Maria, der Kampf geht weiter

Folter, Isolationshaft, inhumane Verhältnisse. Bei einem Pressetermin in Berlin wird an die Situation politischer Gefangenen in Belarus erinnert

Maria Kalesnikava bei ihrer Anhörung vor Gericht, am ­6. ­September 2021 Foto: Ramil Nasibulin/imago

Von Jens Uthoff

Zahlen bleiben immer ein Stück weit abstrakt; auch die Ziffern 1.496, die die belarussische Menschenrechtsorganisation Viasna derzeit auf ihrer Website aufführt, verraten erst mal nichts über den Schrecken, der sich hinter ihnen verbirgt. Die NGO listet dort die politischen Gefangenen in Belarus auf, deren Zahl stetig steigt. Sehr konkret ist dagegen das, was die Menschen dort in der Haft erleiden: die Insassen liegen oft auf kargen Holzpritschen, sie frieren im Winter, weil sie sich nicht zudecken können, sehen kein Tageslicht, eine medizinische Versorgung existiert meist nicht. Einige von ihnen, wie die berühmte Oppositionelle Maria Kalesnikava, werden völlig ­isoliert. Von ihr gibt es seit nun fast fünf Monaten kein Lebenszeichen. Andere, wie der ­oppositionelle Blogger Mikalai Klimovicz, sterben hinter ­Gittern.

Am Montag hat der belarussische Exilverein Razam in Berlin zu einem Pressetermin geladen („Echoes of Silence: Politische Gefangene in Belarus“). Dort berichtet etwa der Bundestagsabgeordnete Robin ­Wagener (Grüne) von den grausamen Einzelschicksalen. „Erst mal sind es einzelne Menschen, die ein Leben haben, die Berufe haben, die Familie haben“, sagt Wagener, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. „Das Ziel des belarussischen Re­gimes ist es, diese Menschen aus der Welt herauszunehmen. Damit ihm das nicht gelingt, müssen wir unsere Stimmen für sie erheben.“

„#WeStandBYyou“

Im Rahmen der Solidaritätskampagne #WeStandBYyou hat Wagener die Patenschaft für den gefangenen Blogger und Aktivisten Ihar Losik und dessen Frau Darya Losik übernommen. Er erzählt, dass er selbst vom Heranwachsen der Tochter des Paars mehr mitbekommen habe als Vater Ihar, der von der Welt völlig abgeschnitten ist.

Auch Tatsiana Khomich, Schwester von Maria Kalesnikava, ist nach Berlin gekommen. Kalesnikava, einst bekanntestes Gesicht der belarussischen Opposition, ist seit dem 7. September 2020 inhaftiert. Sie sollte damals außer Landes in die Ukraine gebracht werden, widersetzte sich ihrer Abschiebung aber, indem sie ihren Pass zerriss. Kalesnikava litt zuletzt in der Haft unter Magengeschwüren, wurde im November 2022 operiert – nun hat ihre Schwester Tatsiana Khomich seit Mitte Februar nichts von ihr gehört. „Wir wissen nicht, wie es ihr aktuell geht“, sagt sie. „Ehemalige Mitgefangene haben gesagt, sie dürfe nicht mehr arbeiten, Kommunikation mit Mithäftlingen sei ihr untersagt und sie habe nur einmal in der Woche Gelegenheit zu duschen. Niemand erträgt völlige Isolation über einen längeren Zeitraum. Das ist Folter.“ Khomich glaubt, das Prinzip der Isolation, insbesondere der prominenten Inhaftierten, sei eine neue Strategie Lukaschenkos. Neben ihrer Schwester betreffe dies wohl auch den Anwalt Maxim Znak und den sozialdemokratischen Politiker Mikalaj Statkewitsch.

Auch über den Zustand von Wiktar Babarykas, Präsidentschaftskandidat 2020 und seit mehr als drei Jahren in Haft, ist nichts bekannt. Ende April soll er mit zahlreichen Verletzungen in ein Krankenhaus verlegt worden sein. Sein Team nimmt an, er sei in Haft misshandelt worden. Wo er danach hinkam, ob er noch lebt, ist unklar. Khomich will, dass all diese Fälle in Erinnerung gerufen werden. „Der Terror gegen politische Gefangene muss aufhören. Als Schwester einer politischen Gefangenen denke ich, dass Europa sich stärker einsetzen sollte für sie.“

Was das bedeutet, wird an diesem Morgen auch diskutiert. Kann es Diplomatie mit einem Terrorregime geben? Khomich sagt, es gehe darum, Belarus nicht zu isolieren, während man Lukaschenko isolieren müsse – politisch eine Quadratur des Kreises.

„Wir müssen unsere Stimmen für sie erheben“

Robin Wagener (MdB, Grüne)

Hoffnung verbreitet dagegen Marco Fieber. Fieber arbeitet für die NGO Libereco, die sich für Menschenrechte in Belarus und der Ukraine einsetzt. Libereco hat ein Patenprogramm in Belarus ins Leben gerufen, 363 Po­li­ti­ke­r*in­nen nehmen bereits daran teil. „Schon eine Postkarte aus dem Ausland kann Gefangene ermutigen“, sagt Fieber. Er berichtet auch von einem Programm für Repressionsopfer, das psychosoziale Betreuung und ärztliche Behandlung beinhalte. Er weist darauf hin, dass der Querschnitt der belarussischen Zivilbevölkerung – Lehrer, Künstler, Journalisten, Anwälte – in Haft sitze.

Zahlen können aber auch aussagekräftig sein: 162 registrierte politische Gefangene kommen im 9,2-Millionen-Land Belarus auf eine Million Einwohner. Diese Zahl verschafft einem einen Eindruck vom Systems des Überwachens und Strafens der Diktatur Lukaschenko.