Die Fahrscheine, bitte!

Für 49 Euro mit dem öffentlichen Nahverkehr durch ganz Deutschland? Die Ampel will dies in wenigen Monaten möglich machen. Doch Sozialverbänden und Opposition geht das Vorhaben nicht weit genug

Mit der S-Bahn am Berliner Alexanderplatz vorbei: Wie preiswert wird das Deutschlandticket für alle? Foto: Christoph Soeder/dpa

Von Oskar Paul

Nach dem 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr soll es bald einen Nachfolger geben. Der Preis: 49 Euro. Doch bereits jetzt gibt es scharfe Kritik an dem sogenannten Deutschlandticket. Für den Sozialverband VdK ist der Preis zu hoch und er spricht sich für einen gesonderten Tarif für Menschen mit geringem Einkommen aus. „Wir fordern, dass alle Bundesländer Sozialtarife anbieten“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele der taz. Dieses Ticket sollte maximal 29 Euro kosten. Ähnlich sieht das auch die Diakonie. Ein Sprecher des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes kritisierte den Preis des Deutschlandtickets ebenfalls und sagte der taz, dass der ÖPNV für Sozialleistungsbeziehende „perspektivisch kostenlos“ werden sollte.

Bereits in der vergangenen Woche hatte das Bundeskabinett die Einführung des Deutschlandtickets beschlossen, Bundestag und Bundesrat müssen noch zustimmen. Ab Mai soll das Ticket deutschlandweit im Nahverkehr gültig sein. Bund und Länder werden das Vorhaben finanzieren und stellen dafür jeweils 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung. Damit wollen sie die Verluste der Verkehrsbetriebe ausgleichen. Für Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) wird das Ticket „den ÖPNV für viele Menschen dauerhaft attraktiver machen“.

Gilt das auch für arme Menschen? Der im Bürgergeld-Regelsatz vorgesehene Betrag für Verkehr beträgt 45,02 Euro, also 3,98 Euro weniger, als das Deutschlandticket kosten soll. „Wer den Preis höher festlegt, schließt damit alle Menschen, die auf Bürgergeld angewiesen sind, aus“, kritisiert die Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, gegenüber der taz. Mobilität sei ein Grundrecht. Den Preis über ein Sozialticket für bestimmte Gruppen abzusenken, könne laut Wissler ein sinnvoller Schritt sein Richtung Nulltarif. Der wird wohl nicht kommen. Aber: „Für bestimmte Gruppen können die Bundesländer das Deutschlandticket rabattieren“, heißt es aus dem Verkehrsministerium. Das sei nicht Sache des Bundes, aber Länderinitiativen wie Sozialtarife begrüße das Ministerium „ausdrücklich“.

Sozialtickets gibt es bereits in vielen Städten und Kommunen. In Tübingen fahren unter anderem Emp­fän­ge­r*in­nen von Bürgergeld für 15 Euro Bus. In Berlin gibt es seit Januar sogar ein Ticket für 9 Euro – der Preis gilt aber vorerst nur für 3 Monate. In Hamburg gibt es einen Sozialrabatt von 24,80 Euro, allerdings kostet ein stadtweit gültiges Monatsticket auch mit diesem Preisnachlass noch 93,40 Euro. Betroffene dort werden vom Deutschlandticket also besonders stark profitieren, zumal Hamburg auch darauf noch einen zusätzlichen Sozialrabatt plant. Hessen wiederum will dieses Jahr ein 31-Euro-Ticket für Geringverdienende einführen, das aber nur innerhalb der Landesgrenzen gültig ist. Wer wie viel für eine Fahrkarte zahlt, hängt also ganz wesentlich vom Wohnort ab. Das kritisiert auch Bentele vom Sozialverband VdK. „Es darf nicht vom Wohnort abhängen, ob sich Menschen mit wenig Geld Mobilität leisten können.“ Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband sagt: „Es kann nicht sein, dass bundesweite Mobilität und Teilhabe letztlich vom Wohnort abhängen.“

Bei aller Kritik am hohen Preis: Wer keinen Anspruch auf Sozialrabatte hat, wird in Zukunft immerhin in den meisten Regionen und Städten weniger für eine Monatskarte bezahlen als bisher. In München etwa kostet das reguläre Monatsticket bislang 63,20 Euro, in Hamburg 118,20 Euro. Mit dem neuen Ticket würden Münch­ne­r*in­nen also 14,20 Euro und Ham­bur­ge­r*in­nen 69,20 Euro sparen und könnten zusätzlich den Nahverkehr deutschlandweit nutzen.

Verkehrsexperte Gernot Liedtke von der TU Berlin geht davon aus, dass Zeit­kar­ten­be­sit­ze­r*in­nen auf das Deutschlandticket umsteigen werden. Der Preis von 49 Euro sei aber zu hoch für Ge­le­gen­heits­fah­re­r*in­nen – darauf deuteten Interviews mit ehemaligen 9-Euro-Ticket-Besitzer*innen hin, sagte Liedtke dem Science Media Center. Hinzu kommt: Bei dem Preis für das Deutschlandticket handelt es sich um einen Einführungspreis, es könnte also noch teurer werden. Deshalb spreche er nicht vom 49-Euro-, sondern vom Deutschlandticket, sagte der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Dürr, am Sonntag in der Talkshow „Anne Will“. „Natürlich“ würde sich der Preis irgendwann ändern. Auch das Verkehrsministerium erklärte, dass die Kosten und der Preis von Bund und Ländern im „regelmäßigen Turnus“ ausgewertet werden sollen.

In einer ganz anderen Liga spielt übrigens das brandenburgische Templin. Früher war der städtische ÖPNV dort umsonst, aktuell kostet ein Abo 44 Euro pro Jahr. Wer nicht überregional fahren will, sollte dort also lieber auf das Deutschlandticket verzichten.

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