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: Der Süden soll’s ausbaden

Die Beschlüsse des Artenschutzgipfels in Montreal bedeuten: Die armen Staaten sollen kürzertreten, damit der Globale Norden nicht verzichten muss

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Simone Schlindwein

ist taz-Korrespondentin in der Region der Großen Seen: Uganda, Ruanda, DR Kongo, Burundi, Zentralafrikanische Republik. Im Frühjahr 2023 erscheint ihr mit Christian Jakob verfasstes Buch:„Der grüne Krieg: Wie in Afrika die Natur auf Kosten der Menschen geschützt wird - und was der Westen damit zu tun hat“.

So lautet also die Formel, mit der die Welt gerettet werden soll: 30 x 30. Das zum Abschluss des internationalen Artenschutzgipfels COP15 in Montreal vereinbarte Rahmenabkommen sieht vor, 30 Prozent der Land- und Meeresfläche der Erde bis zum Jahr 2030 unter Schutz zu stellen – ein überehrgeiziges Ziel. Es bedeutet, dass in den nächsten Jahren bestehende Naturschutzgebiete zügig ausgebaut und neue gegründet werden müssen. Doch die Folgen dieses Vorhabens bergen ein enormes Risiko.

Betroffen sind nämlich nicht die Nationalparks im Schwarzwald oder der Sächsischen Schweiz, sondern vor allem diejenigen in den tropischen Regenwäldern: im Amazonasgebiet in Südamerika, im Kongobecken in Afrika, in den Wäldern Indonesiens – also im Globalen Süden. Dort soll nun gerettet werden, was der Norden durch seinen Überkonsum zerstört hat.

Die Demokratische Republik Kongo, die sonst bei internationalen Verhandlungen aufgrund ihrer grausamen Menschenrechtssituation gemieden wird, avanciert dabei zum Schwergewicht. Sie verwaltet zwei Drittel des Regenwaldes im Kongobecken und hat weitreichende Zugeständnisse gemacht: Sie will die Quadratmeterzahl der Schutzgebiete bis 2030 verdoppeln. Dies entspräche der Fläche der Bundesrepublik, die dann im Kongo unter Schutz stünde – ein entscheidender Schritt, das 30 x 30-Ziel zu erreichen, und ein gewaltiges Verhandlungspotenzial für Kongos Regierung.

Das nutzt sie nun lautstark aus und fordert mehr Geld. Zu Recht, denn der Unterhalt dieser Schutzgebiete ist extrem teuer. Die meisten Staaten des Globalen Südens können sich das gar nicht leisten – vor allem nicht der bettelarme Kongo mit seinen vom Aussterben bedrohten Berggorillas. Jüngst kalkulierten die Artenschutz-Forscher, dass ein Großteil des Artensterbens auf fehlende Finanzen zurückzuführen sei. Damit präsentierten sie der Welt ein scheinbar ganz einfaches Rezept für ein komplexes Problem: Mit mehr Geld lässt sich der Planet schon retten.

Für Industrieländer ist das ein dankbares Lösungsmodell: Sie haben in der Coronapandemie gesehen, dass sich mit hunderten Milliarden Euro Probleme aus der Welt schaffen lassen, ohne an den Ursachen etwas zu ändern. Diesem Beispiel folgend haben westliche Länder also Finanzspritzen im großen Stil zugesagt. Zugeständnisse, den Konsum in den eigenen Gesellschaften zu reduzieren und damit auf einen gewissen Luxus, der das Artensterben mit befeuert, zu verzichten, wurden nur am Rande gemacht. Sprich: Der Westen bezahlt, verzichtet aber nicht – und die praktische Umsetzung des Artenschutzes liegt in der Verantwortung des Südens. Und genau hier liegt der Hund begraben.

Dass man mit Naturschutz nichts falsch machen kann, ist im Westen eine weit verbreitete Ansicht, die den Blick auf einen großen Problemkomplex vermeidet: Den ärmsten Gemeinden der Welt einen Großteil ihres fruchtbaren Ackerlandes wegzunehmen und es unter Naturschutzrichtlinien zu stellen, führt automatisch zu Konflikten. Im Kongobecken gibt es ohnehin enormes Konfliktpotenzial. Die beiden Nationalparks im Ostkongo, in denen die vom Aussterben bedrohten Gorillas leben und die bereits seit Jahrzehnten von Deutschland und der EU bezuschusst werden, liegen mitten im Kriegsgebiet. In ihnen hausen dutzende Rebellengruppen. Sie nutzen diese, durch das Naturschutzgesetz als menschenleere Zonen definierte Parks als Rückzugsräume.

Diese Parks sollen nun erweitert werden. Doch wohin? Denn gleichzeitig wächst die Bevölkerung rundherum rasant. Die von Jahrzehnten des Krieges gebeutelten Kongolesen haben immer weniger Ackerland für immer mehr Bewohner. Dadurch gelten die Menschen in den Augen westlicher Naturschutzorganisationen als Bedrohung, denn es gibt Probleme mit Wilderei. Tierschützer hatten vor zehn Jahren schon Alarm geschlagen, dass bald kein Elefant übrig sei, wenn nicht eine radikale Trendwende passiert.

Die logische Konsequenz war, die Nationalparks hochzurüsten. Kongo ging da mit bestem Beispiel voran: Die Wildhüter wurden von westlichen Militärs im Kampf gegen Terroristen und Wilderer fit gemacht. Im Juli hat Kongos Tourismusminister angekündigt, die Parks unter die Hoheit des für Kriegsverbrechen berüchtigten Verteidigungsministeriums zu stellen, um die Gorillas zu verteidigen. Landesweit wurden Parkwächter rekrutiert und trainiert. Sie ziehen mittlerweile mit Panzerfäusten und Nachtsichtgeräten durch den Dschungel.

Naturschutzgebiete im Kongo sollen erweitert werden. Doch wohin? Auch die Bevölkerung rundherum wächst rasant

Gleichzeitig werden meterhohe, überwachte Zaunanlagen am Rande des Regenwalds über die Äcker der örtlichen Bauern errichtet, um die Tiere drinnen und die Menschen draußen zu halten. Der berühmte Virunga-Nationalpark im Ostkongo wurde mit europäischen Entwicklungsgeldern zur Festung ausgebaut. Geholfen hat dies alles nichts. Im Frühjahr überrannten erneut Rebellen den Park, die Parkverwaltung und die Wildhüter mussten fliehen.

Leidtragende sind indigene Völker wie die Batwa, auch Pygmäen genant, deren ursprünglicher Lebensraum und Kultustätten nun abgeriegelt und mit Waffengewalt verteidigt werden. Rund um den von Deutschland finanzierten Kahuzi-Biega-Nationalpark brannten Wildhüter in den vergangenen Jahren zahlreiche Batwa-Dörfer nieder, Kinder starben in den Flammen, Frauen wurden vergewaltigt – von genau den Wildhütern, deren mickrige Staatsgehälter mit deutschen Steuergeldern aufgestockt werden, um sie zur Arbeit zu ermutigen. Die Bundesregierung musste jüngst nach Bekanntwerden der Vorfälle die Finanzierung für Kongos Nationalparks wieder einfrieren, weil Menschenrechtsstandards nicht eingehalten wurden. Deswegen hat Kongos Regierung in Montreal noch mehr Geld verlangt. Das passiert, wenn man die Umsetzung der Artenschutzvorhaben Staaten wie dem Kongo überlässt.