Ein bisschen mehr Respekt fürs eigene Geschlecht

Das Selbstbestimmungsgesetz soll „ein großer Moment“ für trans, inter und nicht-binäre Menschen werden. Doch der Entwurf geht vielen Ak­ti­vis­t:in­nen nicht weit genug – und ist nach wie vor diskriminierend

Freude bei Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) über den Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz Foto: Christian Spicker/imago

Von Nicole Opitz

Nach monatelangem Zwist hat das Kabinett am Mittwoch das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechts­eintrag“ (SBGG) soll ab dem 1. November 2024 gelten und regelt eine möglichst niedrigschwellige Änderung des Geschlechtseintrags. Der Entwurf sieht vor, dass der Geschlechtseintrag sowie Vornamen künftig beim Standesamt geändert werden können.

Kinder und Jugendliche sollen mit dem Einverständnis ihrer Sorgeberechtigten Vornamen sowie Geschlechtseintrag ändern. Sind die Jugendlichen über 14 Jahre alt und ihre Sorgeberechtigten stimmen nicht zu, kann ein Familiengericht diese Zustimmung ersetzen. Bundesjustiz- wie Bundesfamilienministerium hatten lange um einen Kompromiss gerungen, zuletzt gab es Änderungen vom Bundesinnenministerium.

Es soll das in wesentlichen Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz von 1980 ablösen, das in dem Glauben eingeführt wurde, dass trans Menschen „krank“ seien: Deshalb sind trans, inter und nichtbinäre Menschen zurzeit mit Gerichtsverfahren wie psychologischer Begutachtung konfrontiert, in denen sie teils demütigende Fragen zur Intimsphäre beantworten müssen, was künftig nicht mehr der Fall sein wird.

Die Verabschiedung des Entwurfs sei „ein großer Moment“ für trans- und intergeschlechtliche Menschen in Deutschland, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). „Das Grundgesetz garantiert die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Achtung der geschlechtlichen Identität. Trotzdem wurden die Betroffenen mehr als 40 Jahre lang durch das Transsexuellengesetz diskriminiert. Damit ist jetzt endlich Schluss.“ Für Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ist das Selbstbestimmungsgesetz Ausdruck einer Politik, für die die Grundrechte an erster Stelle stehen. „Alle Menschen haben ein Recht darauf, dass der Staat ihre geschlechtliche Identität achtet. Und um dieses Menschenrecht geht es uns.“

Der Queerbeauftragte der Bundesregierung schrieb in einer Stellungnahme: „Jeder Mensch hat das Recht auf Anerkennung seiner Persönlichkeit. Dieses Recht wird aber trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen bislang vorenthalten.“ Allerdings hoffe er auf Änderungen: „Ich setze darauf, dass im parlamentarischen Verfahren Verbesserungen am Gesetzentwurf möglich sind.“

Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* freut sich darüber, dass das Gesetz durchs Kabinett ging: „Wir sagen weiterhin sehr deutlich, dass das Selbstbestimmungsgesetz eine historische Chance ist.“ Allerdings sieht Hümpfner Kritik aus den Stellungnahmen der Verbände aus dem Mai nicht genügend berücksichtigt: „Wir appellieren vor allem an den Deutschen Bundestag, sich mit der Kritik der Stellungnahmen zu beschäftigen und diese zu berücksichtigen.“ So hatten Verbände unter anderem eine ursprünglich vorgesehene Wartefrist von drei Monaten bis zur Gültigkeit kritisiert. Der derzeitige Entwurf sieht vor, dass Betroffene drei Monate vor der Änderung beim Standesamt Bescheid geben. „Es ist vielleicht eine kleine Verbesserung, das reicht uns aber nicht.“ Der Bundesverband prüfe die neuen Änderungen noch mal auf Verhältnismäßigkeit. So kritisiert Hümpfner deutlich, dass im vorherigen Entwurf die Frage der Staatsangehörigkeit weiter gefasst wurde. In dem vom Kabinett beschlossenen Entwurf können Menschen ohne Staatsangehörigkeit nur mit „rechtmäßigem Aufenthalt“ einen Änderungsvortrag vornehmen. „Für uns ist ganz wichtig, dass alle Personen, die in Deutschland leben, den Geschlechtseintrag nach dem Selbstbestimmungsgesetz ändern können“, so Hümpfner.

Auch aus der Linkspartei gibt es Kritik: „Tatsächlich hat die Bundesregierung den ohnehin miesen Erstentwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz nun noch weiter verschlechtert“, urteilen Maja Tegeler, Daniel Bache und Frank Laubenburg von der Linkspartei in einem gemeinsamen Statement.

„Alle Menschen haben ein Recht darauf, dass der Staat ihre geschlechtliche Identität achtet“

Marco Buschmann (FDP), Bundesjustizminister

Zum Kabinettsbeschluss am Mittwoch starteten zudem 300 Ver­treter_innen von Frauenhäusern, Einzelpersonen und juristischen Verbänden eine Petition, in der sie eine Überarbeitung des Gesetzes entsprechend den Forderungen von nicht-binären Menschen von trans, inter und nicht-binären Fachverbänden und Selbstorganisationen verlagen. „Einzelne Regelungen im Entwurf führen zu Diskriminierungen und Ausschlüssen für trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen.“ Sie fordern, zwei Paragrafen und drei Absätze ersatzlos zu streichen. Der derzeitige Entwurf sieht vor, dass die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag weitergeleitet wird an verschiedene Behörden – unter anderem Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das Bundesinnenministerium hatte diese Änderung veranlasst.

In der Rangliste der Nichtregierungsorganisation ILGA-Europe, die die Gleichstellung von queeren Menschen beobachtet, belegt Deutschland im Moment den 15. Platz. Durch die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes könnte sich das ändern. So unterstützt etwa auch UN Women Deutschland das geplante Gesetz und schreibt in einer Stellungnahme dazu: „UN Women Deutschland erkennt trans Frauen als Frauen an. Auch ihnen steht Schutz und Unterstützung zu. Trans Personen sind einem besonders hohen Risiko von Diskriminierungen und Gewalt ausgesetzt.“

meinung + diskussion

das neue selbstbestimmungsgesetz
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Fristen und Wartezeit

In 15 Ländern gibt es bereits ein Selbstbestimmungsgesetz. Einige von ihnen sehen eine Wartezeit vor, die verstreichen muss, bis die Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen gültig ist. Auch Justiz- und Familienministerium sahen in ihrem Entwurf eine Wartezeit von drei Monaten vor. Nach heftiger Kritik von Verbänden, der Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman sowie dem Queerbeauftragten Sven Lehmann ist diese Wartezeit nun leicht verändert worden: Die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen soll drei Monate vor der Erklärung gegenüber dem Standesamt angemeldet werden. Ein Vorname allein kann nicht geändert werden, auch muss der Vorname nicht zwangsweise bei einer Änderung des Geschlechtseintrags geändert werden. Eine Änderung des Geschlechtseintrags ist ein Jahr gültig, erst danach kann der Eintrag wieder geändert werden.

Kinder und Jugendliche

Äußern Kinder unter 14 den Wunsch nach einer Änderung ihres Geschlechtseintrags, müssen die Eltern entscheiden, ob sie dies im Namen ihres Nachwuchses beantragen wollen. Jugendliche zwischen 14 und 18 wiederum sollen dies selbst beim Standesamt tun können – mit der Zustimmung der Sorgeberechtigten. Sind diese mit der Änderung des Geschlechtseintrags nicht einverstanden, können Jugendliche das Familiengericht einschalten, die anstelle der Eltern entscheidet. Vorgesehen ist, Beratungsangebote für Kinder und ihre Eltern auszubauen. Der Unionsfraktion reicht das nicht: „Mit diesem Gesetz wird bei Kindern und Jugendlichen in nicht verhältnismäßiger Art und Weise in das grundrechtlich geschützte Erziehungsrecht der Eltern eingegriffen“, warnt Silvia Breher, frauenpolitische Sprecherin der CDU. Laut Justizminister Buschmann hat der Staat bei einem verantwortungslosen Umgang von Eltern Möglichkeiten, da­gegen vorzugehen.

Schutzräume für Frauen

Lange war über Frauensaunen und andere Schutzräume diskutiert worden. Vor allem Konservative und Rechte argumentierten mit der Gefahr von Gewalt von Männern, die durch ein vereinfachtes Verfahren ihren Geschlechtseintrag ändern würden und sich somit Zutritt in Schutzräume verschaffen würden. Diese Bedenken haben es mit dem sogenannten Hausrechtsparagrafen in den Gesetzestext geschafft. Frauenverbände wie UN Women Deutschland kritisieren dies: „Die in Teilen der Öffentlichkeit geäußerten Bedenken hinsichtlich der Gefährdung von Frauen, Frauenrechten oder Schutzräumen für Frauen durch etwaige missbräuchliche Nutzung des Selbstbestimmungsgesetz teilt UN Women Deutschland nicht.“

Daten werden weitergereicht

Nachdem Geschlechtseintrag und Vorname geändert sind, werden entsprechende Daten an Polizei, Verfassungsschutz, das Bundesamt für Migration und andere Behörden weitergeleitet. Das Bundesinnenministerium sah dies als notwendig an, um Straftäter_innen an einem Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes zu hindern. Die Weitergabe wird unter anderem von der Antidiskriminierungsbeauftragten Ataman kritisiert. Für Familienministerin Paus ist klar, dass, wenn es keine Trefferquote gibt, die Daten sofort gelöscht werden. (nio)