Höcke-Verfahren zieht sich

Strafrechtler kritisieren lahme Justiz. Höcke verwendete vor 19 Monaten eine strafbare SA-Losung

Von Gareth Joswig

Zwei Strafrechtsexperten üben Kritik an den zähen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Halle gegen Björn Höcke, den Chef der AfD Thüringen. Seit rund 19 Monaten ermittelt diese gegen den Rechtsextremisten, weil der bei einer Wahlkampfrede im Mai 2021 im sachsen-anhaltischen Merseburg die verbotene SA-Losung „Alles für Deutschland“ verwendet hat. Anklage wurde noch immer nicht erhoben. Höckes Immunität wurde im November 2021 aufgehoben.

Der ehemalige BGH-Richter Thomas Fischer bezeichnet die Verfahrensdauer auf taz-Anfrage als „ungewöhnlich“ und „besorgniserregend“. Auch der Strafrechtsprofessor Mohamad El-Ghazi von der Uni Trier ist „verwundert“, dass es im Fall noch keine Entscheidung gibt.

Die Staatsanwaltschaft Halle wiegelt ab. Staatsanwalt Dennis Cernota sagte auf taz-Anfrage: „Ich kann Ihnen versichern, dass die Ermittlungen in der gebotenen Sorgfalt so zügig wie möglich geführt werden.“ Auskünfte gebe es erst nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens. Eine „seriöse Prognose“ über die Verfahrensdauer sei nicht möglich.

Dabei scheint der Fall recht einfach: Höcke gilt nicht nur dem Verfassungsschutz als „rechtsextrem“ und hat als ehemaliger Geschichtslehrer immer wieder mit NS-Rhetorik kokettiert und sich in revisionistischen Diskursverschiebungen versucht. Darüber hinaus gibt es ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm von 2006 zum gleichen Sachverhalt, in dem es eine Person für die Verwendung der gleichen SA-Losung bestrafte. Und auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages sieht das „Verwenden der Sentenz ‚Alles für Deutschland‘ im Rahmen einer Rede auf einer Versammlung“ als einen „strafbaren Ausspruch“ an – da es sich um die SA-Losung handele.

Ex-BGH-Richter Fischer sagt, Höcke sei historisch gebildet, entsprechend liege es „aus Plausibilitätsgründen nahe, dass er die Losung vorsätzlich benutzt hat“. Dennoch müsse man ihm dies nachweisen, wobei Höcke sich nicht einfach mit Unkenntnis rausreden könne.

Darüber hinaus spricht noch mehr dafür, dass Höcke die SA-Losung kennen müsste: 2017 druckte der sächsische AfD-Politiker Ulrich Oehme im Bundeswahlkampf „Alles für Deutschland“ auf Plakate. Nach einer Strafanzeige und medialer Berichterstattung musste er diese wieder überkleben. Das Strafverfahren gegen Oehme bei der Staatsanwaltschaft Chemnitz wurde dennoch im April 2018 eingestellt, nachdem dieser abstritt, gewusst zu haben, dass der Spruch eine SA-Losung sei, wie es nun auf taz-Anfrage heißt.

El-Ghazi sagt mit Blick auf die breite Berichterstattung zu Oehme: „Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass Höcke entgangen sein könnte, dass der AfD-Kandidat Oehme mit derselben SA-Losung Wahlkampf gemacht hat.“ Er erwarte, dass die Justiz eine mögliche Einlassung Höckes, die historische Dimension nicht gekannt zu haben, als Schutzbehauptung zurückweise. Zumal Höcke Geschichtslehrer sei.

Höcke und die AfD Thüringen äußerten sich auf taz-Anfrage nicht. Auf das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen stehen bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe.