Schmauchspuren beim Systemwechsel: „Eijentlich nischt jeändert“

Wie ist dass, wenn ein Land in einem anderen Staat aufgeht? Die Kolumne „Wirtschaftsweisen“ blickt noch einmal zurück – und irgendwie auch nach vorn.

Besucher stehen vor einem Stück Grenzmauer der ehemaligen Staatsgerenze der DDR auf dem Gelände des Grenzmuseums am Rande des Deutschlandfest der CSU zum Tag der Deutschen Einheit.

Reste der Grenzmauer der ehemaligen Staatsgerenze DDR/BRD gibt es im ganzen Land, hier in Bayern Foto: dpa/Bodo Schackow

In den frühen siebziger Jahren hatten wir uns noch manchmal den Spaß erlaubt, wenn der Tagesspiegel mal wieder Verleumderisches über eine linke Aktivität berichtet hatte, ein Flugblatt mit dem Logo der Zeitung zu drucken und es auf dem Ku'damm und an der TU zu verteilen, in dem diese sich für seine bösartige Berichterstattung bei seinen „lieben Lesern“ entschuldigte – was am nächsten Tag einen noch böseren Bericht des Tagesspiegels zur Folge hatte.

Ende der achtziger Jahre verging uns der Spaß. Das begann schon einen Tag nach Öffnung der Mauer: Da traten Willy Brandt, Walter Momper, Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl vor dem Schöneberger Rathaus auf und langweilten uns mit getexteten Jubelreden. Als sie dann auch noch die Deutschlandhymne anstimmten, wurde es uns (immerhin waren wir mehr als 10.000) zu viel: Wir pfiffen und buhten sie fast einstimmig nieder, so laut, dass sie ihren Gesang abbrechen mussten.

Der Sender Freies Berlin nahm alles auf. Als er es sendete, war von den tausendfachen Pfiffen und Buhrufen nichts mehr zu hören. Eine tolle Leistung der SFB-Techniker, die dafür Überstunden abrechnen durften.

Die schon bald in Auflösung begriffene DDR wurde dann fast ausschließlich unter dem Aspekt der „Stasi“ thematisiert und die materielle Substanz der DDR grundsätzlich als „marode“ beschrieben. Dazu wurden bald auch sämtliche DDR-Bürger als von den Kommunisten infantilisiert begriffen.

Diamanten-Collier für Margot Honecker

Die Ostberliner Publizistin Daniela Dahn hat in ihrem 2020 erschienenen Buch „Tamtam und Tabu“ zusammen mit Rainer Mausfeld die übelsten medialen Lügen gesammelt. Zum Beispiel vom Spiegel Hans Modrows Auslassungen in Davos am Rande des Weltwirtschaftstreffens über den nahen Zusammenbruch der DDR: „Auf Anfrage sagt Hans Modrow heute, er habe kein Wort davon gesagt.“

In einem langen Spiegel-Bericht über die angeblichen Machenschaften Alexander Schalck-Golodkowskis findet sich im Dezember 1989 das Faksimile einer Rechnung für ein Diamanten-Collier im Wert von knapp 10.000 DM für Margot Honecker, die das, wie sie wiederholt versicherte, jedoch nie besessen habe.

Die Bild-Zeitung der Springerstiefelpresse ging natürlich noch weiter: „Von wegen nett und bieder: Modrow ließ das Volk prügeln“, titelte sie sowie: „Honecker hatte 100 Millionen auf dem Konto“, „Der flotte Egon“ (Krenz) fuhr einen „Jaguar“ und trieb es mit „feschen Mädels aus der FDJ“, „Leitende Stasi-Offiziere stahlen aus BRD-Briefen an DDR-Bürger in den letzten drei Jahren 65 Millionen DM“ – auch dies eine Lüge der Bild, die nach der Kohl-Reise zu Gorbatschow einen 34-tägigen „Countdown-Abreißkalender“ bis zur „Freiheitswahl“ druckte.

Günter Wallraff, Wolf Biermann etc.

Günter Wallraff erzählte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum Tag der deutschen Einheit 2022, dass Wolf Biermann nach seiner Ausbürgerung 1976 bei ihm einzog und die beiden daraufhin von der Bild-Zeitung „dauerüberwacht“ wurden – mit einer „Fangschaltung“, was die beiden jedoch erst später von einem bei Springer in Ungnade gefallenen Bild-Redakteur erfuhren, der ihnen die Abhörprotokolle vorlegte.

Der „Whistleblower“ wurde seitdem seines Lebens nicht mehr froh: Man bedrohte ihn mehrfach, schlug ihn zusammen, und am Ende wurde er tot in seiner Wohnung aufgefunden. Er war CSU-Mitglied gewesen und Zuträger für den von Nazis und Amis nach dem Krieg gegen den Kommunismus gegründeten Bundesnachrichtendienst. Sein Mörder war wahrscheinlich, wie Wallraff in dem FAS-Text vermutete, „ein noch lebender Nachrichtenhändler, der auch in Krisengebiete Waffen flog“ (was jetzt alle EU-Staaten tun).

2019 hatte die Zeit die Ergebnisse der wohl letzten größeren Umfrage unter Ostdeutschen mit der Schlagzeile veröffentlicht: „Die staatliche Willkür in der DDR war auch nicht schlimmer als heute“, das meinten über 70 Prozent der Befragten, und 41 Prozent behaupteten, „man konnte in der DDR offener reden“.

Etwas lockerer sah das ein Müllmann von der Berliner Stadtreinigung, wo man den Ost- und Westbetrieb zusammengelegt hatte. Er meinte auf die Frage des SPD-Politikers Norbert Gansel, der in den Parlamentsferien bei der BSR arbeitete, ob seine Tätigkeit nun anders geworden sei: „Eijentlich hat sich nischt jeändert außer det Jesellschaftssystem.

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geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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