„Ich werde für den Klima-Volksentscheid stimmen“
Als Klima-Senatorin hat Bettina Jarasch (Grüne) immer wieder betont, dass die Ziele von „Berlin 2030 klimaneutral“ nicht zu erreichen sind. Im taz-Interview erklärt die grüne Spitzenkandiadtin für das Rote Rathaus, warum sie trotzdem „Ja“ ankreuzen will
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Bettina Jarasch – Spitzenkandidatin der Grünen – im Wahlkampf Foto: Baganz/imago
Interview Bert Schulz
und Claudius Prößer
taz: Frau Jarasch, blicken wir voraus: Die Wahl ist vorbei, Sie sind mit dem Auto unterwegs zu Koalitionsverhandlungen. Doch KlimaaktivistInnen blockieren die Kreuzung. Was machen Sie?
Bettina Jarasch: Zuallererst rufe ich an, dass ich später komme. Dann rede ich mit den AktivistInnen.
Worüber?
Über Strategien: Wie kriegen wir es hin, dass wir mehr Akzeptanz für Klimaschutz erreichen, mehr Menschen überzeugen? So manche Aktionsform der Letzten Generation war eine Steilvorlage für Parteien, die keinen Klimaschutz wollen. Danach wurde nur über Strafrechtsverschärfungen und zivilen Ungehorsam diskutiert. Deshalb glaube ich, dass diese Aktionsformen beim Klimaschutz wenig Druck für die Sache machen.
Sie sagen immer, dass die Grünen den Druck von der Straße brauchen. Warum eigentlich?
Wir brauchen ihn, um eine demokratische Mehrheit für mehr Klimaschutz zu bekommen – schließlich haben wir Koalitionspartner, die müssen auch überzeugt werden. Das unterscheidet uns von einer Diktatur.
Einer Ökodiktatur.
Ich möchte für den Klimaschutz und die Ziele des Pariser Abkommens gesellschaftliche Mehrheiten erreichen. Aber die Zeit dafür läuft uns weg, das ist ja kein Geheimnis. Und in einer Demokratie brauche ich diese Mehrheiten. Wir Grünen sind als Einzige bereit, Klimaschutz wirklich zur Priorität zu machen. Das zeigt dieser Wahlkampf: Bei den Podien, in denen es stets um die Zukunft der Stadt geht, bin ich die Einzige, die das Wort Klimaschutz in den Mund nimmt. Spätestens wenn ich sage, dass wir für die Verkehrswende mehr Platz für die schwächeren Verkehrsteilnehmer brauchen, gehen die Attacken los, und zwar von allen.
Nun haben die Grünen sich dazu durchgerungen, den Volksentscheid Berlin 2030 klimaneutral am 26. März zu unterstützen.
Einem Volksentscheid, der fordert, was ich mir aus tiefstem Herzen wünsche, nämlich dass wir bis 2030 klimaneutral sind, dem kann ich nur Erfolg wünschen. Und sicher werden viele Grüne für diesen Volksentscheid werben.
Bisher hielten Sie das vorgelegte Gesetz für nicht umsetzbar.
Mit den Maßnahmen, Instrumenten und dem Ordnungsrecht, das wir bisher haben, schaffen wir es auch nicht, Berlin bis 2030 klimaneutral zu machen. Da bräuchten wir ganz andere Rahmenbedingungen. Das beginnt schon bei den fehlenden Fachkräften, um schnell genug Gebäude zu sanieren, Heizungen zu erneuern und Photovoltaik auf die Dächer zu bringen. An dieser Wahrheit kann ich mich nicht vorbeidrücken, ich bin keine Populistin. Wir brauchen konkrete Maßnahmen, die deutlich über jene hinausgehen, über die die Stadt jetzt schon aufgeregt redet. Über die wünsche ich mir eine Debatte, nicht nur über die Zielzahlen.
Kann da ein Erfolg des Volksentscheid helfen?
Ja. Er gibt mir mehr Instrumente in die Hand, etwa für verbindliche Klimaschutzfahrpläne, die dann jede Senatsverwaltung auflegen muss.
Ihr Fraktionschef Werner Graf hat argumentiert, man könne den Entscheid nicht unterstützen, weil es sonst ein Gesetz gibt, das die Politik nicht einhalten kann. Sehen Sie die Gefahr auch?
Ja. Denn bei allem, was wir selbst beschleunigen können und müssen, bleiben wir immer davon abhängig, was anderswo passiert, etwa bei der Energieerzeugung in Brandenburg. Deswegen tue ich mich schwer, als zuständige Senatorin, zu sagen: Klar funktioniert so ein Gesetz. Wenn aber ein Volksentscheid Erfolg hat, muss ich damit umgehen als Politik. Das gilt ja auch für den Vergesellschaftungsentscheid.
Werden Sie am 26. März mit Ja stimmen?
(überlegt) Dieses Gesetz wird nicht einfach umzusetzen sein. Trotzdem brauchen wir mehr Druck für Klimaschutz in dieser Stadt. Deswegen werde ich dafür stimmen.
Zentral für die Klimapolitik ist die Verkehrswende. Wie soll die klappen, wenn es um jede 500 Meter Fußgängerzone so eine Aufregung gibt wie um die Friedrichstraße?
(seufzt) Die Friedrichstraße können wir gerne als Beispiel dafür nehmen, dass es eben Widerstände gibt. Aber an ihr entscheidet sich nicht die Mobilitätswende.
Woran denn?
Daran, ob wir es schaffen, dass Menschen in der ganzen Stadt – vor allem außerhalb des S-Bahn-Rings – auf ein eigenes Auto verzichten können, weil es Alternativen gibt. Dafür ist die Friedrichstraße irrelevant. Bei ihr geht es darum, die historische Mitte zu einem attraktiven Stadtraum zu machen, und einer Geschäftsstraße, die seit Jahren vor sich hin darbt, durch mehr Aufenthaltsqualität wieder eine Chance zu bieten.
Nun ist die Friedrichstraße nicht der erste Versuch in Berlin, Autos zurückzudrängen. Und immer führt das zu heftigen Debatten. Ist Berlin einfach noch nicht so weit, wie Paris, wie Barcelona, wie Kopenhagen zu werden?
Oder Amsterdam. Wissen Sie, wie es dort zuging, als die vor einigen Jahrzehnten mit ihrer Verkehrswende angefangen haben? Da gab es fast Straßenschlachten. Gemessen daran haben wir hier eine ganz andere Bereitschaft für Wandel. Und wenn Sie Paris sagen: Dort passiert genau das, was ich nicht will. Das ist ein reines Innenstadtprojekt, zugegeben mit eindrucksvollen Radwegen und viel Stadtgrün. Aber es gibt in Paris doppelt so viele Autos pro Einwohner wie in Berlin. Für Berlin gilt: Am Ende werden wir nur dann nicht mehr im Stau stehen, wenn wir weniger Autos haben.
Wie viel weniger bis, sagen wir, 2030?
Ich möchte, dass am Ende nur noch jene mit dem Auto unterwegs sind, für die es keine Alternative gibt. Die Autos, die dann noch bleiben und eines Tages emissionsfrei unterwegs sein werden, sollen auch bleiben. Das bedeutet, dass der ÖPNV und das Radverkehrsnetz noch attraktiver werden müssen, dass wir die Parkraumbewirtschaftung ausdehnen und dass die Autos langsamer fahren – wegen des Klimaschutzes und der Verkehrssicherheit.