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Experte über Pflanzenkohle„Beachtliches Klimapotenzial“

Pflanzenkohle-Technologie kann laut dem Geoökologen Robert Wagner in Berlin Wärme und Strom liefern, Treibhausgase reduzieren und Böden verbessern.

Auch was beim Beschnitt von Straßenbäumen anfällt, lässt sich problemlos zu Kohle machen Foto: Imago
Ute Scheub
Interview von Ute Scheub

taz: Herr Wagner, Sie forschen zur Herstellung und zum Klimapotenzial von Pflanzenkohle in Berlin. Was sind Ihre Ergebnisse?

Robert Wagner: Berlin hat riesige Mengen Biomasse, die man karbonisieren könnte, um daraus Wärme, Strom und Pflanzenkohle zu gewinnen: Baum- und Strauchschnitt sowie Laub aus der Grünanlagenpflege und Verkehrssicherung, Weihnachtsbäume, Tiermist und Einstreumaterialien aus den zoologischen Einrichtungen und Tierkliniken. Davon könnten jährlich mindestens rund 40.000 Tonnen in sechs bis acht dezentralen Pyrolyse-Anlagen karbonisiert werden.

Bild: privat
Im Interview: Robert Wagner

Robert Wagner ist Geoökologe und beschäftigt sich an der Freien Universität seit 15 Jahren mit der Erforschung von Pflanzenkohle. Er leitet die Projekte CarbonStoreAge und CarbonThink. Das von Senat und EU finanzierte Projekt CarbonStoreAge schätzt das Klimapotenzial von Pflanzenkohle für Berlin ab. Das von der FU finanzierte Projekt CarbonThink ist Teil der Strategie, mit der die FU bis 2025 klimaneutral werden will.

Was genau passiert da?

Das ist ein unter hohen Temperaturen ablaufender Verkohlungsprozess, der so viel Wärme freisetzt, dass damit Gebäude geheizt werden können. Auch die Erzeugung von Strom ist möglich. In Nahwärmenetzen könnten damit rund 6.000 Tonnen CO2-Äquivalente aus der Erdgasverbrennung eingespart werden. Gleichzeitig könnten wir knapp 4.000 Tonnen Pflanzenkohle gewinnen, die durch die langfristige Bindung des Kohlenstoffs 5.000 Tonnen CO2 einspart. Verwendet zur Kompostierung werden mit 10 Prozent Pflanzenkohle noch einmal 20 bis 40 Prozent Treibhausgase vermieden. Alles in allem könnte man damit rund 20.000 Tonnen Treibhausgase reduzieren. Das ist beachtlich.

Wo sollten diese Anlagen stehen?

Da, wo viel Biomasse anfällt und Wärme über Nahwärmenetze abgenommen werden kann. Im Botanischen Garten, wo wir 2009 zu forschen begannen, steht ja schon seit etlichen Jahren eine Anlage, inzwischen allerdings außer Betrieb. Sie sollte erneuert werden. Eine andere wäre in Düppel sinnvoll, wo die Tiermedizin der FU stationiert ist, und im Tierpark. An beiden Standorten fällt viel Einstreumaterial an, was sich gut eignet für die Pflanzenkohleherstellung. Weitere mögliche Standorte sind der Volkspark Blankenfelde, das Krankenhaus Havelhöhe, der ehemalige Flughafen Tegel und die BSR mit ihrer Laubverwertung.

Erst heiß, dann haltbar

Eine neue Erfindung ist Pflanzenkohle mitnichten: Als Holzkohle kennen wir sie genau genommen schon seit Beginn der Eisenzeit. Bei der traditionellen Herstellung in einem Kohlenmeiler – in dem die flüchtigen Bestandteile des Holzes unter großer Hitzezufuhr verdampfen – geht allerdings ein großer Teil der von der Biomasse gespeicherten Energie verloren. Bei modernen Verfahren der Pyrolyse (Griechisch für „Auflösung durch Feuer/Hitze“) wird auch diese Energie genutzt.

Pflanzenkohle kann nicht nur auf dem Grill, sondern auch als Ersatz fossiler Brennstoffe etwa in einer Heizungsanlage verbrannt werden. Ihre ganze Klimawirkung entfaltet sie, wenn sie dem Erdreich beigemischt wird, wo sie den Kohlenstoff, den die Pflanzen aus der Luft gezogen haben, für lange Zeiträume speichert. Das verbessert gleichzeitig die Böden. Bekannt ist die von indigenen Völkern im Amazonasregenwald entwickelte „Terra Preta“ – für die neben der Pflanzenkohle auch Fäkalien oder Asche mit Humus vermengt werden.

Was sollte dann mit der Pflanzenkohle geschehen?

Sie kann bei Straßenbaumpflanzungen eingesetzt werden, zur Revitalisierung von Wiesen oder zur Neuanlage von durchwurzelbaren Erdhorizonten nach Baumaßnahmen. In Berlin haben wir dafür ein Potenzial von knapp 3.000 Hektar ermittelt, etwa in Parks und Grünflächen. Pflanzenkohle steigert die Wasserhaltefähigkeit der Böden und ist ein Beitrag zur Schwammstadt.

Welche Einsatzmöglichkeiten gibt es noch?

Auf landwirtschaftlichen Flächen erhöht Pflanzenkohle in Verbindung mit Kompost Ernteerträge und Bodenvitalität. Man kann sie auch auf die kontaminierten ehemaligen Rieselfelder in und um Berlin bringen, um darauf Energiepflanzen wachsen zu lassen, oder in Kleingärten, um Schadstoffe zu binden. Nach dem Krieg wurde Bauschutt von Industriearealen einschließlich Schadstoffen wie Blei und Cadmium großflächig verteilt, wo sich später Kleingärten angesiedelt haben. Pflanzenkohle kann den Boden entgiften.

Wie können die Straßenbäume profitieren?

Pflanzenkohle in der Baumgrube kann die Resilienz der Bäume steigern, weil die Kohle wurzelnah Nährstoffe und Wasser speichert. Wir haben vor etwa einem Jahr in drei Zehlendorfer Straßen Jungbäume in rund ein Kubikmeter kleine Gruben gepflanzt. Da sehen wir bereits positive Ergebnisse bei Wachstum, Bodenfeuchte, Vitalität und der Reduktion von CO2 in der Wurzelzone.

Ist das das sogenannte Stockholmer Modell?

Nein, in Stockholm bekommen neugepflanzte Bäume wesentlich größere Gruben. Wir haben hier im Untergrund nur sehr begrenzt Platz. Aber in der Hagenauer Straße in Pankow soll eine sogenannte Klimastraße entstehen, in der Baumrigolen (ein unterirdischer Pufferspeicher, um eingeleitetes Regenwasser aufzunehmen und zu versickern – Anm. d. Red.) nach diesem Modell geplant sind.

CarbonThink ist Teil der Klimastrategie der Freien Universität, mit der sie bis zum Jahr 2025 klimaneutral werden will. Kann Pflanzenkohle auch hier helfen?

Sogar gleich mehrfach: Sie spart Treibhausgase und Erdgas ein, schafft Kohlenstoffsenken, vitalisiert Boden und Pflanzen, speichert Wasser und senkt zusätzlich Kosten durch verringerte Entsorgung und Energiebezug. Aber bis 2025 – das wird schwer. Die FU könnte drei Pyrolyseanlagen bestellen, aber die Nachfrage ist derzeit viel höher als das Angebot. Es dauert zwei bis drei Jahre bis zur Lieferung. Da wären wir dann schon im Jahr 2026.

Warum sind Kohlenstoffsenken für die FU wichtig? Reicht es für die Klimaneu­tralität nicht, den Ausstoß von Kohlendioxid zu beenden?

Diese Senken können mit dem CO2 verrechnet werden, das etwa weiterhin durch Dienstreisen entsteht. Allerdings müssen Kohlenstoffsenken zertifiziert werden – beispielsweise damit niemand einen aufgeforsteten Wald gleich wieder abholzt. Die Firma Carbon Future hat eine Plattform entwickelt, über die das abgewickelt wird. Über Anbieter wie Climate First oder Atmosfair kann man so Flugreisen gegen Pflanzenkohle verrechnen.

Der Markt für Pyrolyse und Pflanzenkohle wächst derzeit exponentiell, allein schon weil der CO2-Preis in der EU stark steigen wird. Dennoch ist die Technologie immer noch weitgehend unbekannt, wie Professorin Claudia Kammann jüngst auf einer Tagung der Freien Universität beklagte. Warum ist das so?

Es stimmt: Unter Fachleuten ist Pflanzenkohle ein Hype, aber medial ist sie absolut unterrepräsentiert. Die großtechnischen CO2-Abscheidungen wie etwa CCS stehen weiterhin im Mittelpunkt der Berichterstattung. Vielleicht, weil unsere Gesellschaft sehr technikzen­triert ist.

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  • Literatur: Ladygina & Rineau "Biochar and Soil Biota"