das wird: „Der Bürgermeister wird gefangen genommen“
Am Anfang stand eine Winterflaute der Kneipenwirte: Karnevalist Heiko Claußen über den Rosenmontagszug im schleswig-holsteinischen Marne
Interview Petra Schellen
taz: Herr Claußen, wie passt Karneval zum nicht katholischen Norden? Geht das überhaupt?
Heiko Claußen: Aber sicher doch! Karneval und ausgelassenes Feiern sind ja kein Privileg West- und Süddeutschlands.
Sind wenigstens Sie selbst katholisch?
Nein. Katholisch ist ja fast niemand in Schleswig-Holstein, und der Marner Karneval ist auch nicht im kirchlichen Kontext entstanden.
Sondern?
Es war eine Geschäftsidee. In den 1950er-Jahren herrschte bei Marnes Gastwirten im Winter Flaute. Man überlegte, was zu tun wäre, und „erfand“ einen Rosenmontagszug. 1956 fand er erstmals statt und war ein Riesenerfolg. Marne hat heute 5.300 Einwohner, damals waren es ungefähr genauso viele, und es sind gleich 10.000 BesucherInnen aus ganz Schleswig-Holstein gekommen.
Hatte der Umzug ein Motto?
Nein, das haben wir nie, denn wir wollen der Kreativität freien Lauf lassen. Verboten sind natürlich Werbe- und Parteienwagen. Wir sind auch nicht so politisch wie die Umzüge im Rheinland.
Wie sind Sie zum Karneval gekommen?
Durch meine Frau. Als ich sie 1992 kennenlernte, tanzte sie in der Marner Prinzengarde. Sie hat mich dann zu einer Prunksitzung mitgenommen. Ich war begeistert und hatte auch gleich einen Job.
Welchen?
Ich war Rathauswächter. Das sind diejenigen, die am Rosenmontag das Rathaus bewachen, bis es gestürmt wird. Sie führen auch den Rosenmontagszug an, laufen also vorweg.
Heiko Claußen
55, Kaufmann, ist seit 1993 Mitglied und seit 2006 Präsident der Marner Karnevalsgesellschaft.
Das Rathaus wird erst am Rosenmontag gestürmt – nicht an Weiberfastnacht?
Nein, am Rosenmontag. Da wird der Rathausschlüssel geklaut, der Bürgermeister gefangen und auf einen Karnevalswagen gebracht, damit der Umzug starten kann.
2005 waren Sie Prinz Karneval in Marne. Haben Sie da auch gesungen? 1993 sang der damalige Kölner Prinz etwa „Einmol Prinz zo sin …“
Das Lied kenne ich natürlich. Aber ich selbst habe nicht gesungen. Ich habe aber während der Session etliche Leute kennengelernt und viel Spaß gehabt.
Reisen Sie manchmal heimlich ins Rheinland, um sich Karnevalstipps zu holen?
Ich war nur einmal dort – 2016, als der Düsseldorfer Rosenmontagzug wegen Sturms abgesagt und im März nachgeholt wurde. Ich fand aber, dass der Zug publikumsfern war – und die Sicherheitsvorkehrungen recht lasch.
Inwiefern?
Die Trecker, die die Wagen ziehen, waren nicht vollständig verkleidet, und die großen Hinterräder können leicht jemanden überrollen. In Marne ist es Pflicht, die Traktoren komplett zu verkleiden. Wir überlegen nach jedem Umzug, was wir noch besser machen können.
Anders als in Köln, wo trotz mehrerer schwerer Unfälle zudem immer noch Pferde mitlaufen. A propos: Kooperieren Sie auch mit auswärtigen Karnevalsgesellschaften?
Rathaus-Erstürmung mit anschließendem Rosenmontagszug in Marne: heute, ab 14 Uhr, Marne, Innenstadt
Ja, aber das ist eher zufällig: Dieses Jahr waren die Duisburger in unserer Prunksitzung zu Gast. Und wir waren schon mal in Braunschweig dabei.
Wie viele Karnevalsgesellschaften gibt es in Schleswig-Holstein insgesamt?
34, aber die meisten haben keinen Karnevalszug.
Warum funktioniert das in Marne?
Weil von Anfang an alle zusammengehalten haben: Die Unternehmen, die Politik, die Mitwirkenden, das Publikum. Inzwischen reisen ganze Busgesellschaften aus Schleswig-Holstein und Hamburg zum Rosenmontagszug nach Marne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen