Früher war mehr Atomkraft

Der konservative Thinktank R21 fragt nach dem Erbe von Angela Merkel.
Die Bilanz fällt erwartungsgemäß eher düster aus

Von Stefan Reinecke

Die Konservativen in der Union hatten immer ein zwiespältiges Verhältnis zu Angela Merkel. Zu liberal, zu zeitgeistig, zu wendig, so die Vorbehalte. Der konservative Thinktank R21, dessen Spiritus Rector der Mainzer Politikprofessor Andreas Rödder ist, befasst sich in Berlin nun mit „Deutschland nach der Ära Merkel“. Man wolle, so die Ansage, kein „Merkel-Bashing“ betreiben, sondern in einem forschen Dreischritt von Bilanz, Erkenntnis und Aussicht lieber in die Zukunft schauen. Vielleicht ist die Fixierung auf das Morgen auch eine Distanzgeste gegenüber streng Rechtskonservativen, die oft eine verklärte Vergangenheit idealisieren.

Das Wording bei R21 ähnelt mitunter trotzdem rechten Diskursen. Vorstandsmitglied Harald Mosler sieht sich von „einer Armada von Gegnern“ umzingelt. Der Sinn von R21 – 2022 gegründet und offenbar reichlich mit Spenden bedacht – sei es, „die Diskurshoheit vom linksgrünen Milieu zurückerobern“, das allen vorschreiben wolle, was sagbar sei. Das klingt bei der AfD auch nicht viel anders.

Der Historiker Dominik Gep­pert skizziert ein erfreulich facettenreiches Bild der Merkel-Ära, fern der Affekte, die Merkel lange bei Konservativen mobilisierte. In ihrer Amtszeit sei Deutschland wirtschaftlich gut durch die Finanzkrise gekommen. Allerdings als Krisengewinnler. Die Exportwirtschaft brummte – weil die USA und China mit Finanzbazookas die Krise 2008 bekämpften. Dass sich die deutsche Exportweltmeisterschaft den Schulden anderswo verdankte, ist für einen Liberal-Konservativen wie Gep­pert eine bemerkenswerte Erkenntnis. Merkel habe zudem perfektioniert, was schon Gerhard Schröder tat. Schröder setzte mit dem Kosovokrieg und der Agenda 2010 konservative Projekte um, Merkel mit dem Atomausstieg und Management der Flüchtlingskrise spiegelsymmetrisch rot-grüne Projekte. Beides sei ein Ergebnis der inneren Blockade des bundesdeutschen Systems. Allerdings, so Geppert, sei der jähe Sturz der allseits beliebten Kanzlerin zur eher unbeliebten Ex-Kanzlerin auch kein Zufall. Merkels Defizite fielen nach dem 24. 2. 2022 vielen ins Auge: nur Pragmatismus, keine Planung für den Ernstfall.

Zackiger formuliert Rödder die neue Post-Merkel-Außenpolitik. Der deutsche Traum, Zivilmacht sein zu können, sei mit dem Überfall auf Kiew geplatzt. Laut Rödder befinden wir uns in einer Lage „wie 1938“. Merkel wäre gut darin gewesen, Desaster wie den Ausbruch des Weltkriegs 1914 zu verhindern, aber unfähig, Putin, den wir uns als Wiedergänger Hitlers vorstellen sollen, zu stoppen.

Wenn man gegen Hitler kämpft, dann ist keine Maßnahme groß genug. So fordert Rödder ein selbstbewusstes, normales Deutschland, das mit den USA „think big lernen muss“. Im globalen Kampf gegen China und Russland gehe es um „die Selbstbehauptung des Westens“. Deutschland soll fortan gemäß Georg Bushs Formel von „partnership in leadership“ an der Seite der USA agieren und sei überhaupt „der entscheidende Player in Europa“. Das klingt ziemlich breitbeinig. Auf dem Podium ist man sich indes einig. Kein Streit, nirgends. Auch Rolf Nikel, Ex-Botschafter in Warschau, ist einverstanden. Die Politikwissenschaftlerin Gerlinde Groitl plädiert gegen die Bedrohung aus dem Osten für eine „neue Eindämmungspolitik“ – eine Vokabel, die an die US-Strategie gegen die UdSSR anknüpft.

Diese Debatte ist das komplette Gegenteil des russland-freundlichen AfD-Diskurses. Transatlantisch plus deutsche Stärke. Das Wort Führung fällt alle zwei Minuten. Und obwohl mitunter vermerkt wird, dies sei kein neuer Kalter Krieg, klingt die Debatte genau so: Eindämmung und Aufrüstung. Sounds like 80er Jahre.

„Deutschland muss lernen, groß zu denken, wie die USA“

Andreas Rödder

Und das Klima? Folgt man Anna Veronika Wendland, so wäre vieles besser, wenn nur die AKWs weiterlaufen könnten. Der deutschen Kerntechnik, auf dem Podium einhellig als „die beste der Welt“ gelobt, sei aus ideologischen Gründen der Garaus gemacht worden. Sie sei, so Wendland, als „autoritär, männlich und gefährlich“ charakterisiert worden, obwohl sie doch eine prima Energie sei, viel klimafreundlicher als die Photovoltaik. Joachim Weimann befindet, man hätte die 400 Milliarden für Erneuerbare besser in neue Generationen von AKWs investiert.

Irgendwie riecht das stark nach Retro und 80er Jahren, als überzeugte Unionsanhänger die Idee, Atomkraft durch Sonne und Wind zu ersetzen, schenkelklopfend zu lachhafter grüner Spinnerei erklärten.

Ganz ernst scheint es R21 mit der Zukunft nicht zu meinen. Im Zweifel begleicht man lieber sehr, sehr alte Rechnungen.