Alex Jacobowitz mit Kamerastativ vor der Synagoge Wörlitz

Treffen mit einer alten Bekannten? Jacobowitz vor der Synagoge in Wörtlitz Foto: Thomas Gerlach

Jüdisches Leben in Deutschland:„Es gibt kein Buch über Synagogen“

Alex Jacobowitz ist Musiker – und reist durch Deutschland, um Synagogen zu fotografieren. Warum er selbst oft staunt und was ihm Mut macht.

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Aus wörlitz, gröbzig, halle, leipzig, 4.9.2023, 13:25  Uhr

Das Motiv ist perfekt. Die Synagoge, ebenmäßig wie ein antiker Tempel, ruht auf einem künstlichen Hügel, Steine sichern die Böschung, davor eine Wiese. Zufrieden baut Alex Jacobowitz das Stativ auf, fixiert das Bild. Durch das Laub schimmert der See. Es hat etwas Bukolisches.

Doch ein Schriftzug will sich nicht in die Idylle fügen. Es ist nichts Religiöses, nichts Hebräisches, sondern sehr deutsch und sehr profan. „Forelle, heiß geräuchert“ steht auf dem Schild. Das Gasthaus Seeblick wirbt um Kunden, die Forelle soll ein Leckerbissen sein. Doch soll sie in einem Fotobuch über Synagogen in Deutschland beworben werden?

Als der Aufsteller beiseite ist, prüft Jacobowitz noch einmal das Arrangement. Die klassizistische Synagoge im Städtchen Wörlitz in Sachsen-Anhalt ist ein Schmuckkästchen – und eine von hundert Synagogen, die Alex Jacobowitz in diesem Sommer aufsucht, wie man alte Bekannte ausfindig macht, mit ihnen Geschichten austauscht und für ein Fotoalbum ablichtet, das im nächsten Frühjahr in die Buchländen kommen soll, sein Titel: „100 Synagogen in Deutschland“.

Jacobowitz ist für sein Buch viel unterwegs. Er staunt selbst über die Vielfalt. Mal findet er in Ansbach in Franken eine barocke Synagoge, dann schickt er ein Foto von der Synagoge aus Ichenhausen bei Ulm, dann postet er einen Vers von Paul Celan. „Also / stehen noch Tempel. Ein / Stern / hat wohl noch Licht. / Nichts, / nichts ist verloren.“ Es klingt wie eine Selbstermunterung.

Bestand

Die älteste Synagoge Deutschlands steht in Worms und ist von 1034. Die neueste wird demnächst in Dessau eingeweiht. In München ist eine in Planung. Es gibt derzeit etwa 100 aktive Synagogen. Vor 1938 waren es im Deutschen Reich 2.800 Synagogen und Betstuben.

Es soll in Deutschland etwa 900 Gebäude geben, die früher als Synagogen genutzt wurden und später umgewidmet wurden. Aus der Synagoge von Sommerhausen bei Würzburg etwa wurde eine katholische Marienkapelle. Andererseits dient die ehema­lige Cottbuser Schlosskirche seit 2015 als Synagoge.

Bedeutung

Der Begriff Synagoge stammt aus dem Griechischen und bedeutet versammeln, zusammenkommen. Das Wort stammt aus der Septuaginta, der griechischen Version der jüdischen Bibel, die um 250 in Alexandria entstand. Im Hebräischen gibt es als Entsprechung das Wort Bet Knesset, im Jiddischen den Begriff Schul.

Die Bedeutung der Synagogen im Judentum besteht darin, dass das Gebet in der Synagoge theologisch als Ersatz gedeutet wurde für das Opfer im Tempel von Jerusalem, der im Jahr 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde. Die Synagoge wurde im Laufe der Zeit zudem sozialer Mittelpunkt des Gemeinde­lebens.

Buch

Das Buch „100 Synagogen in Deutschland“ von Alex Jacobowitz wird im Frühjahr 2024 bei Hentrich & Hentrich in Leipzig erscheinen. (thg)

Kulturelle Erfolgsgeschichte

Heute hat ihn dieser Antrieb nach Sachsen-Anhalt geführt. Meteorologen haben eine Hitzewarnung herausgegeben, es ist allerdings noch früh am Tag. Der Landschaftspark von Wörlitz, seit dem Jahr 2000 Unesco-Welterbe, erstreckt sich auf über 100 Hektar und endet irgendwo hinter den Baumreihen, wo im Dunst Heuballen liegen. Am östlichen Ende erhebt sich die Synagoge.

Alex Jacobowitz geht um den Bau herum, deutet an der Pforte auf die Stelle, wo die Mesusa befestigt war, eine Schriftkapsel, die an jeder Synagoge zu finden ist und die stets schräg angebracht wird. Statt der Mesusa pappt ein Zettel am Portal: „Synagoge geöffnet, Eintritt 1 €, Kinder haben freien Eintritt.“ Jetzt allerdings ist alles noch zu. Bei einem früheren Besuch hat Jacobowitz schon einen Blick hineingeworfen, wo eine Ausstellung von der Geschichte der Juden in Anhalt erzählt.

Lange Zeit ist es eine Erfolgsgeschichte, die 1672 mit dem Ansiedlungsedikt für Juden beginnt und den Kleinstaat zu wirtschaftlicher Blüte führt. Die nahe Residenz Dessau wird zum Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit. Als Sohn eines Toraschreibers wird dort 1729 Moses Mendelssohn geboren. Der Philosoph und Freund des Dichters Gotthold Ephraim Lessing gilt als Inspiration für dessen Figur von Nathan, dem Weisen.

Und am 2. März 1900 wird in Dessau in der Familie des Kantors Kurt Weill geboren. 28 Jahre später wird er in Berlin zusammen mit Bert Brecht mit der Dreigroschenoper einen der größten Erfolge der Theaterwelt feiern. 1933 flieht Weill vor den Nazis zunächst nach Paris, später nach New York. Die Dessauer Synagoge neben seinem Elternhaus geht am 9. November 1938 in Flammen auf.

Blick auf die Torarolle in der Synagoge von Gröbzig

Herzstück der Synagoge von Gröbzig: Die Torarolle Foto: Alex Jacobowitz

Vor allem Nichtjuden unter den Architekten

Noch in diesem Jahr wird dort eine neue Synagoge eingeweiht, erzählt Jacobowitz. Sie soll Weill-Synagoge heißen, ein runder Bau, der wirkt wie eine Enkelin des Wörlitzer Tempels. Architekt ist Alfred Jacoby, im Ehrenamt Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Offenbach. Jacoby hat schon in Aachen, Speyer und Chemnitz Synagogen gebaut, sein Kollege Daniel Libeskind plant in München eine Synagoge.

Dass Juden für Juden bauen, ist neu, sagt Jacobowitz. Lange war ihnen ein Architekturstudium verwehrt. „Die alten Synagogen wurden überwiegend von Nichtjuden gebaut.“ Den „Juden-Tempel“ von Wörlitz entwarf Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, der Hausarchitekt des aufgeklärten Fürsten Leopold Friedrich Franz.

Man könnte meinen, Alex Jacobowitz wäre ein Architekturkritiker. Weit gefehlt. Er ist Musiker. Auf dem Marimbaphon, einem Xylophon ähnlich, hat er es zur Meisterschaft gebracht. Jacobowitz konzertiert in Amsterdam, Budapest, Berlin. Und nebenbei ist er Vorsitzender der kleinen Jüdischen Gemeinde Görlitz, eines eingetragenen Vereins, keiner Körperschaft des öffentlichen Rechts. In der Stadt an der Neiße wurde 2021 die Synagoge wiedereröffnet.

Mit dieser Synagoge beginnt auch Jacobowitz’ Karriere als Autor. Weil noch kein entsprechendes Werk vorlag, hat er ein Buch über die Synagoge verfasst, mit Dokumenten und Fotos bebildert, verlegt bei Hentrich & Hentrich, einem Verlag für jüdische Kultur und Zeitgeschichte. Die „100 Synagogen“ sind Jacobowitz’ dritte Publikation.

Vielfältig, umfangreich – vergessen?

Für den Verlag ist es der erste „deutschlandweite Synagogenführer“, für Jacobowitz die Chance, die Vielfalt des jüdischen Lebens darzustellen, unterteilt in etwa zwei Drittel aktive und ein Drittel ehemalige Synagogen. Es soll einen Querschnitt ergeben, was die Baustile angeht, was den soziale Hintergrund ebenso angeht, was ihr Schicksal; von den Landsynagogen in Hessen bis zu den Tempeln der Großstadt.

Es ist eine Vielfalt, die Jacobowitz selbst immer wieder überrascht – überrascht, wie umfangreich sie noch ist, und überrascht, wie schnell vieles in Vergessenheit geriet, so wie die Synagoge hier, die über Jahrzehnte nur sehr vage in Parkplänen als „Vesta-Tempel“ auftauchte.

Aus dem Musiker, der sich vor über zwanzig Jahren in Deutschland niedergelassen hat, ist ein Autor geworden. Dass er orthodoxer Jude ist, dass er sich in Jerusalem hat religiös ausbilden lassen, wird den Lesern nicht verborgen bleiben. „Ich bin nicht als Fotograf unterwegs“, stellt Jacobowitz klar. „Meine religiösen Gefühle lasse ich nicht zu Hause.“

Gewölbe in der Synagoge von Wörlitz

Wie ein Wohnzimmer mit eigenem Himmelsgewölbe Foto: Alex Jacobowitz

Es ist wohl auch eine Mission, die ihn treibt. „Mein Haus wird ein Haus für alle Völker sein!“, zitiert er den Propheten Jesaja, einen Vers, der über vielen Synagogentüren prangte. Kann es eine größere Einladung geben? „Hier entdeckst du etwas über dich. Hier kannst du mit Gott reden“, sagt Jacobowitz. Synagogen sind nicht nur für Juden da. Diese hier gehört wie der Park zur Region. „Die Menschen, die hier gebetet haben, waren nicht nur Juden, sie waren auch Wörlitzer und Dessauer.“

Jacobowitz ist die Vortreppe hinaufgestiegen, bückt sich zu einer Sandsteintafel im Mauerwerk. „L.F.F. H.Z.A. 1789“ – die Buchstabenfolge ist schnell gelöst: „Leopold Friedrich Franz – Herzog zu Anhalt, der Landesherr von Anhalt-Dessau, ließ die Synagoge 1789 errichten. Der Park war das Herzstück des Arkadiens, zu dem Leopold Friedrich Franz III. seinen Kleinstaat umgestalten wollte.

Alex Jacobowitz, Sammler von Synagogen

„Die Menschen, die hier gebetet haben, waren nicht nur Juden, sie waren auch Wörlitzer und Dessauer“

Ein Einzelner wehrt die Brandstifter ab

Der Fürst ließ die Synagoge für die etwa 130 Wörlitzer Juden auf eigene Kosten bauen und war trotz Aufklärung noch Aristokrat genug, der Nachwelt dieses Zeugnis der Urheberschaft zu hinterlassen. „Gott hat das nicht nötig“, sagt Jacobowitz trocken.

Und dann hat der Mann, der 1960 in New York geboren wurde, noch einen anderen, gleichermaßen göttlichen wie republikanischen Gedanken. „1789 – das ist das Jahr, in der die amerikanische Verfassung verabschiedet wird: All men are created equal – alle Menschen sind von Geburt gleich.“

Dass die Synagoge nicht angezündet wurde, ist dem damaligen Gartendirektor zu verdanken. „Ein einziger Mensch hat das verhindert“, sagt Jacobowitz. Als am 9. November 1938 zwei Brandstifter in der Synagoge verschwinden, versperrt der Direktor kurzerhand die Tür. Um nicht selbst zu verbrennen, lassen die beiden von ihrem Plan ab und fliehen.

Der Gartenchef wird zur Strafe pensioniert, die Synagoge übersteht die Nazi­zeit. Nach 1945 kehrt der Direktor in sein Amt zurück, sein Name – Hans Hallervorden. Sein Enkel ist der Schauspieler und Theaterleiter Dieter Hallervorden.

Orte für Musik

Warum ein Buch über Synagogen? „Es gibt kein Buch“, sagt Jacobowitz. „Es gibt welche über die Synagogen, die zerstört wurden. Es gibt Bücher über Architektur, wo Architekten für Architekten schrei­ben.“ Aber sonst? „Es gibt insgesamt etwa 900 Gebäude, die man als Synagoge einstufen könnte.“ Jacobowitz sitzt hinterm Lenkrad. Es geht durch die anhaltische Provinz, vorbei an Kirchtürmen und Getreidesilos. Irgendwann lotst ihn das Navi über das Betonband eines Ackerwegs. „Ich suche als Musiker authentische Orte für meine Musik.“

Auf seinem Marimbaphon präsentiert Jacobowitz Kompositionen sephardischer Juden, Klezmer, Musik jüdischer Komponisten. Um die Ohren zu öffnen, beginnt er gern mit Bach. Auf diese Weise hat er schon so manche ehemalige Synagoge mit Leben gefüllt.

Für Jacobowitz gibt es sowieso keine ehemaligen Synagogen. „Es gibt nur quasi ehemalige Synagogen.“ Es sind die viele Synagogen, die vor 1938 verkauft wurden, weil sie zu klein geworden waren. Oder, im Gegenteil, die Synagogen nicht mehr gebraucht wurden, weil sich die Gemeinden auflösten.

Doch solange ein Gebäude nicht vollkommen umgebaut wurde, bleibe es für ihn eine Synagoge. So zu reden, kann etwas Anmaßendes haben. Oder etwas Prophetisches. Nicht, dass überall wieder jüdische Gemeinden entstünden. Doch wer weiß? Glaube speist sich auch aus Quellen, die für Außenstehende absurd sind, irrational. „Synagoge – das ist ein Prozess“, fasst Jacobowitz zusammen. Und Prozesse sind nie abgeschlossen.

Gröbzigs jüdischer Bürgermeister

Gröbzig ist ein gutes Beispiel. Jacobowitz hatte das Städtchen zwanzig Kilometer nördlich von Halle mit den Worten angekündigt: „Herrlich, mitten auf dem Lande, zweitausend Einwohner mit einer Synagoge!“ Über den Hof kommt Anett Gottschalk gelaufen. Sie ist die Chefin des Museums, das aus Synagoge, Kantorhaus, Schule, einer Remise und dem Friedhof vor der Stadt besteht.

Gröbzig war wie Wörlitz Teil von Anhalt-Dessau und für Juden ein attraktiver Ort. Hier am Rande des Kleinstaates ließen sie sich nieder, unter ihnen viele Kaufleute, damit sie im sächsischen Leipzig oder im preußischen Halle ihren Geschäften nachgehen konnten, um danach möglichst schnell wieder ins liberalere Anhalt-Dessau heimzukehren. Im Jahr 1770 gab es 38 jüdische Familien, 15 Prozent der Einwohner. Die jüdische Gemeinde wuchs, Gröbzig blühte auf. Der Stadt brachte es den Beinamen „Judengröbzig“ ein. Im Jahr 1868 wurde ein Gröbziger Jude zum Bürgermeister gewählt.

Allerdings war die jüdische Gemeinde schon vor 1933 weitgehend erloschen, erzählt Anett Gottschalk. Es war die Folge der Gleichstellung von Juden im Deutschen Reich. Die junge Generation suchte ihr Glück fortan in den großen Städten, zurück blieben die Alten. 1934 war ihre Zahl so klein geworden, dass die Gemeinde die Synagoge der Stadt übergab, verbunden mit der Auflage, das Haus für die nächsten fünfzig Jahre nicht zu verändern. Es wurde Heimatmuseum und blieb in der Pogromnacht 1938 verschont.

Anders als die zehn Alten, von denen keiner überlebt. Die letzte Jüdin, Rosalie Meyerstein, wurde am 13. September 1940 ins KZ Theresienstadt deportiert. Am 1. Oktober 1940 verkündete der Bürgermeister: „Gröbzig ist nun judenfrei.“

Sie wird kommen

Gottschalk schließt die Synagoge auf. Ein tiefblauer Himmel mit goldenen Sternen wölbt sich über den Saal. Wie ein Wohnzimmer wirkt der Raum mit seinem Gewölbe und dem Kronleuchter, dazu farbige Fenster, die Frauenempore. Auf einem Tisch liegt eine Tora, es scheint, als hätte die Gemeinde erst neulich Schabbat gefeiert.

Es war die DDR, die das Heimatmuseum verlegen ließ und die sanierte Synagoge 1988, zum fünfzigsten Jahrestag der Pogromnacht, als Museum wiedereröffnete. Jahrelang hatte der SED-Staat kaum Interesse am jüdischen Erbe. In den achtziger Jahren suchte die klamme DDR nach Kontakten ins Weiße Haus. Juden sollten Erich Honecker die Tür öffnen.

Jacobowitz wirft einen prüfenden Blick auf die Torarolle. 104.000 Buchstaben müsse sie haben, sagt er, alle korrekt geschrieben. Diese sei nicht mehr unversehrt, sagt Anett Gottschalk. „Die Tora ist nicht mehr koscher“, urteilt Jacobowitz. Sollte hier wieder ein Gottesdienst gefeiert werden, braucht es dafür eine intakte, koschere Tora. Sie wird kommen.

Zwar wird das Museum, das von einem Verein getragen wird, noch umgebaut, eine neue Ausstellung wird konzipiert. Die Museumsarbeit aber läuft weiter, es gibt Programme für Schulklassen, Führungen. Die Wiedereröffnung ist für Ende 2024 geplant. Doch schon im Dezember 2023 soll es wieder einen Gottesdienst geben, mit Jugendlichen von jüdischen Gemeinden aus Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Die Tür von Halle

„Man muss nicht mehr rückwärts schauen, man muss vorwärts denken“, bemerkt Jacobowitz. Er parkt in der Humboldtstraße in Halle, an der Einfahrt steht ein Streifenwagen. Gegenüber dem Eingang zum jüdischen Friedhof, wo sich heute die Synagoge befindet, ist in einem Container eine mobile Wache eingerichtet. Da, wo sich jüdisches Leben regt, ist es in Deutschland immer bedroht. Jede Synagoge kann davon erzählen, die von Halle besonders nachdrücklich.

Am 9. Oktober 2019, am Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, wollte ein Rechtsterrorist ein Blutbad an Juden verüben, mehr als fünfzig hatten sich in der Synagoge von Halle versammelt. Gescheitert ist der Massenmord an der Holztür, die auf das Friedhofsgelände führt, wo sich die Synagoge befindet. Der Attentäter traktierte sie mit Sprengstoff und Schüssen, die Tür jedoch hielt stand.

In seinem Hass tötete der Angreifer stattdessen eine Passantin und den Gast in einem Döner-Imbiss und verletzte weitere, bevor er nach einer langen Verfolgung überwältigt wurde. Seitdem ist die Synagoge ein Hochsicherheitstrakt.

Da, wo sich jüdisches Leben regt, ist es in Deutschland bedroht. Jede Synagoge erzählt davon, die von Halle besonders nachdrücklich

Max Privorotzki, der Vorsteher der jüdischen Gemeinde, hat für heute abgewinkt. Zu viel zu tun, zu wenig Leute, gerade im Sommer. Jacobowitz drückt trotzdem die Klingel, doch die Synagoge bleibt verschlossen. Zu sehen sind hinter der Mauer nur die Türmchen der Synagoge, die ursprünglich als Trauerhalle der jüdischen Gemeinde diente.

Die Welt reparieren

Nachdem die große Synagoge im Stadtzentrum 1938 in Flammen aufgegangen war, richtete sich die verbliebene Gemeinde nach 1945 hier ein. Die Eichentür, die Leben rettete, ist auf dem Friedhofsgelände in ein Mahnmal eingearbeitet. Jacobowitz hat die Synagoge schon vor einigen Tagen fotografiert. Jetzt knipst er nur kurz mit dem Handy. Sein unerschütterlicher Optimismus ist für einen Augenblick erloschen.

„Es ist unmöglich, in Deutschland eine Synagoge zu bauen ohne Sicherheit“, sagt er. Das war schon vor zweihundert Jahren so, als Synagogen auf Hinterhöfen errichtet wurden, damit sie vor Angriffen besser geschützt sind. Im Zuge der Emanzipation wurden Synagogen erst im 19. Jahrhundert zu Repräsentativbauten. Und heute wird hier jeder Schritt behördlich beäugt.

Jacobowitz geht an der Friedhofsmauer entlang. In den Durchgang ist eine neue Tür eingebaut. „Tikun olam“, sagt er. Tikun olam? „Das ist Hebräisch und bedeutet die Reparatur der Welt.“ Es ist ein Glaubenssatz, ein Prinzip. Er erzählt: Es ist die Gewissheit, dass man alles reparieren kann, eine Tür, eine Synagoge. „Und wenn die Synagoge repariert werden kann, dann kann auch die ganze Welt repariert werden.“ Die Welt kann besser werden.

„Wie wäre es, einen Zentralrat der Synagogen zu schaffen,“ fragt Jacobowitz. Synagogen sind wie Persönlichkeiten, Individuen, die im Gegensatz zu Menschen nicht weglaufen können. Warum sie also nicht wie Menschen würdigen?

Schön? Wichtig!

Die Leipziger Synagoge steht eher unauffällig zwischen Nachbarhäusern. Das hat sie 1938 vor Brandstiftung bewahrt. Auf der Keilstraße packt Alex Jacobowitz seine Ausrüstung aus. Jakow Kerzh­ner, der Geschäftsführer der Gemeinde, erwartet ihn. Der Maler und Grafiker, der 1978 in Kiew geboren wurde, hat neben der Synagoge eine kleine Galerie. Kerzhner schließt die Synagoge auf. Im Saal hängen große Monitore, die alles zeigen, was auf der Keilstraße vor sich geht.

Jacobowitz interessiert sich heute nicht für den Betsaal, sondern für die Mikwe, jenes Bad zur rituellen Reinigung, das für jüdische Gemeinden unverzichtbar ist. „Ist es in der Mikwe hell genug“, fragt Jacobowitz. „Ja, da ist Licht“, antwortet Kerzh­ner. „Kann ich sie fotografieren?“ – „Wenn du sie schön findest.“ Kerzhner klingt nicht begeistert. „Schön?“, fragt Jacobowitz ungläubig. Als ob es darum ginge. Es geht doch um viel mehr. Jacobowitz ruft: „Es ist wichtig!“

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