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kritisch gesehen: „niemand ist niemand“ in osnabrückEin Kunstraum voller Liebe

Skurriler geht’s nicht. „Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass ich mich teilweise mal in den Hoden meines Vaters aufgehalten habe“ steht auf einem Textkärtchen. Es hängt an einem Mobile und tanzt beim kleinsten Luftzug. Viele Kärtchen hängen hier. Was sie zeigen, hat Markus Vater über einen Aufruf zusammengetragen. Von ihm stammt auch das Chamäleon, das verzweifelt ist, weil es anders aussieht als sein Spiegelbild. Und die Westernszene, in der zwei verschossene Duell-Projektile auf einen Drink in den Saloon gehen. Und eine Zeichnung, auf der erläuternd steht: „Der Bär vergleicht sein Handtuch mit dem einer Wanderin. Es ist saugfähiger, aber weniger bunt.“

Aber das ist nur die eine Hälfte der Ausstellung „Niemand ist niemand“ des Osnabrücker Kunstraums Hase 29. Der zeichnet sich aus durch seinen Mut zum Experiment. Die zweite Hälfte bestreitet Performance-Künstlerin Stefanie Trojan: In Videos und auf Fotos küsst sie fremde Menschen, lässt sich gegen sie sinken, koppelt sie mit Kabelbindern aneinander, formt ihnen mit ihren Händen ein Lächeln ins Gesicht, setzt sich in ihre Einkaufswagen, hält ihre Augen zu, streichelt ihre Wangen, greift in ihre Hosentaschen. Hier brechen Tabus. Hier entsteht Nähe. Anrührender geht es nicht.

Vater wie Trojan geht es um das, was den Menschen ausmacht, um Zwischenmenschlichkeit. Ihre Arbeiten ergänzen einander, sind als Dialog inszeniert. Alltägliches ist zu sehen, Surreales. Manches ist paradox, vieles witzig, auch bitter, auch schräg. Alles hat Ernst. Und selbst, wer den Kunstraum nicht betritt, kann zur ZuschauerIn werden: Videos werden auf die Fensterfront gebeamt, und in einer Schaufenstervitrine erstreckt sich eine riesige Zeichnung, mit einer Straße, einem Auto, einer Wolke, einem Baum, einer Wiese, einer Ente. Auf alldem steht: „Love“.

Bei der Vernissage hatte Trojan Menschen zueinander gruppiert, zum Gespräch und eine Menschenkette sich bemalt, erzählt Kuratorin Jasmina Janoschka. „Was man auf seinem Rücken entstehen spürte, musste man simultan auf den nächsten Rücken übertragen“, sagt sie. „Spannend, wie sich das Motiv dabei verändert hat.“ Das Endergebnis ist im Kunstraum zu sehen. Und so unscheinbar es ist, es ist ein Stück gelungener, einfühlsamer Kommunikation. Eine wegweisende Schau.

Harff-Peter Schönherr

„Niemand ist niemand“, bis 8. 4., Osnabrück, Hase 29

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