: Ein alter Schimmelkiller kommt zu Ehren
BAUBIOLOGIE Ein Kalkputz an den Wänden ist nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch gesund
Landwirte haben es schon immer gewusst: Wenn sie die Wände ihres Kuhstalles kalken, gibt es keinen Schimmel. Dieses Wissen kehrt nun in den Wohnbereich zurück.
„Nach Jahrzehnten, wo man immer mehr auf Kunstprodukte gesetzt hat, kommt man wieder mehr auf Naturprodukte“, sagt Kay Reuter, technischer Mitarbeiter bei Kreidezeit, einem seit 1989 existierenden Unternehmen, das sich auf Farben und Putze aus natürlichen Rohstoffen spezialisiert hat. Reuter beobachtet einen „stark steigenden Trend“ und freut sich über „deutliche Zunahmen von Jahr zu Jahr“. Während der Kalkputz in den Bergregionen wie in Österreich, der Schweiz, Italien und im Süden Deutschlands sich trotz des in den 70er-Jahren begonnenen Siegeszuges des Gipses gehalten hat, besinnt sich nun auch der Norden auf eine Jahrtausende alte Technik, die zwar teurer, aber eben auch gesünder ist.
„Einer der wichtigsten Vorteile aus baubiologischer Sicht ist, dass aus Kalk kein Schimmel wächst“, sagt der Architekt Winfried Schneider vom Institut für Baubiologie und Ökologie im bayerischen Neubeuern. Das liege daran, „dass Kalkputz mit einem ph-Wert von 13 extrem alkalisch ist, die Schimmelpilze aber ein saures Milieu mit einem ph-Wert zwischen zwei und acht bevorzugen“. Außerdem ist Kalkputz diffusionsfähig, das heißt, er kann überschüssige Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben und sorgt somit für gesundes Raumklima. Schneider betont wie Reuter von Kreidezeit, dass die genannten Vorteile von Kalkputz bei falscher Oberflächenbehandlung wieder aufgehoben werden können, wenn zum Beispiel der Putz mit Dispersionsfarben übermalt wird.
Die Naturprodukte sind in den letzten zehn Jahren stetig weiterentwickelt worden, so dass es heute Kalkfarben gibt, die sehr gut haften. Für die beiden Experten ist das ein Grund, warum immer mehr Menschen auf den natürlichen Baustoff zurückgreifen, mit dem bereits die Cheopspyramiden, die chinesische Mauer und die venezianischen Paläste gebaut wurden und der erst in den 70er-Jahren vom Gips verdrängt zu werden schien.
Für Stukkateure bedeutete das eine enorme Erleichterung, schließlich musste der Putz nicht mehr mühevoll von Hand angerührt und aufgezogen werden. Doch dieser Fortschritt war mit anderen Faktoren daran beteiligt, dass mittlerweile ein Drittel der deutschen Wohnungen unter Schimmelbefall leidet.
Bestehend aus gelöschtem Kalk, Marmormehl und Wasser kann Kalkputz nicht nur dazu beitragen, Schimmel vorzubeugen, sondern wird oft aus ästhetischen Gründen gewählt. „Kalkputz hat einen matten Schimmer und ergibt fast eine transparent erscheinende Oberfläche“, sagt der Architekt Schneider, der mit seinem baubiologischen Institut unter anderem daran beteiligt ist, die lange vergessenen Vorzüge von natürlichen Baustoffen wieder ins Bewusstsein zurückzuholen. DARIJANA HAHN