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GesellschaftVorsicht, bissige Linke

Seit viereinhalb Jahren befindet sich Kontext im Rechtsstreit mit einem Neonazi. Kurz vor Weihnachten konnten wir einen Etappensieg einfahren: Auch das Landgericht Frankfurt sieht unsere Redaktion eindeutig im Recht.

Kontext wünscht ein schönes 2023. Illustration: Oliver Stenzel

Von Anna Hunger und Susanne Stiefel

Drei Zeugen waren im Oktober dieses Jahres vor dem Frankfurter Landgericht geladen. Mit allen hatte Marcel Grauf, Kläger gegen unsere Redaktion, Chat-Kontakt. Auszüge seines Nachrichtenverkehrs haben wir 2018 veröffentlicht. Einer der Zeugen, ein szenebekannter Rechtsextremist aus dem völkischen Spektrum, war sich in seiner Aussage sehr sicher, was sein Kumpel Grauf in der Vergangenheit jedenfalls nicht gepostet habe. Nämlich die von uns zitierten Sachverhalte. „Ich will auf Leichen pissen und auf Gräbern tanzen. SIEG HEIL!“, zum Beispiel. Denn hätte Grauf das im Gespräch gepostet, hätte er selbst, sagt der Zeuge, interveniert und ihn zurechtgewiesen.

Genau das hat er getan. „Bist du besoffen?“, schrieb er zurück, so hat Kontext ihn auch zitiert. „Damit weist der Chatverlauf zwischen dem Kläger und dem Zeugen XX genau das auf, was der Zeuge angekündigt hatte als seine natürliche Reaktion“, schreibt das Landgericht Frankfurt in seinem Urteil. „Das führt aber dazu, dass die Kammer nicht zu vernachlässigende Zweifel hat, ob der Zeuge bei den sonstigen Aussagen die Wahrheit gesagt hat.“ Die Aussagen der beiden anderen Zeugen, ein Rechtsanwalt und ein AfD-Fraktionsvorsitzender, beurteilte das Gericht als „unergiebig“, denn „auf Vorhalt von konkreten Äußerungen hatten die Zeugen keine Erinnerungen“.

Klare Kante mit Hilfe der Community

Es war unser drittes Treffen vor Gericht. Im Mai 2018 hatte Kontext Auszüge aus uns zugespielten Facebook-Chats veröffentlicht, um zu zeigen, wie die Partei und ihr Umfeld ticken und agieren, wenn sie nicht unter öffentlicher Beobachtung stehen. Es waren menschenverachtende Aussagen, die da zutage kamen, getätigt von einem Mitarbeiter zweier AfD-Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg.

Im August 2018, bei der ersten Verhandlung vor dem Landgericht Mannheim, damals noch im Eilverfahren, waren wir unterlegen. Der Vorsitzende Richter wunderte sich über das große öffentliche Interesse angesichts dieser „lahmen Geschichte“, bereits vor der mündlichen Verhandlung hatte das Gericht geklagt, dass es die Vorlage von 17.000 Seiten Chatprotokollen in einem Eilverfahren für „nicht verarbeitbar“ halte. Schließlich gab das Gericht der einstweiligen Verfügung gegen unsere Redaktion statt, unter anderem da die Authentizität des Materials nicht mit der nötigen Sicherheit belegt sei.

Anders sahen das die Richterinnen und Richter in Karlsruhe. Nach der Auswertung von elf Aktenordnern voller Beweismaterial gab das Oberlandesgericht unserer Redaktion in höherer Instanz in allen Punkten Recht. Mit dem Urteil aus Karlsruhe war das Eilverfahren erledigt. Allerdings hatte Grauf noch die Option, ein (deutlich zeitaufwändigeres) Hauptsacheverfahren zu eröffnen, und machte auch davon Gebrauch.

Bestritten wurde vom Kläger und seinem Vertreter Rechtsanwalt Christian Conrad von der Kanzlei Höcker zunächst die Echtheit der Protokolle. Das änderte sich im Lauf der Auseinandersetzung, letztlich wurde nur die Echtheit der in unserem Artikel zitierten Passagen geleugnet: Die seien gefälscht und in den Chat-Verlauf hineinmanipuliert worden.Allerdings kann sie keine Gegenbeweise liefern, weil Grauf die Chatprotokolle mit den inkriminierten Passagen gelöscht hat und die als Zeugen geladenen Chat-Partner ebenso verfahren sind. „Beweisvereitelung“ nennt dies das Landgericht Frankfurt.

Sowohl das OLG Karlsruhe als auch das Landgericht in Frankfurt am Main halten die von unserer Redaktion zitierten Passagen für authentisch. Das Gericht in Karlsruhe urteilte, es spreche eine „deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Echtheit der Chat-Protokolle“. Auch das Landgericht in Frankfurt „geht von der Authentizität der vorgelegten Facebook-Protokolle aus“, heißt es in der Urteilsschrift.

Außerdem ist die Kammer „überzeugt, dass die Beklagte zu 2. (Kontext-Autorin Anna Hunger) ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht nachgekommen ist und die Authentizität der Chat-Protokolle mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln überprüft hat. Die Beklagten handelten auch in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Mit ihrer Berichterstattung nehmen sie die klassische Aufgabe als Presseorgan im Sinne eines ‚Wachhunds der Öffentlichkeit‘ wahr.“

Graufs ehemalige Chefin Christina Baum sitzt mittlerweile im Bundestag, Graufs zweiter Chef Heiner Merz hat im Sommer 2020 Partei und Landtagsfraktion verlassen. Grauf selbst arbeitet seit 2021 nicht mehr für die Partei oder ihre Abgeordneten. Und dennoch wurde dieses Verfahren gegen Kontext bis jetzt in die Länge gezogen. Und wird immer teurer.

Das Kostenrisiko für unsere Redaktion lag bei etwa 100.000 Euro, falls wir das Verfahren in Frankfurt verloren hätten. Dass wir uns diese Auseinandersetzung leisten konnten, verdanken wir unseren großartigen Unterstützer:innen, die die nötige Summe nach einem Spendenaufruf 2019 zur Verfügung stellten. Nur dank dieser Hilfe konnten wir klare Kante zeigen gegen die, die uns den Mund verbieten wollen.

Einschüchterung mit juristischen Mitteln ist eine Strategie, die mittlerweile sogar einen Namen hat: Slapps – Strategic Lawsuits Against Public Participation. Sie zielen darauf, Redaktionen oder Organisationen so lange zu beschäftigen, bis keine Zeit mehr bleibt, die eigentliche Arbeit zu machen. Auch Kosten sind eine Waffe: Denn je länger ein juristischer Streit dauert, desto teurer wird er. Ziel solcher rechtsmissbräuchlicher Klagen ist es, die Betreffenden unter Druck zu setzen, finanziell auszubluten und zum Aufgeben zu bewegen.

Karl Bär, Deutschlands bekanntester Slapp-Fall, kennt das. Er ist Bundestagsabgeordneter der Grünen und Mitarbeiter des Umweltinstituts in München. Weil er auf den überhöhten Pestizideinsatz beim Apfelanbau in Südtirol aufmerksam gemacht hat, zeigten ihn 2017 der Südtiroler Landwirtschaftsminister und 1.370 Landwirte an. „Seitdem komme ich zu fast nichts anderem mehr“, sagt er in einem Video auf Youtube. „Wir können unsere eigentliche Arbeit als Umweltschutzorganisation eigentlich nicht mehr machen.“

„Kläger erzeugen ein Klima der Angst“

Das Video hat er im Rahmen einer Initiative der beiden EU-Abgeordneten Tiemo Wölken (S&D, Deutschland) und Roberta Metsola (EVP, Malta) aufgenommen. „Einschüchterungsklagen sind gängige Praxis in einigen EU-Staaten und eine Bedrohung der Pressefreiheit“, schreiben die beiden. Die maltesische Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia hatte, so berichten es „Reporter ohne Grenzen“, rund 40 Klagen wegen Verleumdung anhängig, als sie ermordet wurde. „Die Kläger erzeugen dadurch ein Klima der Angst, um Berichterstattung über Korruption und andere Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu unterbinden.“

Um das einzudämmen, ist ein neues EU-Gesetz auf dem Weg. Einfach aber ist das Verfahren nicht, denn selbstverständlich gibt es bei Verstößen gegen das Persönlichkeitsrecht durchaus gerechtfertigte Klagen, auch gegen Medienvertreter:innen.

Dass auch das Landgericht Frankfurt unsere Redaktion in der Auseinandersetzung gegen Marcel Grauf im Recht sieht, ist ein toller Etappensieg. Entwarnung können wir aber leider noch nicht geben. Der Gegenseite bleibt die Option, erneut Einspruch einzulegen. Der Fall kann noch vor das Oberlandesgericht Frankfurt gehen, womöglich sogar vor den Bundesgerichtshof. Dass Richterinnen und Richter die Causa nach sorgfältiger Prüfung noch grundlegend anders beurteilen werden, halten wir in der Redaktion zwar für unwahrscheinlich. Aber spannend bleibt es trotzdem, 2023 und vielleicht noch lange darüber hinaus. In jedem Fall werden wir Sie auf dem Laufenden halten.

Erste Glückwünsche zum jüngsten Urteil

„Herzlichen Glückwunsch zu diesem Urteil, Kontext-KollegInnen! Vollkommen rechtmäßig und sowieso legitim habt ihr aufgedeckt, dass oft genug Nazis drin sind, wo AfD draufsteht. Die freie Presse darf sich weiterhin nicht von juristischen Klagen und Klagedrohungen davon abhalten lassen, solche Leute dann auch mal beim Namen zu nennen. Weitermachen!“

Ulrike Winkelmann, Chefredakteurin der taz

“Erleichterung und Freude – beides hat das Frankfurter Urteil bei mir ausgelöst. Erleichterung deshalb, weil ich weiß, wie viel Kraft, Zeit und auch Sorgen dieser Rechtsstreit die Redaktion gekostet hat. Dass sie ihn bis heute durchgestanden hat, dafür gebührt ihr mein Respekt. Nicht zu vergessen die Leserinnen und Leser, ohne deren Unterstützung diese Beharrlichkeit wohl nur schwer hätte erhalten werden können. Sie eint die Überzeugung, dass die Feinde der Demokratie aus dem Dunkel hervorgeholt und mit Namen genannt werden müssen. Kontext hat das unbeirrt getan – und das hat mir Freude gemacht. Danke dafür.“

Edzard Reuter, Kontext-Beirat, ehemaliger Daimler-Benz-Chef

„Die Berichterstattung über die Umtriebe (ehemaliger) AfD-Landtagsmitarbeiter offenbart eine Verachtung von Demokratie, Anstand und sozialem Miteinander. Deshalb ist die Offenlegung solch menschenverachtender Äußerungen ein Dienst an der Gesellschaft. Die Berichterstattung zeugt aber auch von gutem journalistischem Handwerk. Erfreulicherweise hat das Gericht dies jetzt in den meisten Punkten bestätigt. Vorbildlich, wie Kontext sich nicht durch Klagen einschüchtern lässt.

Markus Pfalzgraf, Deutscher Journalistenverband

„Die Gefahr für die Demokratie kommt von rechts. Es ist Zeitungen wie Kontext zu verdanken, öffentlich zu machen, dass rechtsradikales, rassistisches und menschenfeindliches Gedankengut nicht nur bei neonazistischen und offen faschistischen Gruppen und Organisationen zu Hause ist, sondern auch im direkten Umfeld der AfD. Die Veröffentlichungen von Chatprotokollen von Marcel Grauf, damals Mitarbeiter der AfD-Abgeordneten Heiner Merz und Christine Baum, brachten die ganzen Abgründe rechtsradikalen Denkens ans Licht der Öffentlichkeit. Auch bei der Razzia gegen gewaltbereite und bewaffnete Reichsbürger, die einen Putsch vorbereiteten, wurden die Verbindungen aus diesem Milieu zu einer ehemaligen Bundestagsabgeordneten öffentlich bekannt. Es überrascht daher nicht, dass Journalist:innen, die unersetzliche und wichtige Aufklärungsarbeit leisten, den rechten Demagogen ein Dorn im Auge sind. Besonders fies ist der Versuch, Kontext mit einer Klagewelle bei einem exorbitant hohen Streitwert zu überziehen, um sie zu ruinieren. Es ist eine gute Nachricht, dass dieser Versuch gescheitert ist.Bernd Riexinger, Bundestagsabgeordneter für die Linke

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