Verlust der treuesten Anhänger

Zum Ende der Eiskunstlaufsaison fällt der weltweite Zuschauerrückgang auf. In Europa kämpft man seit Längerem mit der Entwicklung, die durch das Fernbleiben russischer Fans noch verstärkt wird

Von Marina Mai

Die Eiskunstlaufsaison ist gerade mit der World Team Trophy zu Ende gegangen. Und es gab ein Novum: Erstmals waren bei den Weltmeisterschaften in der Eiskunstlaufhochburg Japan nicht alle Plätze besetzt. Klaus-Reinhold Kany, ein Journalist, der für die Fachzeitschrift Pirouette das Event in der Millionenstadt Saitama nahe Tokio beobachtete, schätzt, dass an den Werktagen nur 70 Prozent der 19.000 Plätze gebucht waren. Am Wochenende sei die Halle voll gewesen, sagt er der taz. „Das sind natürlich Zuschauerzahlen, von denen wir in Europa träumen“, sagt Reinhard Ketterer vom Berliner Eislaufverband. „Aber es ist ganz klar: Der Weltverband ISU hat die Weltmeisterschaften nach Japan vergeben, weil er dort ein volles Haus erwartete. Das ist für ihn eine Enttäuschung.“

Blieben Plätze leer, weil russische Zuschauer, die wie die Japaner eine hohe Affinität zum Eiskunstlauf haben, kein Visum für Japan bekamen? Kany weist die Vermutung zurück. „Zuschauer aus Russland gab es auch vorher kaum in Japan. Die Tickets werden über Vertriebswege verkauft, über die nur Inländer Zugang haben.“ Die Gründe für den Zuschauerrückgang sieht er anderswo: Japans Superstar Yuzuru Hanyu, der viele japanische Fans wie ein Halbgott in die Eishallen lockte, hat nach der olympischen Saison seine Laufbahn beendet. „Zudem ist Corona ja nicht vorbei. Ängstliche Menschen in Japan meiden nach wie vor Großevents.“

Der Zuschauerrückgang bei der WM ist jedoch kein singuläres Ereignis. Seit Jahren sind die Zahlen bei Eiskunstlauf­events rückläufig, vor allem in Europa. Fehlende Medienpräsenz der Sportart, ein rückläufiges Interesse von Kindern, Eiskunstlauf zu trainieren und die sinkenden Zuschauerzahlen in Eishallen bedingen sich gegenseitig. Das führte dazu, dass Ausrichter internationale Juniorenwettkämpfe und sogar die Vier-Kontinente-Meisterschaft 2022 absagten, weil sich das Event nicht rechnete. Letzten Herbst dauerte es lange, bis sich mit dem britischen Sheffield ein Ausrichter für einen prestigeträchtigen Grand-Prix-Wettbewerb fand. Die Deutsche Eislauf-Union hat seit rund 20 Jahren keine internationale Meisterschaft mehr ausgetragen, weil sie das finanzielle Risiko scheut. Präsident Andreas Wagner hat zwar angekündigt, sich wieder um eine Meisterschaft zu bewerben. Konkrete Aussagen gibt es aber dazu nicht.

Neu ist das abnehmende Interesse bei den Eiskunstlaufnationen. Im Februar fand im kanadischen Calgary die Juniorenweltmeisterschaft statt. Paarlauf-Nach­wuchs­trai­ner Rico Rex erzählt, dass die Halle nur halb voll war. „Für kanadische Verhältnisse ist das leer.“ Über die Gründe kann Rex nur spekulieren. Ja, das Wegbleiben der russischen Fans, die sonst einen starken Fanblock bilden, spiele eine Rolle. „Aber das kann es nicht allein sein. Waren vielleicht die Ticketpreise von 60 Dollar zu hoch?“

In Europa sind die Verhältnisse anders. Zu kleinen Wettkämpfen kommen vornehmlich die Angehörigen der Athleten. Vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der nicht nur zu einer Sperre russischer Athleten führte, sondern auch zu einem Fernbleiben von deren Fans, stellten Russen einen Gutteil der Zuschauer in europäischen Eishallen. Gerade wenn Wettkämpfe in Finnland oder Estland ausgetragen wurden, kamen viele Touristen aus dem Nachbarland.

Bei den Deutschen Meisterschaften Anfang Januar in Oberstdorf war allerdings die 1.500 Zuschauern Platz bietende Eishalle zu drei Vierteln ausverkauft. Mit dem Sport hatte das nur wenig zu tun. Grund war der ausbleibende Schneefall in den Bergen, der die Touristen vor Ort nach einer alternativen Beschäftigung suchen ließ.