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Geheimes Traumpaar des deutschen Kinos

Sie haben ein Programmkino gegründet und ein Festival mit besserem Programm als bei der Berlinale. Wenn sie miteinander sprechen, lässt sich viel erfahren über den Film und Westdeutschland insgesamt: Ein neues Buch porträtiert Erika und Ulrich Gregor

Von Wilfried Hippen

Jedes Metier hat seine Held*innen, und wenn es in Deutschland um die Arbeit in Kinos sowie das Organisieren von Filmfestivals geht, dann sind es Erika und Ulrich Gregor, die in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts auf diesem Gebiet am meisten bewirkt haben. Ulrich Gregor, geboren 1932 in Hamburg, ist Filmhistoriker und hat zusammen mit Enno Patalas 1963 das Standardwerk „Geschichte des Films“ verfasst; deren zweiten Teil verantwortete er 1978 alleine. Als Ulrich Gregor 1957 seine spätere Ehefrau, die gebürtige Bremerin Erika kennenlernte, war eine Art Powercouple zusammengekommen: 1970 eröffneten die Gregors mit dem „Arsenal“ in Berlin eines der ersten Programmkinos, ein Jahr später gründeten sie das „Internationale Forum des Jungen Films“ – viele Jahre lang der kleine Ableger der Berlinale mit den besseren Filmen im Programm.

Wie das „Arsenal“ seinen Namen bekam – Erika meinte, mit dem „A“ ganz vorne würde wird es in Listen auch früh genannt –, und warum die Gregors beinahe das „Forum“ nicht hätten machen können – Ulrich schickte Erika zu einer entscheidenden Sitzung, wo die Kulturbürokraten pikiert waren angesichts einer Frau –, lässt sich nun nachlesen. Für das Buch „Kino, Festival, Archiv – Die Kunst, für gute Filme zu kämpfen“ haben die Autorinnen – die Berliner Journalistin und Kritikerin Claudia Lenssen sowie die Hamburger Regisseurin und Filmkuratorin Maike Mia Höhne – viele Stunden lang Gespräche mit den Gregors geführt. Die erzählte Autobiografie wird ergänzt durch historische Dokumente und Texte, Essays und Grußbotschaften, unter anderem von Schauspielerin Tilda Swinton und dem langjährigen Berlinale-Leiter Dieter Kosslick. Den Kern bildet aber ein langes, aus vielen Einzelteilen montiertes Gespräch, bei dem die beiden sehr privat reden, sich auch mal ins Wort fallen und abschweifen, wenn es um Filme geht, die sie mögen. So erfährt man ganz beiläufig, dass Mae West in der Westernkomödie „My Little Chickadee“ Marlene Dietrich parodierte.

Im Kino haben die Gregors gelernt, wie man Geschichten erzählt. So vermengen sie auch im Buch souverän und sehr unterhaltsam das Private mit dem Politischen. Da erzählt Erika Gregor etwa, wie unangenehm sie davon berührt war, dass sich Patalas einmal an sie heranmachte, obwohl sie ja schon mit Ulrich zusammen war. Nach über 70 Jahren ist das wohl vergeben, aber eben nicht vergessen – die Gregors haben die Gedächtnisse von Elefanten. Sie erzählen von ihrer Kindheit in Norddeutschland während des „3. Reichs“, und dabei zeigt sich, dass Erika sich schon damals zu wehren wusste: Zwar ging sie zum verhassten „Bund Deutscher Mädel“, gezwungenermaßen; habe dort aber „alles falsch“ gemacht und sei als das „böse Mädchen“ in Ruhe gelassen worden.

Die beiden erzählen auch davon, wie schwierig es war, im Westdeutschland der 1960er- und 1970er-Jahre aus einer linken Position heraus für Filme und das Kino zu kämpfen. Dabei nennen sie auch konkrete Namen, aber nie hat man das Gefühl, dass hier, wie in Memoiren gerne üblich, alte Rechnungen beglichen werden. Statt dessen spürt man immer wieder die Begeisterung, mit der sie von Filmen und deren Ma­che­r*in­nen erzählen. Lebendig werden die Gespräche durch all die gut erkannten und erinnerten Details – wie in einem guten Film, könnte man sagen. Es geht da durchaus auch ums Handwerk: „Der erste Computer“ bekommt ein eigenes Kapitelchen und es wird sehr anschaulich beschrieben, wie bei den Gregors die Sichtungen der für das „Forum“ eingereichten Filme ablief.

Was auch heißt: davon zu erzählen, wie man mit schwierigen Filmen umgeht. Etwa von Pier Paolo Pasolinis „Salò oder die 120 Tage von Sodom“ (1975). „Man muss ihn verteidigen“, sagt Ulrich Gregor – „aber ihn auch nur einmal gesehen zu haben, fällt schwer.“ Die beiden erzählen davon, wie sie Fil­me­ma­che­r*in­nen für das „Forum“ gewonnen haben, die dann treu immer wieder ihre Arbeiten dort gezeigt haben. Einer ihre Lieblinge ist Aki Kaurismäki, und es ärgert sie immer noch ein wenig, dass die Berlinale ihn an Cannes „verloren hat“: Der Berliner Festspielleiter Kosslick habe damals nicht gewusst, wie umzugehen ist mit solch einer Künstlerseele.

Diese soziale Intelligenz, gepaart mit der Leidenschaft für die Filmkunst hat die Gregors zum Glücksfall für die deutsche Kinokultur werden lassen. Ähnlich wie bei dem parallel entwickelte Filmporträt „Komm mit mir in das Cinema – Die Gregors“ von Alice Agneskirchner wird dieses Traumpaar des deutschen Kinos nun ohne Lobhudeleien gefeiert. Und dieses kleine, feine Buch dürfte ein Standardwerk für Kino- und Fes­ti­val­ma­che­r*In­nen werden – sein Titel könnte, angelehnt an François Truffauts Annäherung an den Regiekollegen Hitchcock, auch heißen: „Frau und Herr Gregor, wie haben Sie das gemacht?“

Claudia Lenssen und Maike Mia Höhne, „Kino, Festival, Archiv – Die Kunst, für gute Filme zu kämpfen: Erika und Ulrich Gregor in Gesprächen und Zeitzeugnissen“. Schüren Verlag, Marburg 2022, 243 Seiten, 34 Euro

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