piwik no script img

Unbekannte schänden Gräber von NS-Opfern

Leiter der Gedenkstätte Lager Sandbostel spricht von Zuständen, in denen Täter sich ermutigt fühlen

Von Andreas Speit

Auf dem Garnisonsfriedhof im niedersächsischen Stade sind die Grabsteine acht polnischer Kriegsgefangener und eines französischen KZ-Häftlings aus dem Stalag X-B Sandbostel mit weißer Farbe beschmiert worden. „Wir sind wütend über die Taten und die gesellschaftlichen Zustände, von denen sich die Tä­te­r*in­nen bestärkt fühlen“, sagt Andreas Ehresmann, der die Gedenkstätte Lager Sandbostel leitet. „Das Klima verändert sich.“ Die Grabanlage ist erst in diesem Jahr neu gestaltet worden und auf einigen der geschändeten Grabsteine waren Namen und Lebensdaten ergänzt worden.

Auch die Grabsteine von Jerzy Kobyliński und Fernand Deffaux sind beschmiert worden. Kobyliński kämpfte 1944 im Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzung. Nach der Niederschlagung des Aufstands nahm die Wehrmacht ihn in Kriegsgefangenschaft. Bei der Verlegung polnischer Offiziere aus dem Stalag X-B erschossen Wachsoldaten Kobyliński im April 1945. Deffaux überlebte das KZ Neuengamme, das Außenlager Meppen-Versen sowie einen Todesmarsch in das Stalag X-B. Im Juni 1945 starb er an den Folgen seiner KZ Haft.

Bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde 1939 entschieden, dass in der Nähe des Dorfes Sandbostel bei Bremervörde ein Kriegsgefangenenlager errichtet werden sollte. Das Lager war zunächst für die Unterbringung von 10.000 Gefangenen vorgesehen. In Vorbereitung des Überfalls auf Belgien, die Niederlande und Frankreich erweiterte die Wehrmacht die Kapazitäten durch zusätzliche Holzbaracken auf 30.000 Gefangene. Vor Kriegsende kamen in das Kriegsgefangenenlager auch etwa 9.500 Häftlinge aus dem KZ Neuengamme bei Hamburg und aus einigen der geräumten Außenlager im Bremer Raum. Etwa 3.000 Häftlinge starben auf dem Weg nach Sandbostel, im Lager und auch noch kurz nach der Befreiung an den Folgen von Erschöpfung, Mangelversorgung, Krankheiten und durch direkte Gewalt der Wachmannschaften.

Im Beisein mehrerer Überlebender und zahlreicher Angehöriger wurde am 29. April 2013 die Gedenkstätte in ihrer jetzigen Form eröffnet. Der 1945 eingerichtete Lagerfriedhof diente zuvor auch als Gedenkort. Im Jahr 2000 hinterließen Unbekannte genau dort Hakenkreuze und einen Schweinskopf.

„Eine antisemitische Schändung“, sagt Ehresmann. Ein solch massiver Angriff sei der jetzige Anschlag nicht. „Der Vorfall in Stade ist aber die Fortsetzung einer langen Reihe von Angriffen auf Gedenkstätten und Ak­teu­r*in­nen der Erinnerungskultur sowie der rechtsextremen Provokationen in den vergangenen Monaten“, Berlin, Hamburg, Weimar und Celle seien nur einige der Orte. In Celle haben Unbekannte Mitte August den Sitz der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten angegriffen. Der oder die Tä­te­r*in­nen hatten eine Informationstafel aus der Wand gerissen, mit der sie dann drei Fensterscheiben einschlugen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen