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: Kein Geld mehr für Italiens „Beschäftig­bare“ – außer sie haben Kinder

Grundsicherung suspendiert, wie von Artikel 13 des Gesetzesdekrets 48/23 vorgesehen. Eventuelle Übernahme durch die Sozialdienste“. Bürokratisch in der Form, brutal in der Sache war die SMS, die Ende letzter Woche 169.000 Menschen in Italien auf ihr Handy geschickt bekamen: Seit dem 1. August erhalten sie keinen einzigen Cent mehr aus der staatlichen Grundsicherung.

Vor drei Monaten hatte die Rechtskoalition unter Giorgia Meloni das entsprechende Gesetz beschlossen, mit dem die Grundsicherung in ihrer alten Form abgeschafft wird. Schon im Wahlkampf vor einem Jahr hatten Meloni und ihre Verbündeten immer wieder gegen die Unterstützung für arbeitslose Menschen gewettert, die doch bloß eine Einladung zum Rumlümmeln „auf dem Sofa“ sei.

Erst 2019 war das „Reddito di cittadinanza“, das „Bürgereinkommen“, von der damaligen Regierung aus Fünf Sternen und der rechtspopulistischen Lega eingeführt worden. Wirklicher Befürworter der Unterstützungsleistung war bloß die Fünf-Sterne-Bewegung, während die Lega nur aus Koalitionsdisziplin mitspielte.

Italien war damit eines der letzten EU-Länder, die eine für alle Bür­ge­r*in­nen geltende Sozialhilfe einführten. Bis zu 500 Euro monatlich gab es, dazu noch 200 Euro für den*­die Ehe­part­ne­r*in und je 100 Euro pro Kind sowie maximal 280 Euro für die Miete.

Doch jetzt trifft die von der Rechten inklusive der Lega verabschiedete Streichung alle Haushalte, deren Angehörige zwischen 18 und 59 Jahren alt sind. Nur Familien mit minderjährigen Kindern oder ältere Personen über 60 erhalten noch Stütze. Wer über 18 ist, so die Rechtsparteien, sei doch „beschäftigbar“ und solle sich gefälligst einen Job suchen. Ob die „Beschäftigbaren“ auch vermittelbar sind, ob es überhaupt Jobs für sie gibt, ist eine Frage, die die Regierung nicht interessiert.

Nur noch sieben Monate im laufenden Jahr soll die Grundsicherung für sie fließen, dann ist Schluss. Deshalb greift die Streichung jetzt für alle jene, die seit dem 1. Januar schon Geld aus der Sozialkasse bekamen. Rund 80.000 Menschen werden daher am 1. September eine SMS bekommen, diejenigen nämlich, die vom 1. Februar an Unterstützung bezogen.

Stattdessen, so laut der verschickten SMS, seien jetzt womöglich „die Sozialdienste“ der Kommunen für sie zuständig. Allerdings wurden die Sozialämter weder darüber informiert noch erhielten die Städte und Gemeinden auch nur einen einzigen zusätzlichen Cent für die Armenhilfe – entsprechend aufgebracht sind jetzt die Bür­ger­meis­te­r*in­nen quer durch Italien, auf deren Sozialämtern sich nun Schlangen verzweifelter Menschen bildeten.

Einen Ausweg jedoch haben die „Beschäftigbaren“, denen der Unterhalt gestrichen wurde: Wenn sie an Fort- und Weiterbildungskursen teilnehmen, können sie für maximal ein Jahr 350 Euro monatlich erhalten. Bis zum 1. August jedoch hat es das Arbeitsministerium nicht einmal geschafft, die versprochene Internetplattform einzurichten, auf der mögliche Kursangebote platziert werden sollen. Am Ende bleibt die Verantwortung, eine Bildungsmaßnahme zu finden – und so weiter die mehr als bescheidene Unterstützung zu bekommen –, sowieso an den Arbeitslosen hängen: Wer nicht selbst fündig wird, bekommt schlicht nichts.

Als Kampf für die Menschenwürde präsentieren Meloni und ihre Kol­le­g*in­nen dieses sozialdarwinistische Vorgehen – es sei eben „würdelos“, sich vom Staat alimentieren zu lassen, statt zu arbeiten. Elly Schlein, Vorsitzende der oppositionellen Partito Democratico, dagegen befindet, Meloni habe den „Kampf gegen die Armen“ aufgenommen, statt die Armut zu bekämpfen. Michael Braun, Rom

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