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Völlig verstrahlt

Immer mehr Menschen legen sich auf die Sonnenbank. Wer das bis zum Alter von 35 Jahren einmal pro Monat tut, verdoppelt das Risiko, an schwarzem Hautkrebs zu erkranken

Lieber nicht in die Röhre gucken: Gerade Menschen mit mehr als 40 Pigmentmalen sollten intensive UV-Strahlung meiden Foto: Armin Weigel/dpa/picture alliance

Von Ansgar Warner

Brüder zur Sonne, zur … Gesundheit? Nachdem vornehme Blässe von angeblich gesunder Bräune abgelöst wurde, verschrieben Ärzte seit Beginn des 20. Jahrhunderts das „Sonnenbaden“, Helio- oder Lichttherapie war voll angesagt. Inzwischen wissen wir es eigentlich besser: Zu viel UV-Strahlung schädigt die Zellen der Haut und verursacht Krebs. 230.000 Menschen erkranken jährlich an „weißem Hautkrebs“, 30.000 am wesentlich gefährlicheren „schwarzen Hautkrebs“, knapp 3.000 Menschen werden in diesem Jahr wieder daran sterben.

Es ist egal, ob die Strahlen vom gleißenden Fusionsofen im Zentrum des Sonnensystems stammen oder aus der künstlicher Quelle eines Solariengeräts kommen. Trotzdem legen sich immer mehr Menschen auf die Sonnenbank und das immer seltener in professioneller Betreuung: Weg vom klassischen Sonnenstudio, hin zu Wellness- und Fitnesseinrichtungen lautet der aktuelle Trend.

„Wir sind sehr besorgt über das zunehmende Bräunen im Spa-Bereich, denn Solarien sind ein Krebsrisikofaktor“, betont deswegen Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe und warnt: „Stehen solche Geräte in einem gesundheitsbetonten Umfeld, könnte dies die Risikowahrnehmung verringern – Menschen könnten zu einer unbedarften Nutzung angeregt werden“.

Zudem fehle dort die notwendige Kontrolle. So besteht die Gefahr, dass auch Minderjährige oder Erwachsene mit hohem Hautkrebsrisiko bestrahlt werden. Für diese Gefahrenquelle scheint eine Gesetzeslücke verantwortlich zu sein. Denn in Deutschland sind lediglich alle Einrichtungen mit mehr als zwei Solariengeräten laut UV-Schutz-Verordnung verpflichtet, ihr Personal zu schulen, die Benutzer aufzuklären und im Zweifelsfall abzuraten. Das kommt vor allem Risikopersonen – etwa Menschen mit mehr als 40 Pigmentmalen – zugute: „Personen mit derart vielen Pigmentmalen haben ein erhöhtes Risiko für Hautkrebserkrankungen“, mahnt etwa die Medizinerin Katharina Diehl. „Gerade diese Menschen sollten intensive UV-Strahlung meiden“.

Diehl leitet das Nationale Krebshilfe-Monitoring zur Solariennutzung (NCAM) an der Universität Heidelberg, und verweist im Rahmen dieser regelmäßig aktualisierten Studie auf eine beunruhigende Tendenz: Während 2015 noch drei Viertel der Befragten angaben, zuletzt ein Solarium im Sonnenstudio genutzt zu haben, waren es 2019 nur noch knapp die Hälfte. Im gleichen Zeitraum verdoppelte sich allerdings der Nutzeranteil in Einrichtungen, im Wellness- und Fitnessbereich, etwa in Schwimmbädern, Sportstudios oder im Spa-Bereich von Hotels, wo lediglich ein oder zwei unkontrollierte Geräte in Betrieb sind.

Während Alter, Geschlecht, Lebensstil und Risikowahrnehmung in puncto UV-Strahlen auf die Wanderungsbewegung keinen Einfluss haben, ist es beim Zustand der Haut anders: „Befragte mit mehr als 40 Muttermalen nutzten Solarien verstärkt außerhalb von Sonnenstudios“, berichtet Diehl. Also genau die Orte, an denen keine Kontrolle solcher Warnsignale stattfindet. „Dies könnte ein Grund dafür sein, warum in unserer Stichprobe diese spezielle Risikogruppe eher Solarien im Fitness- und Wellnessbereich aufsucht“, vermutet die Medizinerin. Frühere Daten der NCAM-Studie hätten gezeigt, dass auch Jugendliche unter 18 Jahren, die eigentlich keine öffentlichen Solarien nutzen dürfen, sich häufig in Fitnessstudios und Schwimmbädern bräunen.

Für die deutsche Bräunungsindustrie haben sich damit auch die Einnahmen in Richtung Grauzone verschoben. Der Deutsche Wellness-Verband stört sich weniger daran, als an den gesundheitlichen Auswirkungen: „Aus unserer Sicht sind Solariengeräte aufgrund des Risikopotenzials für den Wellnessbereich verzichtbar“, betont Verbandsvorsitzender Lutz Hertel. Man empfehle den Verbandsmitgliedern und überhaupt allen Hotels, Bäder-, Fitness- und Beautybetrieben, ihre Angebote auf gesündere und unbedenklichere Angebote zur Entspannung umzustellen. Die Deutsche Krebshilfe begrüßt diesen Vorstoß. Das sei ein wichtiger Beitrag, damit in Zukunft weniger Menschen an Hautkrebs erkrankten und sterben, meint Nettekoven.

Betriebe brauchen erst ab der dritten Sonnenbank geschultes Personal

Damit dass klappt, müsste sich aber wohl beim Image des Bräunens etwas tun. In manchen Kreisen gilt der Goldbroiler-Look immer noch als Schönheitsideal, und gerade die bildmächtigen sozialen Medien heizen solche Körpervergleiche noch an. Inzwischen macht schon das Wort von der „Tanorexie“ die Runde, eine Art Bräunungssucht, die ähnlich wie die Anorexie, also Magersucht, mit einem gestörten Selbstgefühl zu tun hat.

Dabei ist nicht nur der Zusammenhang zwischen Ultraviolettstrahlung und malignen Melanomen längst erwiesen. Auch das Potenzial vermeintlich geringer Dosen ist bekannt: Das Risiko, an schwarzem Hautkrebs zu erkranken, verdoppelt sich selbst dann noch, wenn man sich bis zum Alter von 35 Jahren nur einmal pro Monat unter die Röhre legt. Manche Bräunungsextremisten bestrahlen sich aber wöchentlich oder täglich. Neben Hautkrebs winkt für so viel Engagement neben beschleunigter Hautalterung und Pigmentstörungen sogar noch Zahnausfall, warnen Experten. Am Ende reicht es dann also womöglich nicht mal mehr für ein strahlendes Lächeln.

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