„Heimrevolte“ auf der Uni-Bühne: „Wir setzen auf Demokratisierung“

Studierende spielen „Heimrevolte“ und arbeiten Geschichte auf. Ziel ist der Stopp eines geschlossenen Heims, sagt Promotionsstudentin Sinah Mielich.

Drei junge Frauen halten Schaufeln in der Hand und gucken eine Person im Vordergrund wütend an

Einblick in die Proben: Hier der nachgespielte Aufstand gegen Ausbeutung in der Fürsorgeerziehung Foto: Projektstudium „Uni in gesellschaftlicher Verantwortung“

taz: Sinah Mielich, was erwartet die Zuschauer des Stücks „Heimrevolte“ an der Uni?

Sinah Mielich: Ein Ritt durch 100 Jahre Heimgeschichte. Wir setzen uns mit der geschlossenen Unterbringung auseinander. Anlass sind die Konflikte um die Haasenburg-Heime und der Plan Hamburgs, am Klotzenmoorstieg wieder ein teilweise geschlossenes Heim zu bauen. Deshalb gucken wir in die Geschichte, wie war das damals?

Vor 100 Jahren?

Genau. Welche Funktion hatte Heimerziehung in der Zeit der Weimarer Republik? Welche Konflikte gab es?

Spielen Sie den Alltag früherer Kinderheime nach?

Elemente daraus. Ausgangspunkt ist: Wir machen den ’Runden Tisch’ besser. Es gab ja von 2009 bis 2011 den ‚Runden Tisch Heimerziehung‘ zur Aufarbeitung der gewaltvollen autoritären Erziehungspraktiken in den 1950er, 1960er Jahren. Und der lief nicht gut.

Wieso nicht?

Es lief nicht wie versprochen. Letztlich saßen dort drei frühere Heimkinder 17 ehemals beteiligten öffentlichen und freien Trägern gegenüber, die auch ihre Ehre retten wollten. Da drangen die Heimkinder mit ihrer Hauptforderung, dass die schwere Arbeit und die Erziehungspraktiken, die sie erleiden mussten, als Unrecht und Verletzung der Kinder- und Menschenrechte anerkannt wird, nicht durch.

Sie spielen den Tisch nach?

36, ist Promotionsstudentin in der Sozialpädagogik an der Uni Hamburg.

Er war Inspiration für uns. Wir holen uns Leute aus den unterschiedlichen Zeiten heran, die es besser machen wollten und wollen. Und wir wollen daraus für heute lernen und gucken, wie wir den Klotzenmoorstieg verhindern.

Holen Sie echte Akteure auf die Bühne?

Es spielen größtenteils Studierende sowie eine Kollegin vom Straßenkinderprojekt „Momo“. Sie spielen Jugendliche und Pädagogen aus den jeweiligen Zeiten und verhandeln darüber, wie „nachhaltige Revolten“ beschaffen sein müssen.

Woher kommen die Figuren?

Teils aus den beiden Theaterstücken, auf die wir uns beziehen. Das ist einmal Peter Martin Lampels „Revolte im Erziehungshaus“ von 1928. Das war quasi das erste Stück, das über die Heimrevolten aufklärte, die es in der Weimarer Republik zu Hauf gab. Es zeigt, wie es in den Heimen von Anfang an um Ausbeutung und Unterdrückung ging und gleichzeitig um Widerstand und Revolten, und letztlich auch Demokratisierung. Das zweite Stück ist „Bambule“ (1970) von Ulrike Meinhof, das verfilmt wurde.

Spielen Sie dann auch Jugendliche aus der Haasenburg?

Premiere: „Heimrevolte“, Theaterstück des Projektstudiums „Uni in gesellschaftlicher Verantwortung“: 19. und 24. 1., 19 Uhr, Anna-Siemsen-Hörsaal, Von-Melle-Park 8, Uni Hamburg

Ja. Wir haben uns orientiert an dem, was wir von den damals Jugendlichen, die in der Haasenburg waren, erfuhren. Das sind ja heute junge Erwachsene, zu denen wir Kontakt über das „Aktionsbündnis gegen geschlossene Unterbringung“ haben.

Betten Sie diese jüngeren Berichte in 100 Jahre ein, führt das nicht zu einer Relativierung nach dem Motto: War eben schon immer schlimm?

Nein, das denke ich nicht. Was sich durchzieht, ist, dass in Heimen schon immer arme Kinder und Jugendliche untergebracht werden, die ausgegrenzt sind und aus bestimmten schwierigen Situationen heraus auffällig werden. Es geht immer darum, sie in dieser bürgerlichen Gesellschaft an eine Rolle anzupassen. Wir setzen dagegen, was mit 1968 ja schon begonnen wurde: eine Demokratisierung. Es sollte in pädagogischen Verhältnissen darum gehen, Handlungsfähigkeit zu entwickeln, um Gesellschaft nicht ertragen zu müssen, sondern sie gemeinsam verändern zu können.

Gibt es ein Ziel, das Sie in Hamburg erreichen wollen?

Ja. Wir wollen, dass die geplante Einrichtung am Klotzenmoorstieg nicht aufmacht. Und dass die Jugendhilfe-Einrichtungen demokratisiert werden.

Das Stück ist Teil eines „Projektstudiums“. Was ist das?

Das Projektstudium „Uni in gesellschaftlicher Verantwortung“ haben wir 2014 erstritten als dreisemestrige Veranstaltung, die mittlerweile zum fünften Mal läuft. Es findet in einem Bereich statt, in dem es vorher darum ging, „soft-skills“ zu erlernen, um sich gut verkaufen zu können. Wir haben es geschafft, diesen Bereich uniweit inhaltlich neu zu füllen. Darum haben wir in der Erziehungswissenschaft lange gerungen.

Und was lernen die Studierenden dort nun?

Bei uns geht es jetzt um 'Citoyen-Bildung’, also um kritische Persönlichkeitsbildung, um erweiterte gesellschaftliche Handlungsfähigkeit zu erlangen. In diesem Bereich ist vor allem Platz für Projektstudien, wie zum Beispiel auch zur Friedensbildung und Demokratiebildung. Wir haben als Studierende eine Konzeption geschrieben, die Projektstudium „Uni in gesellschaftlicher Verantwortung“ heißt. Da knöpfen wir uns ein „epochaltypisches Schlüsselproblem“ vor und versuchen das aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive mit kritischem Theorie- und Praxisbezug und forschendem Lernen zu bearbeiten. Dieses Mal beschäftigen wir uns mit sozialer Ungleichheit, exemplarisch anhand der Heimerziehung. Unser aktuelles Ergebnis ist das Theaterstück.

Gibt es dafür Credit Points?

Ja, 9. Es geht bei uns aber um mehr als um Punkte. Und es wäre gut, wenn das an den Hochschulen insgesamt so wäre.

Haben Sie die Sozialsenatorin eingeladen?

Ja. Wir sind gespannt, ob Sie kommen wird.

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