Steffen Grimberg Flimmern und Rauschen: Als ARD und ZDF noch miteinander konkurrierten
In früheren Zeiten wurde das deutsche Fernsehen von seinen Edes geprägt. Karl Eduard von Schnitzler verschreckte im DDR-Fernsehen die Schwestern und Brüder jenseits der Elbe mit Schauergeschichten aus dem Wirtschaftswunderland BRD, in dem längst nicht alles rosig war. Und ab 1967 machte Eduard Zimmermann im ZDF den Menschen mit „Aktenzeichen XY ungelöst“ Angst. Zugegeben, der Vergleich hinkt etwas. Aber beide waren jeweils schwer ideologisch und für ihr politisches System staatstragend drauf. „Sudel-Ede“ Schnitzler propagandierte bis zum bitteren Ende für die DDR, „Ganoven-Ede“ Zimmermann hielt noch bis 1997 im ZDF die Werte der Adenauer-Zeit hoch.
Regina Schilling hat in ihrem großartigen, absolut sehenswerten Film „Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann“ (aktuell in der ZDF-Mediathek verfügbar) jene Welt unerschrocken seziert und gesellschaftspolitisch eingeordnet. „Es scheint, als hätte das Land auf Zimmermann gewartet“, heißt es. „Was faszinierte unsere Eltern damals so? War es die Lust an der Angst? Fühlten sie sich selbst noch als Opfer, nachdem sie den Krieg verloren hatten und vor der Welt als Täter standen?“
Zimmermanns Ansatz: klassisch-schwarze Pädagogik. „Angst hat ja auch eine sehr gute pädagogische Wirkung. Man wird vorsichtig“, sagt er in einem der seltenen Interviews. „Das Verbrechen wächst fünfmal so schnell wie die Bevölkerung. Polizei und Gerichte sind kaum noch Herr der Lage“, moderierte er im Oktober 1967 die erste „XY“-Ausgabe an. Klar war: Hier braucht es den harten Mann, der aufräumt.
Doch damit kam er relativ spät: Die 1968er Revolution stand vor der Tür, in Bonn hieß der Kanzler ab 1969 Willy Brandt. Und wer traute sich, „XY“ und dem ZDF eins auf die reaktionäre Mütze zu geben? Heute eher unvorstellbar: die ARD. Dort ging es eine komplette Sendung „Zeichen der Zeit“ um – in progressiver Kleinschreibung – „zimmermanns jagdfieber“, das durch „XY“ ausgelöste Denunziantentum und die Übertreibungen in Sachen Kriminalität. Die Reihe lief ab 1957 beim heutigen SWR, einzelne Ausgaben gibt es im Retro-Bereich der ARD-Mediathek. Eine volle Stunde wurde hier der stets im Dreiteiler moderierende Biedermann konfrontiert.
Damals gab es also tatsächlich, was heute nur noch behauptet wird: publizistische Konkurrenz zwischen ARD und ZDF. Dabei wäre sie aktuell bitter nötig, um in der verquasten Reformdebatte klarzumachen, dass die Öffentlich-Rechtlichen pluralistisch sind, beziehungsweise sein könnten. „Vielfältigkeit entsteht doch nicht automatisch aus Konkurrenz. Das ist auch so was von gestern und rein marktwirtschaftlich getriggert“, meint die Mitbewohnerin. Immerhin dürfen wir dem ZDF dankbar sein, dass es kritische Dokus in eigener Sache zulässt.
Steffen Grimberg bringt hier jede Woche Unordnung in die aufgeräumte Medienwelt. Er ist Medienprofi und Vorsitzender des Berlin-Brandenburger Journalistenverbands DJV Berlin – JVBB.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen