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Knasttheater goes Musical

Das Gefangenentheater der JVA Tegel führt zusammen mit „17 Hippies“ Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ auf. Eine Theaterperle hinter Gittern

Von Tom Mustroph

Das Prozedere für diesen Theaterbesuch ist ungewöhnlich. Wer Knasttheater kennt, der packt jedoch ganz lässig und routiniert Geld und Kippen, Lippenstift und auch das Handy in die Schließfächer am Eingang und strebt nur mit dem Ausweis bestückt dem Gittertor zu. Der Ausweis ist die Garantie, dass man auch wieder rausgelassen wird und nicht Probeeinsitzen muss mit den aktuell mehr als 600 Insassen der JVA Tegel. Der digitalen Endgeräte beraubt fühlen sich die meisten Neuankömmlinge etwas nackt. Das hat aber auch Vorteile. Statt zu daddeln und entfernten Bekannten bestenfalls locker zuzuwinken, vertieft man sich in Gespräche, unterhält sich mangels digitaler Ablenkung sogar mit völlig unbekannten Personen. Der unerwartete Zauber der analogen Echtzeitkommunikation sorgt auch für das eine oder andere rote Erregungsbäckchen.

Zudem strahlt die Sonne prächtig auf das alte Ziegelmauerwerk der Anstalt. Und in einem der Schiffahrtscontainer, die traditionell die Outdoor-Aufführungen des Theaterprojekts aufBruch prägen (Bühnenbild: Holger Syrbe), machen sich ein Tuba-Spieler, ein Trompeter und Perkussionist sowie ein Akkordeonspieler der Berliner Band „17 Hippies“ zu schaffen. Das Trio sorgt für satten Sound. In den legt sich das teils mit satten Freiheitsstrafen versehene Schauspielerensemble, um Gangster und Ganoven vielerlei Couleur darzustellen – wie den Gangster-Stellvertreter Ernesto Roma etwa, in den Brecht einerseits Hitlers frühem Kumpel Ernst Röhm nachbildete, ihm andererseits auch Züge von einstigen Kumpanen Al Capones verlieh. Später wurden sie vom Boss beseitigt, ganz in Analogie zu Hitler und Röhm.

Eine richtig schöne Bande aus Schlägern und Erpressern stellen die Männer mit Namen wie Atak und Can Can, Robin, Marco und Adrian dar. Sie beherrschen dieses Fach. Gefährlich aussehen gehört für manche Darsteller vielleicht sogar zum Berufsbild. Manch machohafte Drohgebärde auf der Bühne wird vom Publikum hier als viel authentischer rezipiert als wenn sie beispielsweise von einem Lehrersohn mit „Ernst Busch“-Ausbildung in irgendeinem Guckkasten dieser Stadt dargeboten würde. Das Spiel, nicht zu wissen, was genau in mancher Geste dieser Schauspiellaien im Innenhof der JVA steckt, macht einen der Reize des Gefangenentheaters aus. Manche Darsteller dürfte auch reizen, den ganzen Spielraum von Gefährlichkeitsgesten ungestraft ausloten zu können und dafür noch mit Szenenapplaus bedacht zu werden.

Brecht selbst, ist überliefert, war begeistert vom Supergangster Al Capone. Mehr noch elektrisierte ihn aber das kapitalistische Verbrechen. Was sei der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer solchen, lautet schließlich einer seiner Merksätze aus dem musikalischen Gangster-Opus „Dreigroschenoper“. Die wollte aufBruch-Regisseur Peter Atanassow zuerst aufführen. „Wir hatten dann aber nicht genug Zeit, um der Weill-Stiftung, die uns gegenüber sehr aufgeschlossen ist, die aber auch sehr präzise wissen will, wie wir mit den Liedern umgehen wollen, unsere Transponierungen zu übermitteln“, erklärt Atanassow der taz das Umschwenken auf den „Ui“.

Gefährlich aussehen gehört vielleicht für manche Darsteller sogar zum Beruf

Die Notlösung entpuppt sich als Glücksfall. Die Bläser- und Quetschkommodenarrangements (verantwortlich Christopher Blenkinsop) saugen förmlich hinein in die wilden 20er und die eher brutalen 30er Jahre des letzten Jahrhunderts auf beiden Seiten des Atlantik. Die Songs kitten auch manche dramaturgische Bruchstelle, an der schon Brecht nur mit sehr grobem Besteck die Gangstergeschichte aus den USA mit der Führergeschichte aus Europa zusammendrosch. Als schönstes Stück entpuppt sich dabei „Mein kleiner grüner Kaktus“. Exzentrische Naturliebhaberei mischt sich in dieser Interpretation des musikalisch begleiteten Gefangenenchors so prächtig mit allergemeinster Gefährlichkeit; man vermeint die Stacheln dieser wehrhaften Pflanzen im eigenen Fleisch zu spüren.

Ein toller Kunstgriff ist die Doppelbesetzung der Hauptfigur. Anfangs ist der Ui vor allem der kleine Vorstadtgangster mit den großen Ambitionen, der mit beachtlichem komischen Talent von Robin verkörpert wird. Nach Sprech-, Geh- und Stehtraining zum Massenverführer gemäß dem historischen Vorbild aus Braunau geworden schlüpft hingegen Peter Maier in die Rolle. Dieser Maier, ein Deutsch-Schweizer mit Prägungen auch aus dem Tessin, spielt, spricht und singt diesen Ui als eine so gekonnte Mischung aus Hitler, Mussolini und einer kleinen Prise Berlusconi, dass selbst Björn Höcke neidisch werden dürfte. Fast vergisst man, dass der „Ui“ als Warnstück vor aufsteigendem Faschismus gedacht war. Aber gerade weil er hier so groovy daher kommt und auf die biedere Zeigefingerhaltung verzichtet, geht die Rechnung vielleicht sogar auf. Eine Theaterperle hinter Gittern. Und ein schöner Vorgeschmack auf die „Dreigroschenoper“, die dann wohl im nächsten Jahr kommt.

JVA Tegel, nächste Vorstellung: 30. August

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