Benachteiligte Fußballerinnen in Köln: Platz da – die Frauen kommen!
Die Zukunft der Frauenfußball-Abteilung bei Fortuna Köln ist bedroht. Die Betroffenen sehen die Schuld beim Klub und kündigen lauten Protest an.
Sechzig Sekunden lang liegt am 4. Juni in der Regionalliga West der Ball still. Die Fußballerinnen protestieren gegen Benachteiligung. Die Idee kam von den Spielerinnen von Fortuna Köln. In deren Pressemitteilung ist von gemeinsamen Erfahrungen der Teams die Rede, etwa „Belächeln unserer Leistung“, „fehlende Unterstützung durch den Verein“, „fehlende Förderung und mediale Präsenz“. Und die Fortuna-Frauen stellen Forderungen, an erster Stelle die nach einem „Ende der in vielen Vereinen praktizierten Bevorzugung männlicher Mannschaften“.
Es ist eine ungewöhnliche Aktion in einer Branche, in der hinter vorgehaltener Hand viele Frauenteams über vereinsinterne Diskriminierung klagen, aber kaum je ein breiter Protest entsteht. Und es ist eine Geschichte, die komplizierter ist als diese Solidaritätsaktion. Denn der Vorstoß ist auch ein Schachzug in einem Konflikt bei Fortuna Köln, der zu eskalieren droht. Es geht um die Zukunft der Frauen und Mädchen, um Infrastrukturmangel, um Hierarchien. Und implizit um die Frage: Gleichberechtigung in einem traditionellen Männerklub – geht das?
Es ist ein warmer Sommernachmittag am Klubgelände in der familiären Südstadt, auf den Plätzen trainieren Kinderteams, es sind alles Jungs. Fortuna Köln, traditionsreicher einstiger Zweitligist der Männer unter dem längst verstorbenen Mäzen Jean Löring, ist wie so viele mittelgroße Klubs in einer ungeliebten Zwischenzone angekommen: Die Männer spielen in der 4. Liga und träumen von einer Rückkehr in die 2. Bundesliga, aber der Realität hält das eher nicht stand, die Infrastruktur ist dürftig. Das erfolgreichste Team sind die drittklassigen Frauen, die Chancen auf einen Aufstieg in die 2. Liga hatten. Und trotzdem um eine Zukunft bangen.
„Es kann sein, dass es uns in ein paar Wochen nicht mehr gibt“, sagt Valentina Adames. Die 32-jährige Mittelfeldspielerin hat gerade den Posten als Abteilungsleiterin der Frauen und Mädchen übernommen, kämpft innerhalb des Klubs aber schon länger für deren Belange. Der konkrete Auslöser: Auf dem Gelände in der Südstadt fehlt es massiv an Trainingskapazitäten. Von 30 Trainingszeiten auf dem umkämpften Kunstrasenplatz gehen aktuell 29 an die deutlich größere Männerabteilung, eine an die Frauenabteilung. „Man muss kein Feminist sein, um zu erkennen: Es gibt ein Verteilungsproblem.“
Ab auf den Aschenplatz!
Das zwingt Frauen zum Ausweichen in andere Stadtteile oder auf den Ascheplatz, führe zu großem Unmut unter Spielerinnen und Beitrag zahlenden Eltern, zu Trainingsausfällen im Winter – und erschwere es, Spielerinnen anzuwerben. „Uns gegenüber wird immer argumentiert: Die Jungs machen Leistungssport, ihr macht Breitensport“, schildert Adames die Lage. Obwohl die Frauen und Mädchen mitunter höherklassiger spielten.
Seit rund 20 Jahren gibt es Frauenfußball bei Fortuna Köln, und glaubt man den Schilderungen, ist er trotz der Erfolge ein ungeliebtes Stiefkind. Die U11 und U13 seien schon durch Vernachlässigung verschwunden, die U17 droht nun geschlossen den Verein zu wechseln. Als Regionalligateam brauche die 1. Frauen aber vorschriftsmäßig eine U17, sonst würde der Zwangsabstieg folgen. Für Adames wäre das „der Punkt, an dem wir sagen: Das macht keine mehr mit.“
Es sagt einiges über die Situation, dass viele aus dem Umfeld der Abteilung mit Namen sprechen wollen. Vorwürfe, Nestbeschmutzerinnen zu sein, zählen nicht mehr, wenn es um die Existenz geht. „Wir werden nicht still und leise verschwinden, wie es damals war, als der HSV sein Frauenteam aus der 1. Liga abgemeldet hat“, sagt Valentina Adames. „Es wird laut sein, es wird schwere Konsequenzen für den Vorstand haben.“
Das hier ist keine Lokalschnurre; ähnliche Konflikte gibt es vielerorts, und es geht um weit mehr als Platzzeiten. „Hier im Verein wird einem direkt in die Wiege gelegt, dass der Vorstand nicht hinter den Frauen steht, erst recht nicht hinter der 2. Damen“, so Chantal Thelen, Kapitänin der 2. Damen in der Landesliga. „Wir sind nur geduldet, wir sollen keine Ansprüche stellen.“
Vergraulte Spielerinnen
Eine Aufwandspauschale von nur 100 Euro erschwere es, Trainer:innen zu finden, ebenso das Training auf Asche. „Wir suchen im Moment selbst einen Trainer, vom Vorstand kümmert sich keiner. Wir kriegen kein Geld, wir müssen uns selbst um Sponsoren kümmern. Engagierte Leute werden vergrault. Trainer haben keinen Bock auf die Bedingungen bei Fortuna.“ Viele Spielerinnen wollten nicht mehr bleiben; im Rennen um den Aufstieg habe das in der Rückrunde Punkte gekostet. „Man ist mit den Gedanken woanders.“ Der Vorstand gefährde, findet Adames, „mutwillig die Existenz der Abteilung“.
Und der Vorstand? Fortuna-Präsident Hanns-Jörg Westendorf laviert, gibt erst ein Interview für diesen Text und zieht dann doch alle Aussagen zurück. Kurz vor Veröffentlichung des Textes erlaubt er doch Zitate. „Für Fortuna Köln war und ist Gleichberechtigung immer ein hohes Gut. Unser Ziel ist es, alle Bereiche bestmöglich zu entwickeln. Wir haben aber weder die nötige Infrastruktur noch das Geld, um alle Vorhaben von jetzt auf gleich umzusetzen. Wir kämpfen ums Überleben.“
Eine Lösung verortet er maßgeblich bei der Stadt Köln. „Wir kriegen auch bei den Jungs kaum noch Talente wegen der schlechten Infrastrukturbedingungen, was die Profizukunft bei Fortuna Köln gefährdet. Wir können dem Frauen- und Mädchenfußball bei Fortuna aktuell noch nicht den Stellenwert geben, der ihm gesellschaftlich gebührt.“ Man bemühe sich, die Platzsituation zu verbessern. „Politik ist sehr leicht dabei, Gleichberechtigung zu fordern, aber dazu gehört, auch Infrastruktur zu schaffen.“
Tatsächlich ist die Platznot in vielen Großstädten, auch in Köln, massiv; der geplante Umbau auf Fortunas Anlagen soll frühestens 2028 kommen. Aber es gibt eben zusätzlich ein Binnenverteilungsproblem. Westendorf verweist auf den Profibereich mit 42 Arbeitsplätzen. „Diesen Bereich am Leben zu erhalten, ist an sich schon eine Herkulesaufgabe. Ich wünsche mir den Aufstieg der Frauen in die 2. Liga, um die Lücke weiter zu schließen. Das ist aktuell nur leider kein realistisches Ziel“, wegen Infrastruktur und Budget.
Viel Gestaltungslust
Ist also der Profibereich wichtiger als der Fortbestand einer ganzen Abteilung? Die Untergangsszenarien bei Umverteilung hält Adames für eine Ausrede: „Wenn ich einer U16-Bezirksliga drei statt vier Einheiten auf dem Kunstrasen gebe, kann ich mir selbst mit viel Fantasie nicht vorstellen, dass das der Untergang des Profifußballs bei Fortuna Köln ist.“
Neben vier von 30 Kunstrasenzeiten schlägt Adames etwa eine Kampagne für einen gemeinsamen Aufstieg der Männer und Frauen in die 2. Liga vor oder gar die Fortuna-Frauen als erstes soziales Fußballbusiness, das dem Klub neue Sponsoren und neues Publikum bringe und einen festen Teil der Einnahmen an gesellschaftliche Projekte im Viertel zurückgebe. Dass so viel Gestaltungslust in Kombination mit dem Wissen, wie man lokale Medien bespielt, auf Widerstände stößt, dafür braucht es nicht viel Fantasie. „Lasst uns doch aufhören zu sagen: Wir als Fortuna Köln sind hier nur das Opfer. Und fragen: Was können wir machen?“, fordert Adames.
Interne Mails, die der taz vorliegen, zeigen zahlreiche Vorschläge der Abteilungsleiterin, auf die der Vorstand knapp oder gar nicht reagierte. Westendorf sagt: „Wir können nicht bei allen Problemen, die wir haben, immer zeitnah auf alle Mails antworten.“ Und: „Die Optionen, die jetzt bei Infrastruktur im Raum stehen, wurden alle schon geprüft“, eine Ausdehnung der Trainingszeiten etwa.
Gesellschaftlicher Trend verpasst
Mittlerweile hat sich eine breite Front aus Spielerinnen, Trainern und Eltern gebildet. Ina Conen, Mutter einer U17-Spielerin, hat einen von Eltern unterschriebenen offenen Brief verfasst. Darin heißt es: „Wir sind offen gesagt entsetzt, dass die konstruktiven Vorschläge keinerlei Beachtung finden.“ Conen erklärt: „Die Mädchen- und Frauenabteilung ist eine Patientin an der Infusion. Aber es gibt keine Visite.“
Malte Frömbgen, Trainer der U15, klagt: „Wir Trainer erfahren nicht immer gleich die komplette Wahrheit, das ist unfair gegenüber Spielerinnen und Eltern. Man bekommt das Gefühl, es bestehe kein großes Interesse am Frauenfußball im Verein, das ist wahnsinnig bitter. Man verpennt einen gesellschaftlichen Trend. Ich habe die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, aber es sind sehr negative Zeichen.“
Bleibt die Frage: Warum tun sie sich das an? „Klar wäre es anderswo einfacher“, sagt Valentina Adames, „aber ich finde es fast wichtiger, dass bei den größeren Vereinen gegen massive Widerstände was passiert. Ich will nicht, dass die 14-jährigen Mädels denken: Ich kann da eh nichts machen.“
Bis 30. Juni müssten die Mädchen und Frauen sich abmelden, Termine mit der Stadtverwaltung wegen der Platzsorgen stehen noch aus. „Es gibt eine massive Verunsicherung“, sagt Adames. „Aber es kommen in den letzten Wochen auch immer mehr Mädchen und Frauen, die sagen: Hey, dieser Verein bedeutet mir auch was, ich will mich hier einbringen. Ich will den Mädels zeigen: Man kann was tun.“ Noch hat sie den traditionellen Männerverein nicht abgeschrieben.
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