alles über jemanden wissen, bevor wir den ersten Schritt wagen. Dadurch geht alles Überraschende verloren, es ist wie das Abhaken eines Einkaufszettels. Das stand am Anfang, wie sich Liebe und Verlieben durch Technologie verändert hat.

Sie erzählen davon aber nicht in der Gegenwart, sondern in einem merkwürdig aus der Zeit gefallenem Kontext.

Dave Benett
Im Interview: Christos Nikou

Der Regisseur Christos Nikou wurde 1984 in Athen geboren. Sein Debütfilm „Apples“ lief 2020 in Ve­ne­dig in der Reihe „Oriz­zonti“. Für „Fingernails“ drehte er zum ersten Mal einen Film auf Englisch.

Ich nenne es zeitlos. Die einzige Technologie im Film ist die Maschine, die anzeigt, ob die Zuneigung zweier Menschen zu 100 Prozent, zu 50 Prozent oder eben gar nicht übereinstimmt. Der Film soll ein bisschen so aussehen, als wäre er ein wiederentdecktes Werk aus den späten Neunzigern, in dem prophezeit wird, wie wir heute Liebe erleben. Deswegen habe ich auch sehr viel Zeit damit verbracht, den perfekten Soundtrack dafür zusammenzustellen, der aus nicht ganz so bekannten Popsongs der 80er und 90er besteht. Und es war auch der Grund, nicht digital, sondern auf 35-mm-Film zu drehen.

Der Film lebt auch von der Chemie der drei Hauptfiguren. Wie haben Sie Ihre Besetzung gefunden?

Jessie Buckley war von Anfang an klar. Sie überrascht mich immer wieder, sie hat dieses melancholische Lächeln, das den Ton des Films perfekt widerspiegelt. Riz Ahmed ist für mich ein Chamäleon, er kann Komödie wie in „Four Lions“ ebenso wie Drama, etwa in „Sound of Metal“. Ich hatte die Intuition oder Hoffnung, dass die beiden gut zusammenpassen würden. Und Jeremy Allen White entdeckte ich, wie so viele Serienfans, durch die erste Staffel von „The Bear“. Nach einem Zoom-Call wusste ich: Er ist es.

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Nach Ihrem griechischen Debütfilm „Apples“ ist es Ihr erster englischsprachiger Film. War die Arbeit mit amerikanischen und britischen Dar­stel­le­r*in­nen ein Kulturschock?

Filme sind Filme, das unterscheidet sich nicht groß. Die Filmsprache ist dieselbe. Der eigentliche Unterschied war das größere Budget. Das gab mir mehr Freiheiten, erlaubte mir, mehr zu spielen und zu träumen. Vor jedem Dreh legte ich einen Song auf, den alle im Cast und in der Crew anhörten, um so in die Stimmung für die bevorstehende Szene zu kommen.

Wie haben Sie für sich den richtigen Ton gefunden? „Fingernails“ ist keine klassische Romantikkomödie, ist zugleich anti und meta.

Das hat viel mit dem melancholischen Lächeln zu tun, von dem ich eben sprach. Ich mag es, wenn Filme vielschichtig sind, ohne zu schwer oder ernst zu sein. Filme wie Peter Weirs „Die Truman Show“, Michel Gondrys „Vergiss mein nicht!“ oder Mike Mills' „Beginners“. Ihnen gelingt für mich die perfekte Balance aus Komödie und Drama, das habe ich auch versucht. Es ist sehr konzeptuell, aber nicht sarkastisch und zynisch, sondern warm und humanistisch. So haben wir das Drehbuch geschrieben, aber viel entsteht und verändert sich auch durch die Darsteller*innen, die ihren ganz eigenen Touch einbringen.

Das unkonventionelle Erzählen hat in den letzten Jahren eine ganze Generation griechischer Fil­me­ma­che­r*in­nen international bekannt gemacht, von Yorgos Lanthimos bis Athina Rachel Tsangari. Inwiefern fühlen Sie sich dieser „Greek Weird Wave“ verbunden?

Der Film

„Fingernails“. Regie: Christos Nikou. Mit Jessie Buckley, Riz Ahmed u.a. USA 2023, 113 Min. Läuft ab 3. 11. auf Apple TV+

Diese Welle ist vor allem durch die frühen Filme von Yorgos Lanthimos und seinem Co-Autor Efthymis Filippou geprägt, „Dogtooth“ oder „The Lobster“. Deren Tonfall ist sarkastischer als in meinen Filmen. Was uns aber eint, ist der Versuch, durch schräge Geschichten etwas über menschliches Verhalten und unsere Gesellschaft auszusagen.

Haben Sie den Eindruck, dass sich Menschen angesichts sozialer Medien und künstlicher Intelligenz wieder nach mehr Kontakt und Austausch im echten Leben sehnen? Hoffen Sie auf eine Gegenreaktion zu virtueller Kommunikation und Beziehungsanbahnung?

Ich bin grundsätzlich Optimist. Ich glaube fest daran, dass wir dorthin zurückkehren, weil wir feststellen, dass es so wie jetzt nicht funktioniert. Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen Beziehungen und direkten Kontakt. A.I. macht mir Angst, ganz ehrlich. Wir sind Menschen, wir müssen uns dagegen wehren, wie Roboter zu funktionieren.

Was haben Sie selbst durch den Film über die Liebe gelernt?

Liebe ist etwas, das man jeden Tag pflegen muss. Und man muss Geduld haben. Single zu sein, heißt nicht, dass etwas mit mir nicht stimmt. Irgendwo auf dieser Welt gibt es den oder die richtigen Menschen. Wir müssen ihnen nur begegnen und sie erkennen.

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1 Kommentar

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  • Nach C.G. Jung ist das "Denken"(Ratio) der Gegenspieler von "Fühlen" (Religiosität). Derzeit huldigen wir zu sehr dem Denken-Gott - mit allen Konsequenzen.