: Im Zweifel für den schönen Schein
Das Staatstheater Braunschweig zeigt „Der ideale Mann“:In dem Stück nähert Elfriede Jelinek Oscar Wildes funkelnden Witz der Gegenwart an
Von Jens Fischer
In ruckeligen Bewegungen grooven sie im Rhythmus des Erfolgs vor sich hin, sind alle mehr oder weniger reich, haben Macht und Ansehen, was sie in eitler Geschwätzigkeit gern miteinander feiern. In den Salons der Londoner High Society, die Oscar Wilde genießerisch ironisch durchpirschte – wie in den Angebervillen der Schickeria von heute. Um zu zeigen, wie das Gezerre um noch mehr Geld und Einfluss skrupellos Ereignis wird, hat Elfriede Jelinek Wildes vor fein modellierten Pointen und Aphorismen nur so funkelnde Gesellschaftskomödie „An ideal husband“ anspielungsreich in unsere Gegenwart übersetzt.
In Braunschweig hat Staatstheaterintendantin Dagmar Schlingmann „Der ideale Mann“ nun inszeniert und sie macht sich mit der tänzerischen Szene zu Beginn sofort lustig übers schwadronierende Personal. In rosa Ganzkörperstrampelanzügen tritt es auf und mit kiloweise Halsschmuck, mit knielangem Schlips wird der soziale Status überbetont. Aber wie mit dem konkreten politischen Ansatz Jelineks umgehen?
Statt um Aktien des Suezkanals wie bei Wilde geht es bei Jelinek um einen Hyper-Alpen-Kanal, also kaum verbrämt um die Kärntner Bank Hypo Alpe Adria, deren unter Korruptions- und Betrugsverdacht stehende Geldvernichtungsgeschäfte spöttisch ausgebreitet werden. Weitere österreichische Verweise gönnte sich die Uraufführung 2011 am Burgtheater in Wien und designte das Protagonistenehepaar als skandalträchtigen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser nebst Gattin Fiona Swarovski, Kristallschmuckerbin. Auch in Deutschland haben wir Politiker, denen ihre Nähe zu Wirtschafts- und Geld-Magnaten nicht schadete – wie Kanzler Olaf Scholz, der immer von Amnesie heimgesucht wird, wenn das Stichwort „Cum-Ex“ fällt. In Braunschweig aber wird auf aktuelle Anspielungen verzichtet. Die Regie bleibt mit Jelineks konkreter Abrechnung im Allgemeinen.
Die Haupthandlung findet in forschem Aufführungstempo auf einem Matratzenlager statt: schallschluckend für illegale Absprachen, hüpfanimierend für schwer zu koordinierenden Bewegungsspaß und luftig weicher Grund für die Reputation von Sir Robert Chiltern. Dessen Eintrittsticket in die an der Börse spielende Hautevolee war die Weitergabe von Insiderinformationen. Chiltern hat das viel Geld, anderen sehr viel Geld eingebracht. Doch das ist bis heute ein gut gehütetes Geheimnis. Machtgenießerisch erpresst nun Mrs. Cheveley den aufstrebenden Politstar mit einem schriftlichen Beleg für den Deal. Würde es öffentlich, wäre Chilterns Ansehen als grundehrlicher Saubermann und damit seine Laufbahn als Parlamentarier ruiniert. Auch die Gattin würde ihn nicht mehr strahlend begeistert als charakterlich vorbildlichen, idealen Mann lieben.
Schlingmann nähert sich dem Betrug mit einer nett verständnisvollen Wer-ohne-Schuld-ist-werfe-den-ersten-Stein-Haltung und bestätigt dabei nachsichtig die These: Das Leben ist immer ein Kompromiss zwischen Ideal und Korruption zum eigenen Vorteil. Das Stück hingegen kritisiert grundsätzlich, dass Hab- und Machtgier mit den dazugehörenden Image-Inszenierungen den selbstgerechten Gewinnern des Kapitalismus wichtiger sind als moralische Prinzipien. Besonders deutlich wird dies an Lady Chiltern, die final eben doch lieber ihren teuren Lebensstil erhalten will, als ihren Mann verraten – und dafür gern mitarbeitet am fortgesetzten Wegpolieren der dunklen Flecken auf dem makellos schönen Schein der Aufsteigergeschichte. Was prima klappt, da Mrs. Cheveley zur Rücknahme ihre Erpressung erpresst wird.
Aus dem kauzig-fröhlichen Chargieren des Ensembles ragt Cino Djavids spielverrückter Umgang mit der Hauptrolle heraus. So übermütig wie präzise wechselt er sekundenschnell den Gestus, vom selbstverliebten Angeber zum kleinlaut schuldigen Kind, vom intellektuellen Galan zum feigen Trinker bis hin zu stillen Momenten echter Not. Ein herrliches Wechselspiel von Maskierung und Demaskierung – im ansonsten eher oberflächlich vergnüglichen Wegschminken des hintersinnig bissigen Witzes. Wobei viele der zuspitzend bloßstellenden Witze, doppelbödigen Sprachspielereien, zotigen Kalauer und Wortkaskaden verpuffen, auch weil sie mangels diabolisch sezierendem Jelinek-Tonfall in einer variationsarm ratternden Diktion präsentiert werden. Es fehlt an Stilsicherheit, um den Furor der Autorin mit Wildes snobistischer Eleganz zu vermählen. Der kritische Duktus läuft ins Leere.
Aufführungen: 22. und 29. 1., Staatstheater Braunschweig, Kleines Haus, 19.30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen