Bolsonaro ist politisch kaltgestellt

Brasiliens Ex-Präsident ist bis 2030 von allen politischen Ämtern ausgeschlossen. Hält das Urteil stand, braucht die brasilianische Rechte eine neue Führungsfigur

Von Niklas Franzen

Seit Freitagmittag steht fest: Gegen Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro wird ein Amtsverbot erteilt. Mit der Entscheidung des obersten Wahlgerichts ist Bolsonaro für die nächsten acht Jahre von allen Wahlen ausgeschlossen. Fünf Rich­te­r*in­nen stimmten dafür, nur zwei dagegen.

Am 22. Juni hatte der Prozess gegen Bolsonaro begonnen. Die Anklage warf ihm vor, bei einem Treffen mit Di­plo­ma­t*in­nen im Juli 2022, Falschinformationen über elektronische Urnen verbreitet zu haben. Der vorsitzende Richter, Benedito Gonçalves, erklärte in seiner Urteilsbegründung: Das Wahlgericht stehe in der Pflicht, „die gefährliche Verbreitung von Desinformationen einzudämmen, die darauf abzielen, das demokratische System zu diskreditieren“.

Bolsonaros Verteidigung erklärte hingegen, ihr Mandant habe mit seiner Rede „Zweifel an der Transparenz des Wahlprozesses“ ausräumen wollen, und bestand darauf, die Aussagen seien nicht an Wähler*innen, sondern an ausländische Di­plo­ma­t*in­nen gerichtet gewesen. Außerdem kündigte die Verteidigung an, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen und notfalls auch vor den obersten Gerichtshof zu ziehen.

Bei einer Pressekonferenz in der Millionenstadt Belo Horizonte erklärte ein sichtlich aufgewühlter Bolsonaro nach dem Urteil, die Verurteilung habe ihm einen „Stich in den Rücken“ erteilt. Brasilien befinde sich „auf dem Weg in eine Diktatur“.

Bei drei Wahlen – zwei Regionalwahlen und der anstehenden Präsidentschaftswahl im Jahr 2026 – wird Bolsonaro nun voraussichtlich nicht antreten können. Ansonsten drohen ihm allerdings keine weiteren rechtlichen Konsequenzen, weil es sich bei dem Prozess vor dem obersten Wahlgericht nicht um ein Strafverfahren handelte.

Gegen Bolsonaro, der seit seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt zum Jahreswechsel keine Immunität mehr vor Strafverfolgung genießt, wird aber auch bereits in anderen Fällen ermittelt: Anfang Mai durchsuchte die Bundespolizei das Haus des Rechtsradikalen. Der Vorwurf: Bolsonaro und einige seiner nächsten Angehörigen sollen mit gefälschten Impfpässen in die USA eingereist sein. Ende April musste Bolsonaro zudem vor der Bundespolizei aussagen, die ihn als möglichen „intellektuellen Anstifter“ für die Ereignisse vom 8. Januar sieht. An diesem Tag hatten Bolsonaros An­hän­ge­r*in­nen das Regierungsviertel in der Hauptstadt Brasília gestürmt und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Außerdem soll Bolsonaro geschenkten Schmuck aus Saudi-Arabien ohne Verzollung ins Land gebracht haben.

Durch die diversen Ermittlungen sehen sich viele Bolsonaro-Unterstützer*innen in ihrer Auffassung bestätigt, dass gegen ihr Idol ein „Komplott des Systems“ im Gange sei. Doch nicht nur Bolsonaro nahestehende Kräfte werfen der brasilianischen Justiz und den Ermittlungsbehörden eine zunehmende Politisierung vor. Der Politikprofessor und Autor Fernando Limongi sagte im Gespräch mit der Tageszeitung Folha de São Paulo, die Justiz dürfe nicht den Eindruck erwecken, es handele sich um „einen politischen Rachefeldzug“, auch nicht, wenn der Angeklagte Bolsonaro heiße.

Brasilien befinde sich „auf dem Weg in eine Diktatur“

Jair Bolsonaro, rechtsradikaler Ex-Präsident des Landes

Während seiner Amtszeit (Januar 2019 bis Dezember 2022) hatte Bolsonaro es geschafft, eine aktive Bewegung hinter sich zu scharen – oft auch als Bolsonarismus bezeichnet. Immer noch verehren viele Bra­si­lia­ne­r*in­nen den ultrarechten Ex-Staatschef. Die jüngste Verurteilung werde einerseits „einen Einfluss“ auf die Schlagkraft der Bewegung haben, meint Odilon Caldeira Neto, Geschichtsprofessor und Rechtsextremismusexperte, im Gespräch mit der taz. Andererseits bringe der Bolsonarismus ganz verschiedene Themen und unterschiedliche rechtsradikale Gruppen zusammen, die auch „ohne die Führung Bolsonaros“ weiterleben würden. Neto zufolge surfen zudem viele Abgeordnete und Se­na­to­r*in­nen weiter auf der „Bolsonaro-Welle“. Sicherheitsfragen und konservative Werte – Kernthemen Bolsonaros – dürften also auch bei kommenden Wahlen einen großen Stellenwert einnehmen.

Trotz aller Loyalität haben bereits die Diskussionen über eine mögliche Nachfolge Bolsonaros begonnen. Als aussichtsreichster Kandidat gilt derzeit der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas. Bei eingefleischten Bolsonaro-Fans gilt er allerdings als nicht loyal und nicht radikal genug. Er sagte nach dem Gerichtsurteil vom Freitag zunächst, die Führung Bolsonaros sei weiterhin „unbestreitbar“.

Auch Bolsonaros Frau Michelle brachte sich unlängst für eine politische Karriere ins Spiel. Die streng gläubige Christin könnte gerade bei An­hän­ge­r*in­nen der Pfingstkirchen punkten, die in Brasilien immer mehr an Einfluss gewinnen.

Jair Bolsonaro selbst erklärte, es gebe „mehrere gute Namen“ für seine Nachfolge – natürlich werde er aber seine Frau unterstützen, sollte sie höhere Aufgaben anstreben. Gleichzeitig gibt er sich selbstbewusst und erklärte mehrfach, weiter politisch aktiv zu bleiben. „Das ist nicht das Ende der Rechten“, sagte Bolsonaro. Außerdem verkündete er, für die nächste Präsidentschaftswahl im Jahr 2026 „ein Ass im Ärmel“ zu haben. Wie genau das aussieht, verriet er allerdings nicht.