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Elvis & die Fishtown Penguins

In Bremen belächelt, von Hamburg längst überrundet: Bremerhaven ist weit mehr als ein vorgelagertes Industriestädtchen mit Fischereihistorie. Ein kleiner Rundgang

Aus Bremerhaven Jan Feddersen

Nein, der Ruf dieser Stadt ist nicht mal ein böser. Bremerhaven ist einfach so da, liegt jenseits von Bremen, getrennt durch Niedersächsisches und war einst von den bremischen Patriziern für nichts anderes am Leben gehalten, weil dieser niedliche Fluss namens Weser für echte Ozeandampfer zu flach wurde und weil man einen Hafen ins Meer brauchte. Menschen aus Bremerhaven, ist immer wieder zu hören, leiden unter hässlichen Bemerkungen, die aus Bremen über sie geäußert werden. Es stinke dort, außerdem sei es grau, besonders im November.

Davon abgesehen, dass alles in unseren Breiten im November entblättert, diesig und nieselregenverhangen aussieht, fehlt es in Bremerhaven andererseits an Selbstbewusstsein, sonst würde man diesen Bremern erwidern, nur durch die Wirtschaftskraft Bremerhavens sei dem Bundesland das Schicksal Bardowiecks erspart geblieben. Jener Flecken war mal sehr groß, im Mittelalter wichtiger als Hamburg – und hatte doch keinen Plan, womit man handeln sollte außer eben mit dem Grundstoff der Lake, die Fleisch haltbar machte: Hamburg wurde größer und größer, ist immerhin ein Tor zur Welt, und Bremen wäre ohne Bremerhaven eben auch in Bedeutungsarmut versunken.

Bremen hat zwar Werder Bremen, aber Bremerhaven den Eishockeyspitzenklub Fishtown Penguins. Außerdem gibt es, nicht leicht zu finden, eine Lale-Andersen-Gedenklaterne, erinnernd an die eher zur beigen Blässe neigenden Sängerin der „Lili Marleen“ und eine Gedenktafel für den berühmtesten Besucher der Stadt, nämlich Elvis Presley, der am 1. Oktober 1958 um 9:22 Uhr als Rekrut der US-Armee deutschen Besatzungsboden betrat – empfangen von Hunderten, überwiegend jungen Frauen, mit größtem Glücksgekreisch.

Das alles reicht hätte als Lob auf Bremerhaven schon langen können: Allein schon, um achtsam eine gewisse bremerhaversche Sichtbarkeit zu gewährleisten. Ein ironisches Lob, das ein gewisses mitleidiges Verständnis für ein Leben als solches an der Wesermündung ausdrückt. Vielleicht verbunden mit dem Ratschlag, eine Werbeagentur für teuer Geld einzukaufen, um wahnsinnig lustiglustig zu einer städtischen Reklame zu finden, gekrönt von dem Spruch: „Grau ist schön“ oder „Die schöne Graue“. Das wäre vor 15 Jahren naheliegend gewesen, nachdem die Direktorin des meeresumwogten Zoos sich erschüttert zeigte, weil in ihrem Pinguingehege sich zwei männliche Exemplare dieser Tiere gemeinsam ein Ei bebrüteten.

Queere Zootiere

Statt dieses queere Ding zu preisen, als Pride & Pinguin etwa, ließ sie sich vernehmen, dass man künftig Sorge tragen werde, dass so was nicht wieder passiert. Man erkannte leicht: Diese Stadt ist schlecht in Ideen, die aus Zufällen geboren werden könnten, wie in Personalpolitik. Das Image hat sich kaum gebessert, sagte doch neulich ein in Bremen bewanderter Kollege, er habe mal mit Freundinnen* überlegt, weil in Bremen die Mietpreise so schamlos stiegen, nach Bremerhaven umzuziehen – aber das Projekt sei verworfen worden, es fanden sich nicht genügend Leute, denn dort, wo es billiger zugeht, wohnten ja kaum Menschen nach grünalternativem Gusto.

Und das ist ganz falsch. Grüne, diese Menschen mit diesem gewissen Lebensstil der gehobenen Ansprüche, werden auch in Bremerhaven gewählt. Klar, Bremerhaven ist eine proletarische Stadt, sowieso auch migrantisch geprägt, das ist auf Anhieb sichtbar, wenn man vom Bahnhof den Bus nicht in die innere Stadt nimmt, sondern zum Fischereihafen, wo die Luft wirklich fischig getränkt ist: Dort sieht es eben fischindustriell aus, und die Menschen, die dort arbeiten, bezeugen diese multikulturelle Prägung der Stadt.

Die Zukunft findet sich weiter jedoch in Innenstadtnähe, natürlich an den schmucken Stadtmöbeln, die die Tourismusverantwortlichen zurecht in den Vordergrund rücken: die Havenwelten (das „v“ ist mit Absicht so geschrieben, sagen die Bremerhavener, ist keine Rechtschreibschwäche), der Zoo, das Deutsche Schiffahrtsmuseum, das Klimahaus und das Deutsche Auswandererhaus. Ganz beieinander am Meer.

Das Bremerhaven der Liebe auf den zweiten Blick findet sich allerdings fünf Minuten von diesen Prunkstücken entfernt, nämlich in Form der teils fußgängerzonenartigen Bürgermeister-Smidt-Straße, benannt nach dem Gründer der Stadt. An ihr liegen Cafés, die Stadtbibliothek, jede Menge kleine Läden von Einwandern, in der Mitte die Bürgermeister-Smidt-Gedächtniskirche, die bei der Ausbombung der Stadt 1944 stehen blieb und in den frühen Fünfzigern wieder aufgebaut werden konnte. Eine Kirche, die im Inneren norddeutsche Kühle ausstrahlt, aber dennoch licht wirkt. Außerdem ist sie offen, man kann sie einfach so besuchen.

Ohne Bremerhaven wäre Bremen auch in Bedeutungsarmut versunken

Was diese Bgm-Smidt-Straße also charakterisiert, ist ihr Dasein als Aorta der Stadt, die kulturell-geschäftige Hauptschlagader der Stadt, gesäumt von vierstöckigen Mietshäusern, die diese gewisse Aura von Luftigkeit umweht, weil die kleineren Wohnungen über größere Fenster verfügen. Bremerhaven, das ist hier sichtbar, kommt in seiner Bürgerlichkeit nicht durch Gründerzeithäuser zum Ausdruck, die sind überwiegend im Kampf gegen Nazideutschland in Schutt gehauen worden, sondern durch gediegene mehrstöckige Mietshausreihen.

Diese Avenue endet an der Geeste, einem Flüsschen, das in den nahen Mooren bei Hipstedt entspringt, und nach 42,5 Kilometern in der Weser sein Ende findet. Das ist die natürliche Grenze der Prachtstraße, der „Bürger“, wie die Bgm-Smidt-Straße dort genannt wird. Kurz vorher das schöne Theater am Theodor-Heuß-Platz, in dem ein anständiges Programm gegeben wird, kürzlich erst die letzte Vorstellung von „La cage aux folles“, mit dem eigentlich auch politisch orientierte Hipster zufrieden sein müssten. Auf dem Platz ist aktuell eine stark flächige Ausstellung über Menschen mit unterschiedlichen Graden von Behinderung. Zwischen diesem Platz und der Geestemündung liegt – abgesehen vom Kunstmuseum und der Kunsthalle – die Hochschule Bremerhaven, 1975 gegründet, wo Schiffsingenieurinnen* ausgebildet und viele andere technische und naturwissenschaftliche Abschlüsse möglich sind. Was fehlt sind sozial- oder geisteswissenschaftliche Richtungen, aber das muss ja kein Fehler sein.

Liegt es an der Sonne, dass dieses Bremerhaven wirkt wie das Beste, das dieses Bundesland in seinen Grenzen hat? Ist es wirklich immer so farbig und divers hier? Ist es inszeniert, dass irgendwie alle ausgesprochen freundlich sind? Dass es keinen besseren Catwalk für eine keineswegs wohlhabende Stadtgesellschaft wie eben diese Straße gibt, die eher ein Fahrrad- und Fußgängerparadies ist? Das hat was: eine Industriestadt am Meer, die zur Schönheit kommt, auf den zweiten bis dritten Blick.

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