„Ich halte mein Verhaltennicht für strafbar“

Die Juristin Carla Hinrichs blockiert mit der Klimagruppe Letzte Generation Straßen und steht deshalb am Donnerstag vor Gericht. Sie hat wenig Verständnis dafür, dass es für die Ak­ti­vis­t:in­nen bislang kaum Freisprüche gab

Carla Hinrichs, in Handschellen nach einer Protestaktion in Frankfurt am Main im April 2022, ihr wird Nötigung vorgeworfen Foto: Fritz Engel/Zenit

Interview Susanne Schwarz

taz: Frau Hinrichs, Sie stehen am Donnerstag für eine Aktion der Letzten Generation vor Gericht. Ursprünglich wollten Sie da mal beruflich hin, oder?

Carla Hinrichs: Ja, ich dachte, dass ich mal auf der anderen Seite von dem Richterpult sitzen würde. Ich habe Jura studiert, um für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu sorgen. Ich habe aber leider merken müssen, dass sich das Zeitfenster schließt, in dem wir handeln können, um die schlimmsten Folgen der Klimakrise zu verhindern. Deswegen habe ich mich in der Pflicht gesehen, Widerstand zu leisten, und stehe jetzt als Angeklagte vor Gericht.

Was wird Ihnen genau vorgeworfen?

Mir wird vorgeworfen, dass ich im Februar eine Straße blockiert habe und damit Menschen genötigt haben soll.

Manche Ihrer Mit­strei­te­r:in­nen verteidigen sich vor Gericht selbst. Sie auch?

Ich werde mich zusammen mit meinem ehemaligen Jura­professor Gerd Winter von der Uni Bremen vor Gericht verteidigen. Wir haben gemeinsam die Verteidigung vorbereitet. Er unterstützt mich in meinem Protest.

Wie kam das, haben Sie ihn darum gebeten?

Ich habe bei Herrn Professor Winter schon meine Abschlussarbeit im Umweltrecht geschrieben. Er wusste auch davon, dass ich immer wieder Protest leiste gegen das Nichthandeln der Regierung. Letztes Jahr hat er mich bei Anne Will im Fernsehen gesehen und sich danach bei mir gemeldet. So sind wir wieder in Kontakt gekommen. Ich habe ihn gefragt, ob er sich vorstellen kann, mich zu verteidigen, und das wollte er gerne machen.

Fällt es Ihnen leicht, an Ihrer eigenen Verteidigung zu arbeiten?

Ich durfte in meinem Studium sehr viel über das Rechtssystem lernen und auch, welche Strafbarkeiten infrage kommen. Ich habe aber auch gelernt, dass Recht oft Abwägungssache ist. Das ist auch in meinem Fall so oder in unseren Fällen. Wir setzen uns nicht leichtfertig auf die Straße. Wir sind friedlich, wir protestieren für das Überleben von zukünftigen Generationen und für unser eigenes Leben. Da ist es abzuwägen, ob es nicht verhältnismäßig oder sogar gerechtfertigt ist, dass durch uns Menschen im Stau stehen.

Diese Argumentation hat bislang selten zu Freisprüchen geführt. Verstehen Sie das?

In der Klimakrise – also auf dem Weg in eine absolute Kata­strophe – müssen wir uns alle fragen, ob das, was wir bisher machen und wie wir im Moment auf die Dinge blicken, noch das Richtige ist. Das müssen sich auch die Rich­te­r:in­nen fragen, und das ist für die natürlich erst mal eine Neuheit. Da stehen plötzlich Menschen vor Gericht, die sagen: Ja, ich habe das gemacht und ich werde das wieder tun, denn ich sehe mich einfach akut dadurch bedroht, dass wir uns durch die Klimakrise hier in Deutschland noch in meiner Lebenszeit um Ressourcen streiten werden. Ich erwarte von einem Rechtssystem, dass es sich wirklich die Lage anguckt. Dass es sich mit der Klimakrise auseinandersetzt und aufgrund der Fakten anerkennt, dass das eine akute Krise ist. Aber die meisten Richterinnen stellen sich leider gar nicht erst die Frage, ob unser Verhalten zu rechtfertigen wäre, weil das weit darüber hinausgeht, was sie bisher aus ihrem Alltag kennen.

Carla Hinrichs, 26, ist Sprecherin der Klimagruppe Letzte Generation. Die studierte Juristin aus Bremen muss sich am Donnerstag vor dem Berliner Amts­gericht Tiergarten für eine Straßenblockade verantworten.

Das heißt, Sie rechnen gar nicht damit, dass Sie freigesprochen werden?

Der Richter hat mich schon vorab wissen lassen, dass er von der Strafbarkeit überzeugt ist und mich nur vor Gericht bestellt, um über das Strafmaß zu sprechen.

Man könnte auch argumentieren, dass die Gerichte eher wohlwollend mit der Letzten Generation umgehen. Oft verhängen die Rich­te­r:in­nen geringe Geldstrafen, während man für Nötigung auch ins Gefängnis kommen könnte.

Ich halte mein Verhalten nicht für strafbar. Wenn ich mir die Gesetze angucke, dann braucht es für eine Nötigung ein verwerfliches Verhalten. Verwerflich finde ich, dass unsere Regierung uns über die Klippe bringt. Es ist die größte Krise, die ich mir vorstellen kann. Deswegen setze ich mich jetzt friedlich auf eine Autobahn und unterbreche diesen todbringenden Alltag. Das halte ich nicht für verwerflich. Diese Frage müssen sich die Gerichte stellen. Und wenn sie das dann trotzdem für verwerflich halten, dann sollen sie mich dafür einsperren.