: CDU meißelt an der Brandmauer
Führende Unions-Politiker*innen rechtfertigen, dass die Thüringer CDU mithilfe der AfD die Regierung überstimmte. Kritik kommt kaum
Von Jana Ballweber und Dinah Riese
Die CDU in Thüringen jubelt: Am Donnerstag brachte die Oppositionspartei einen Antrag auf Senkung der Grunderwerbsteuer durch den Landtag – mit den Stimmen der FDP und der AfD. Noch vor Kurzem hatte der Bundesvorsitzende Friedrich Merz jede Zusammenarbeit mit der Rechts-außen-Partei kategorisch abgelehnt. Das scheint nun Makulatur zu sein – und der allergrößte Teil der Union zieht mit.
Öffentlich dominiert unter den Äußerungen prominenter Parteivertreter*innen das Narrativ: Einen Antrag durchzubringen, der ohne AfD-Stimmen chancenlos wäre, sei gar keine Zusammenarbeit. Diese Meinung vertritt auch der CDU-Parteichef: „Wir machen das, was wir in den Landtagen wie auch im Deutschen Bundestag diskutieren, nicht von anderen Fraktionen abhängig“, hatte Merz schon am Donnerstagmorgen dem Sender RTL gesagt. Die thüringische CDU habe ihr Vorgehen mit ihm abgesprochen.
Zum Amtsantritt im Dezember 2021 hatte Merz noch eine „Brandmauer“ gegen die AfD angekündigt und jeglicher Zusammenarbeit eine Absage erteilt. Doch viele Unions-Leute scheinen „Zusammenarbeit“ inzwischen sehr eng auszulegen. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder gab Merz recht, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte der Rheinischen Post: „Wie andere Fraktionen sich dazu verhalten, darf für uns nicht Maßstab sein.“
So sieht es auch Unionsfraktionsvize Jens Spahn: „Wir können als CDU richtige Positionen nicht aufgeben, nur weil auch die Falschen sie richtig finden“, schrieb dieser auf X, vormals Twitter. Und die CDU-Vizevorsitzende und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein Karin Prien sagte im Deutschlandfunk, es gebe keine Zusammenarbeit, aber die CDU müsse „konstruktive Sacharbeit in Thüringen machen können, ohne dass gleich dieser Vorwurf erhoben wird“.
Nur wenige Unions-Politiker*innen haben sich bislang kritisch zum Vorgehen ihrer Thüringer Parteikolleg*innen geäußert. Zu ihnen zählt Priens Vorgesetzter, Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther: „Ein wie auch immer geartetes Zusammenwirken mit der AfD ist ausgeschlossen“, erklärte er am Freitagvormittag. „Das gilt auch für eigene Initiativen, die absehbar nur mithilfe dieser Partei Aussicht auf Erfolg haben.“
Das sind klare Worte – aber unter führenden Unions-Politiker*innen ist Günther damit ziemlich allein. Kritik am Verhalten der Thüringer CDU kommt, wenn überhaupt, aus der zweiten und dritten Reihe. Etwa vom ehemaligen saarländischen Ministerpräsidenten und heutigen CDU-Landtagsabgeordneten Tobias Hans. „Es ist und es bleibt falsch, mit der AfD politische Mehrheiten durchzusetzen“, schrieb Hans auf X. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker, erklärte: „Auch nach 1x drüber schlafen nicht besser: bin enttäuscht und entsetzt über die Abstimmung in #Thüringen! #noafd“. Der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz twitterte: „Diesen Preis hätte die @cdu_thueringen NIE bezahlen dürfen. Klarer Verstoß gegen den Beschluss des CDU-BPT [Bundesparteitags; d. Red.], der JEDE politische Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt“.
Der Soziologe Matthias Quent sieht in der Abstimmung einen „weiteren Schritt in Richtung Normalisierung von Rechtsextremismus“, wie er der taz sagte. Die Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD sei ein weiterer Baustein einer Entwicklung, zu der Quent etwa auch den Antisemitismusskandal in Bayern rund um Hubert Aiwanger und die teils offene rechte Flanke von CDU-Parteichef Merz rechnet.
Das Argument, man habe nur den eigenen Antrag eingebracht, dem die AfD zufällig auch zugestimmt habe, will Quent nicht gelten lassen: „Es war klar, dass die AfD zustimmt, sie hat extra einen eigenen Antrag von der Tagesordnung genommen, damit der CDU-Antrag noch verhandelt werden konnte.“ Die CDU wisse genau, was sie tue, so Quent: „Sie wollte mit der Abstimmung das Spektrum des Machbaren erweitern.“ Weil die Mehrheitsverhältnisse in Thüringen und anderen ostdeutschen Bundesländern extrem kompliziert seien und die Bundespartei eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei weiterhin ausschließe, sei eine Annäherung an die AfD die einzige Machtoption, die der Union noch bleibe.
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